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Social-Media-FachtagungJugendlichen im Kreis Euskirchen fehlt oft die Medienkompetenz

Lesezeit 6 Minuten
In der Grundschule Dahlem lernen Schüler und Schülerinnen mit ihren Tablets.

Das Tablet gehört bereits in der Grundschule – hier in Dahlem – zum Unterricht dazu. Nicht nur im Matheunterricht.

Melanie Houf, die Cyberexpertin der Polizei im Kreis Euskirchen, warnt vor einer „Influencer-Bubble“. Junge Medienscouts haben viel zu tun.

Eine Minute: Innerhalb von 60 Sekunden passiere auf Social Media dermaßen viel, dass man den Überblick verlieren könne, sagt Melanie Houf von der Euskirchener Polizei. Sie habe aber versucht, den Überblick zu behalten. „Innerhalb der Minute werden weltweit 2,4 Millionen Anfragen bei Google gestartet oder rechnerisch 700.000 Stunden Videos bei Youtube geschaut. Wie viele Menschen dafür online sein müssen“, sagt Cyberexpertin Houf: „3,7 Millionen Snaps bei Snapchat werden kreiert oder 11,4 Millionen Views allein bei Instagram gibt es. Und so kann es immer weiter mit abstrusen Zahlen gehen.“

Während solche Zahlen die Besucher bei der Fachtagung „Desinformation im Zeitalter der sozialen Medien“ des Kreises Euskirchen in Mechernich eher staunend zurückließen, sorgten andere Ausführungen Houfs für Ernüchterung. „Jedes zweite Kind, jeder zweite Jugendliche ist in Sozialen Netzwerken bereits auf extremistische Inhalte gestoßen“, berichtete die Expertin: „66 Prozent der Mädchen vergleichen sich negativ mit anderen. Je bewundernswerter das Leben der Influencer ist, desto negativer nimmt man sein eigenes Leben wahr, weil man dagegen einfach nur ‚abstinke‘. So drücken es jedenfalls die Schüler aus.“

Das Internet macht direkte Interaktion mit Idolen und Stars möglich

Das mache etwas mit den Kindern und Jugendlichen. Und aus der Bubble, um im Social-Media-Sprech zu bleiben, also aus ihrer Blase, kommen die Schüler nur sehr schwer raus, sagt die Cyberexpertin. Man müsse nämlich gar nicht in die weite Welt des World Wide Webs abtauchen und sich auf die Konten der Influencer mit Millionen und Abermillionen Followern verirren, um die Gefahren des Netzes zu entdecken.

Melanie Houf steht neben einer Tafel in einem Klassenraum.

Cyberexpertin Melanie Houf berichtete über Influencer.

Das gehe auch auf kleineren Ebenen, etwa im Kreis Euskirchen. Einer der bekanntesten Influencer aus der Region ist Noel Dederichs. Der ehemalige Schüler des Emil-Fischer-Gymnasiums hat einen eigenen Whatsapp-Kanal mit mehr als 150.000 Abonnenten. Auf die Frage an seine Community, ob er sich auf einem E-Scooter blitzen lassen solle, haben laut Houf 52.000 mit „Ja“ geantwortet. „Die Nutzer können direkt mit ihrem Vorbild, ihrem Star interagieren. Das hat es früher nicht gegeben“, sagt sie.

Zwischen Idolen und Influencer gibt es einen riesengroßen Unterschied. Idole hingen als Poster an der Wand, waren sonst aber unerreichbar, nur über die Musik erlebbar.
Melanie Houf Cyberexpertin der Polizei

Und weil die Gesellschaft immer schnelllebiger geworden sei, sei auch das Streben nach Anerkennung und nach Bestätigung schnelllebiger als früher. „Früher hat man auf die Rückgabe einer Klassenarbeit hingefiebert – oder auch nicht. Weil man so Feedback bekommen hat. Heute postet man etwas und es gibt sofort Herzchen auf Instagram. Das kann süchtig machen“, sagt die Medienexpertin der Euskirchener Polizei.

Social Media ist heute das, was früher einmal die „Bravo“ war

Früher sei die Zeitschrift Bravo das heutige Instagram gewesen. „Über die Zeitschrift wussten wir, was mein Star macht, wie man mit Liebe und Sexualität umgeht, was angesagt ist.“ Houf erhielt für ihren Blick in die Vergangenheit von den Pädagogen zustimmendes Nicken. „Zwischen Idolen und Influencern gibt es einen riesengroßen Unterschied. Idole hingen als Poster an der Wand, waren aber sonst unerreichbar, nur über die Musik erlebbar“, sagt Houf: „Influencer sind omnipräsent im Internet – durch Bilder, Videos. Sie nehmen uns dadurch mit in ihren Alltag. Und Kinder und Jugendliche verbringen genau diesen Alltag mit ihnen.“

Beiderseits eines langen Tischs schauen sich Lehrerinnen und Lehrer Informationsmaterial an.

Im Mechernicher Turmhof-Gymnasium fand eine Fachtagung rund um die Desinformation in Sozialen Netzwerken statt.

Drei Personen schauen gemeinsam auf ein Tablet.

Digitale Medien werden gerne im Unterricht eingesetzt.

Das habe Einfluss auf das Leben der Jugendlichen. Eine der größten Ängste der Teenager lässt sich laut Houf mit vier Buchstaben abkürzen: „Fomo“. Das steht für „Fear of missing out“. „Die Angst etwas zu verpassen, weil man mal nicht aufs Handy guckt. Das wirkt sich natürlich auf die psychische Gesundheit aus“, sagt Houf. Für diese Feststellung bekommt sie von einer Lehrerin während der Fachtagung Zustimmung.

„Wir hatten eine Schülerin, die nicht mit auf Klassenfahrt wollte, weil die Jugendlichen ihre Smartphones zu Hause lassen sollten“, erzählt die Pädagogin. Die Schülerin habe regelrecht Angst davor gehabt, ihre Flammen bei Snapchat zu verlieren. Eine Art Statussymbol bei der Social-Media-Plattform. Ähnlich den Likes in Form von Herzen bei Instagram und dem „Daumen hoch“ bei Facebook.

Gymnasium in Kall-Steinfeld setzt auf Medienscouts

„Viele Schüler haben keine Digitalkompetenz. Sie haben eine Wischkompetenz – weil sie über die Bildschirme ihrer Smartphones wischen. Aber einen Computer bekommen sie nicht an, weil sie nicht wissen, dass das Ding einen Knopf hat“, sagt Houf. Das Thema „Schönheit“ sei auf den Social-Media-Kanälen ein großes. Und dafür müsse man nicht mal Influencer sein. „Schüler vergleichen sich in den unterschiedlichsten Themen – und natürlich auch in Sachen Schönheit“, so Houf: „84 Prozent der Jugendlichen folgen Influencern zu Schönheit und Beauty.“ Mehr als die Hälfte der Jugendlichen haben Houf zufolge schon mal Produkte gekauft, die von Social-Media-Stars empfohlen worden sind.

Und wie wird in Schulen mit Social-Media umgegangen? Am Hermann-Josef-Kolleg in Steinfeld wird auf Medienscouts gesetzt. Kim Arens, Sophia Michels und Jule Schatten sind Schülerinnen und Social-Media-Expertinnen. „Wir beraten unsere Mitschüler beispielsweise bei Urheberrechtsfragen, wenn man ein Foto postet, oder sind Ansprechpartnerinnen, wenn jemand Opfer von Cybermobbing geworden ist“, sagt Kim Arens.

An Arbeit mangele es ihnen nicht, berichtet das Trio während der Fachtagung im Turmhof-Gymnasium in Mechernich. Ihre Arbeit sei sehr wichtig. „Social Media gerät unheimlich schnell außer Kontrolle“, berichtet Sophia Michels. Ihre Arbeit beginne im Kleinen, wenn man den Fünftklässlern den Umgang mit dem Internet näherbringe. Aber es gebe auch belastende Gespräche mit Schülern. Die Ursache der persönlichen Krise liege „sehr, sehr häufig im Internet“, sagen die Oberstufenschülerinnen aus der Eifel, die sich in Workshops zu Medienscouts fortgebildet haben.


Lehrer sollen von Schülern lernen

Frank Schlegel ist Medientrainer und Chef des Unternehmens „Digital durstig“. Bei der Fachtagung in Mechernich hielt er einen Impulsvortrag rund um Künstliche Intelligenz (KI). „Google wird künftig oldschool sein. Dinge, die man wissen möchte, sucht man künftig nur noch per Kopfhörer“, sagte er.

Frank Schlegel bei seinem Vortrag. Er hält ein Mikrofon in der Hand und gestikuliert.

Medientrainer Frank Schlegel während der Präsentation.

Künstliche Intelligenz gehöre in vielen Bereichen – auch in der Schule – bereits zum Alltag. Die wenigsten Lehrer und Pädagogen seien aber darin geschult. „Man fühlt sich ziemlich schnell alt, weil sich alles so schnell weiterentwickelt“, so Schlegel. Dass man mithilfe der KI während der Videokonferenz auf einmal Französisch sprechen könne, sei völlig normal. Dafür müsse man auch nicht mehr viel können. „Das birgt unheimlich viele Gefahren“, so Schlegel.

Er gab Lehrern bei der Fachtagung in Mechernich den Tipp, mit den Schülern im Unterricht zusammenzuarbeiten. „So lernen Sie, was die Schüler schon können“, sagte er: „Die KI wird das Internet so durcheinanderwirbeln, wie die Erfindung des Internets die Welt.“


Lernen fühlt sich wie Spielen an

„Digital Making Place“, kurz DMP, ist das neueste Zauberwort, wenn es um Schulunterricht der Zukunft geht. Das Ministerium für Schule und Bildung NRW bezeichnet den DNP auch als „Maker Space“ – eine digitale Werkstatt. Ein Raum für Schüler. Ein Raum als Werkstatt, in der im Idealfall eine neue Generation von Entwicklern und Tüftlern hervorgebracht wird.

Der DMP könne Werkstatt, Tonstudio, Videoschnittplatz und Forschungslabor sein, in dem digitale Medien eine zentrale Rolle spielen. Und der Kreis solle diese Chance nicht verpassen. Das Land lässt sich den neuen Baustein des modernen Unterrichts etwa 100.000 Euro kosten. Dafür erhält die Kreisverwaltung stellvertretend für alle Schulen im Kreis beispielsweise eine 360°-Kamera, eine Indoor-Drohne, einen mobilen Digitalrekorder, mobile Schallabsorber, tastenbetriebene Lernroboter, zeichnerisch programmierbare Lernroboter oder digitale Erfinderkits – eben das, was vielerorts von moderner Schule erwartet wird.

Mariusz Kopania wird für den Kreis Euskirchen im DMP arbeiten und den Lehrern die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten im Unterricht näherbringen. „Medienkompetenz zu lehren, ist sehr wichtig“, sagt der Pädagoge, der bisher in der ambulanten Kinder- und Jugendhilfe tätig war. Das Spannende an den neuen digitalen Unterrichtsinhalten ist laut Kopania, dass die Schüler gar nicht mehr merken, dass sie etwas lernen. Für sie fühle sich das Programmieren eines kleinen Roboters wie Spielen an –   und nicht wie der Inhalt eines Informatikunterrichts.