Gerade in der dunklen Jahreszeit schlägt die Einsamkeit besonders hart zu. Oftmals hindert Betroffene Scham daran, sich helfen zu lassen.
Soziale IsolationAuch im Kreis Euskirchen leiden viele Menschen an Einsamkeit
Sicher, die Glühbirne wäre im Grunde kein Problem gewesen. Die hätte der Herr auch alleine auswechseln können. Dass er einen Helfer der Geno Eifel um Unterstützung bat, hatte weniger mit handwerklicher Unzulänglichkeit zu tun, sondern vielmehr mit einem Phänomen, das laut Experten immer mehr Menschen betrifft: Einsamkeit.
Nicole Giefer kennt eine Vielzahl solcher Geschichten aus ihrer Arbeit. „Wir stellen in unserem Helfernetzwerk immer mehr fest“, so die Projektleiterin der Geno Eifel, „dass sowohl junge Menschen als auch Senioren immer wieder darüber berichten, dass sie sich alleine und sozial abgeschottet fühlen.“
Jeder siebte Mensch im Kreis Euskirchen ist betroffen
Im Frühjahr 2023 war dem Abschlussbericht der Enquete-Kommission des NRW-Landtags zu entnehmen, dass jede siebte Person im Kreis Euskirchen an Einsamkeit leide. Die Akteure der Geno Eifel spüren diese traurige Entwicklung bei ihrer täglichen Arbeit. „Einsamkeit ist zunehmend gesellschaftliche Realität“, stellt Nicole Giefer fest. Es sei auch davon auszugehen, dass sich dieser Trend verstärken werde – auch auf dem Lande. Auch im Kreis Euskirchen. Denn soziale Isolation sei längst kein Phänomen mehr, das sich hauptsächlich auf die Großstädte mit ihren riesigen anonymen Wohnhochhäusern beschränke. Wer denke, dass Einsamkeit auf dem Lande, wo in den Dörfern doch jeder jeden kenne, allerhöchstens eine Randerscheinung sei, irre sich.
Alles zum Thema Eifel
- Winter in der Eifel Am Weißen Stein bei Udenbreth liegt ausreichend Schnee für Wintersport
- Eifel-Schleifen und -Spuren Im Kreis Euskirchen wird der Wanderweg des Jahres 2025 gewählt
- Trilogie geplant Euskirchener verarbeitet seine Kindheit in einem Roman
- Schnee in der Eifel Räumdienste sind im Dauereinsatz, Jugendliche suchen Drift-Spaß im Auto
- Winterwetter in der Eifel Weiße Pracht in den Höhenlagen – Weiterer Schnee in der Region erwartet
- Spendenaktion Eifel-Lamas sammeln Geld für behinderte Hundewelpen im Tierheim Mechernich
- Streifenwagen beschädigt Polizeivideo zeigt erstaunlichen Fahrerwechsel in der Eifel
„Man ist hier ja auch ein Stück weit abgeschieden“, erklärt Nicole Giefer, „vor allem, wenn man kein Auto hat.“ Die Bahnstrecken hätten nach der Flut lange Zeit nicht funktioniert, der Schienenersatzverkehr entpuppe sich oftmals als Katastrophe, und Taxibusse müssten vorher bestellt werden – da sei es schwierig, sich mal spontan auf ein Bierchen oder auf einen Kinobesuch zu treffen.
Einsamkeit kann in allen Altersklassen auftreten
Und wenn dann die Tage auch noch kürzer werden, werde es noch schlimmer. Gerade in dieser Jahreszeit schlage die Einsamkeit besonders hart zu, erklärt Nicole Giefer: „Im Winter hat man oft das Gefühl, dass die Bordsteine hochgeklappt werden und selbst der Plausch mit dem Nachbarn seltener wird.“
Zu kalt. Zu dunkel. Zu wenig Menschen, die sich draußen aufhalten. „Da entsteht eine Einsamkeit auf dem Land, die man so erstmal gar nicht für möglich hält“, sagt die Pädagogin. Und das bei Menschen in allen Altersklassen. Nicole Giefer merkt das an den vielen Rückmeldungen der rund 450 Helferinnen und Helfer der Geno Eifel.
Beim Helferfest, das kürzlich stattfand, sei die zunehmende Einsamkeit Inhalt vieler Gespräche gewesen. Es lehne sich auch niemand zu weit aus dem Fenster, der von einer großen Dunkelziffer ausgehe. Einsamkeit versteckt sich oft, Betroffene maskieren ihre Hilfeersuchen – aus Scham. Eher nebenbei erfahren Nicole Giefer zufolge die Helferinnen und Helfer der Geno Eifel, dass die Menschen, denen sie bei der Bewältigung des Alltags unter die Arme greifen, nicht nur das Problem haben, mangels Auto oder ausreichendem ÖPNV zum Arzttermin oder zum Supermarkt zu kommen oder eben Unterstützung beim Austausch einer Glühbirne benötigen. Oftmals fehle es ihnen an einem Gespräch, an einer Person, die ihnen zuhört oder etwas mit ihnen unternimmt.
Wer gibt auch schon gerne zu, einsam zu sein? „Ältere Menschen haben damit weniger Probleme“, erklärt die Projektleiterin. „Die können besser damit umgehen. Die sagen dann: ,Mein Lebenspartner ist gestorben, oder ich bin geschieden.“
Bei Jugendlichen gilt soziale Isolation oftmals als uncool
Das sei sozial anerkannt. Bei 70- bis 90-Jährigen ist es auch nicht ungewöhnlich, dass gleichaltrige Bekannte und Freunde, mit denen man viele Jahre vieles unternommen hat, irgendwann nicht mehr da sind.
Anders ist es bei jungen Menschen. Wer sich da einsam fühlt, ist ein „Loser“ – in der Selbsteinschätzung, aber auch in der Einschätzung mancher Gleichaltriger. „Sich mit 16,17 oder 18 Jahren selbst als einsam zu bezeichnen, das würde kaum jemand tun“, sagt Pädagogin Nicole Giefer. Soziale Isolation in diesem Alter gilt als uncool in einer Welt, in der in Sozialen Netzwerken diejenigen gefeiert werden, die die meisten „Freunde“ und Follower haben, die meisten Klicks und die meisten „Daumen Hochs“.
Und das in einer Lebensphase, die ohnehin durch viele Veränderungen geprägt ist: Ausbildung, Uni, neue Umgebung. „In dieser Altersgruppe gibt es viele, die an Depressionen oder sozialen Ängsten leiden“, sagt Nicole Giefer. „Sie bitten uns dann um Begleitung bei Aktivitäten, die sie sich alleine nicht zutrauen: etwa zum Schwimmen gehen oder ins Kino.“
Geschwächtes Immunsystem und Depression können die Folge sein
Einsamkeit sei dann sowohl eine Folge körperlicher und seelischer Erkrankungen als auch deren Treiber. Das eine bedinge das andere, sagt Nicole Giefer: „Studien belegen, dass Einsamkeit Kreislauferkrankungen und ein geschwächtes Immunsystem zur Folge haben kann.“ Wer sich selbst als einsam empfinde, neige verstärkt zu Depressionen oder Angstzuständen.
Auch litten einsame Menschen verstärkt unter kognitiven Beeinträchtigungen: „Man weiß, dass ein Mensch, der sich allein und isoliert fühlt, weniger Gehirnaktivitäten hat.“ Es werde ja auch allgemein weniger miteinander gesprochen, stattdessen würden Kurznachrichten gesendet. „Wo kann man denn noch anrufen und hat ein echtes Gegenüber? Überall wird man mit irgendeiner KI verbunden“, stellt Nicole Giefer fest. Zeit für ein Gespräch sei Mangelware.
Senioren berichten, dass echte Gespräche nur selten stattfinden
Wie oft hätten sich früher Beschwerdeanrufe bei einem Unternehmen oder einer Behörde in einen netten Plausch verwandelt, wo am Ende der Beschwerdeführer (fast) den Grund seines Anrufes vergessen habe? Solche ungeplanten, netten Gespräche gebe es nur noch selten.
„Wir haben ja einige Beraterinnen und Berater“, erzählt Nicole Giefer von der Geno Eifel: „Da rufen Menschen an, einfach um sich mal ein paar Minuten zu unterhalten.“ Sie kennt aber auch die andere Seite: „Viele Senioren sagen, dass die Kinder schon mal schreiben und ein Bild schicken, aber Gespräche finden immer weniger statt.“ Dabei versuchten sie den Eindruck zu vermitteln, wie sehr sie sich über diese Kurznachrichten freuten. Ihr Gesichtsausdruck spreche aber oftmals eine andere Sprache.
Und dann erzählt Nicole Giefer von der älteren Dame, die früher mit ihrem Mann einmal im Jahr über den Rursee geschippert ist. „Sie hat das immer so gerne gemacht, doch dann ist ihr Mann verstorben.“ Vor ein paar Monaten habe dann eine Geno-Eifel-Helferin den gleichen Ausflug mit ihr unternommen. „Die Frau war danach so glücklich.“ Beim Helferfest habe sich eine Frau zu Wort gemeldet, so die Projektleiterin. „Sie, die psychisch beeinträchtigt ist, hat erzählt, wie wichtig es ihr ist, als Helferin Teil einer Gemeinschaft zu sein.“ Auch Helfen könne also helfen gegen die Einsamkeit, sagt Nicole Giefer.
Wann ist man allein und wann einsam?
Das Thema Einsamkeit stand kürzlich auch im Fokus des Helferfestes der Geno Eifel. In ihrem Vortrag „Einsamkeit – Worüber reden wir?“ setzten die Projektmanagerinnen Nicole Giefer und Franziska Heun Impulse und erklärten die Grundlagen. Nicht immer seien die Definitionen einfach, stellten sie klar. „Ein Mensch kann objektiv sozial isoliert sein, sich dabei aber keineswegs einsam fühlen, weil er sein Alleinsein nicht negativ bewertet“, hieß es im Vortrag.
Andererseits könnten Menschen, die objektiv vielen Menschen begegnen und somit nicht isoliert seien, einsam sein, weil die Intensität der Kontakte nicht ihren Wünschen entspricht, was in dem von den Referentinnen zitierten Satz deutlich wird: „Du kannst dir nicht selbst gute Nacht sagen.“ Ob aus Alleinsein oder auch dem Alleinleben Einsamkeit resultiere, hänge in entscheidendem Maße davon ab, ob das Alleinsein positiv bewertet und gelebt werden könne als Fähigkeit zum Alleinsein.
In einer besonderen Aktion schickten Helferinnen und Helfer der Geno Eifel bei dem Treffen herzliche Weihnachtsgrüße an Menschen im Krankenhaus oder Seniorenheim. Eine Botschaft lautete zum Beispiel: „Hallo, ich bin aus dem Helferteam der Geno Eifel und wünsche dir ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr.“ Solche kleinen Gesten sorgten für große Freude und unterstrichen den Sinn des Helfens, so Nicole Giefer.
Ein weiterer Höhepunkt war laut Nicole Giefer eine Achtsamkeitsübung mit Doris Linden-Schulz, die den Teilnehmern half, zur Ruhe zu kommen und sich selbst bewusst wahrzunehmen. Gerade im Zusammenhang mit dem Thema Einsamkeit habe die „Ruhezone“ eine wertvolle Gelegenheit geboten, innezuhalten und die eigenen Gedanken und Gefühle zu ordnen.
Der Dankbarkeitsbaum war ein weiteres Highlight. Hier konnten die Gäste Zettel hinterlassen, auf denen sie festhielten, wofür sie dankbar sind. Dieser Baum füllte sich im Laufe des Nachmittags immer mehr und symbolisierte die vielen kleinen und großen Dinge, die oft als selbstverständlich erachtet werden.
„Alles in allem war das Helferfest ein großer Erfolg, geprägt von Gemeinschaft, Inspiration und Dankbarkeit. Solche Erlebnisse zeigen einmal mehr, wie wertvoll jede helfende Hand ist und wie viel Freude das Miteinander schenken kann“, bilanzierte Nicole Giefer.