WunderläuferEr kam als Geflüchteter in die Eifel, nun startet er für Deutschland bei Olympia

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Samuel Fitwi beim Training: Er läuft über eine Tartanbahn.

Dass er schnell und vor allem ausdauernd schnell laufen kann, war Samuel Fitwi lange Zeit gar nicht bewusst.

Eine unglaubliche Geschichte: Der Mann aus der Eifel, der bald beim Marathon in Paris startet, wusste lange Zeit nichts von seinem Lauftalent.

Dieses Leben ist wie ein Film, im Zeitraffer gedreht, unvorstellbar, voller Unwahrscheinlichkeiten. Doch sein Hauptdarsteller ist kein Star. Schüchtern, zurückhaltend, konzentriert wirkt der junge Mann, der da gerade ein paar Runden auf der Laufbahn der Sportanlage des VfL Hillesheim dreht.

Er trägt das Stirnband eines seiner Sponsoren. Das ist das Einzige, das darauf hindeutet, dass der schlanke Läufer nicht irgendein Freizeitsportler ist.

Der 28-jährige Samuel Fitwi Sibhatu floh 2014 aus der Diktatur Eritreas über Äthiopien, das Mittelmeer und Italien nach Deutschland. In der Vulkaneifel wurde sein Lauftalent entdeckt. Heute ist Fitwi, der in Gerolstein lebt, einer der besten deutschen Marathonläufer aller Zeiten. Für sein neues Heimatland startet er in wenigen Wochen bei den Olympischen Spielen in Paris.

2014 machte sich Samuel Fitwi auf den Weg von Eritrea nach Europa

„Sehen Sie in Samuel bitte den Profisportler, der er seit fast vier Jahren ist, und nicht nur die Lebensgeschichte des Flüchtlings aus Eritrea“, bittet Jörg Ulmann, „väterlicher Freund und ab und zu Samuels Manager“, fast schon inständig. Das ist gut gemeint.

Aber man kann den Top-Leichtathleten ja nicht von seiner Vita trennen: Und da ist eben der heute 28-jährige Samuel Fitwi Sibhatu aus dem Bergdorf in Eritrea, der sich im Herbst 2014 mit drei Gleichaltrigen in einer Nacht auf die Flucht aus der Diktatur seines Heimatlandes macht. Die Eltern und vier kleinere Geschwister lässt er zurück. Das Ziel ist Europa und eine Zukunft in Freiheit.

Ein Porträtbild von Samuel Fitwi Sibathu.

Hat der Eifel nach eigenem Bekunden viel zu verdanken: Samuel Fitwi Sibathu.

100 Kilometer gehen sie zu Fuß bis nach Äthiopien. Dort wartet ein Schleuser auf die Gruppe. Er bringt das Quartett durch die Wüste bis an die libysche Küste. Überfahrt mit vielen weiteren Flüchtlingen in einem wackeligen Boot nach Italien. Ankunft Wochen später in einem Auffanglager in Trier. „Ja, die Flucht war hart und schwer, manchmal denke ich noch daran zurück“, sagt Fitwi.

In der Südeifel wurde das Talent von Samuel Fitwi Sibhatu entdeckt

Damals lebte er zunächst in einer Flüchtlingsunterkunft in einem Dorf bei Gerolstein. In einem Schulinternat in Neuerburg in der Südeifel absolvierte er den Unterricht der 6. bis 8. Klasse, lernte Deutsch. Erst an den Wochenenden, ab 2017 dann ganz, nahm ihn eine Familie in Stadtkyll auf. Fitwi begann eine Malerlehre.

Ja, die Flucht war hart und schwer, manchmal denke ich noch daran zurück.
Samuel Fitwi Sibhatu

Am Ende des Schuljahres 2016 wurde der Cooper-Test, ein international anerkannter Ausdauertest, benannt nach des US-Sportmediziner Kenneth H. Cooper, veranstaltet: Wie weit können Jugendliche in zwölf Minuten laufen? Drei Kilometer gelten als sehr gut. Samuel schaffte vier.

Es war die zweite Geburtsstunde des Samuel Fitwi Sibhatu, wenn man so will. Er ist der Wunderläufer aus der Eifel, der von seinem Talent nichts wusste. Schnell wurde eine kleine Laufgruppe bei der LG Vulkaneifel um den Physiotherapeuten und LG-Starter Yannick Duppich für Fitwi gegründet. Duppich wurde der Trainer des Laufwunders aus Eritrea.

Nach Eritrea wird er wohl nicht mehr zurückkehren können

Sofort sei klar gewesen, dass Fitwi ein Naturtalent sei. Doch wie weit würde dieses Talent reichen? Weit, denn wo immer er an den Start ging – er gewann oder war im Ziel einer der Ersten. Unter anderem wurde er 2020, 2021 und 2022 Deutscher Meister im Crosslauf, belegte 2019 den fünften Platz bei den Crosslauf-Europameisterschaften und setzte im Halbmarathon 2021 mit 61:54 Minuten ein erstes Zeichen auf den Extremdistanzen.

Die Malerlehre brach Samuel Fitwi Sibhatu 2022 ab und wurde Profisportler. Trainingspläne, Höhenlager in Äthiopien, Marketing und Medienarbeit, Sponsorensuche bestimmen seitdem abseits ausgewählter Rennläufe sein Leben. Er wechselte den Verein und ging zum Verein Silvesterlauf Trier.

Sein Trainer entdeckte und förderte das Lauftalent – von Beginn an 

Yannick Duppich, der das Lauftalent entdeckt und gefördert hat, aber ist bis heute sein Trainer. Bei Familie Linden, der er viel verdankt und die ihm den Start in der Eifel so erleichtert hat, ist Samuel ausgezogen. Er lebt heute in Gerolstein. Seit dem vergangenen Herbst mit einer Art Tunnelblick, das große Ziel vor Augen: den Start am 10. August bei den Olympischen Spielen in Paris. Dann steht dort der Marathon auf dem Programm.

Samuel hat die Etappen bis dorthin genau vorbereitet und die wichtigsten Teilziele schon erreicht: Beim Berlin-Marathon 2023 lief er mit 2:08:28 Stunden persönliche Bestzeit, die ihn auf den neunten Platz in der ewigen Bestenliste der deutschen Marathonis katapultierte.

Eine Familie in der Eifel nahm den Wunderläufer auf

Ebenfalls in Berlin lief er am 7. April 2024 eine neue Bestzeit von 1:01:33 Stunden über die 21,1 Kilometer, wurde damit bester Europäer und qualifizierte sich für die Europameisterschaften in Rom. Dort holte er am 9. Juni mit der Mannschaft Bronze auf der Halbmarathondistanz.

Sechs Sportler in gelben Trainingsjacken halten ihre Bronzemedaillen in die Kamera, die sie bei der Europameisterschaft in Rom gewonnen haben.

Die Bronzemedaille im Halbmarathon mit der Mannschaft feierte Samuel Fitwi Sibhatu (oben rechts) am 9. Juni in Rom.

Vorher war er erneut seit Monaten im Höhenlager auf 2500 Metern in Äthiopien, wo er Teil einer Trainingsgruppe aus Weltklasse-Marathonis und Langstreckenläufern ist. Nach Deutschland kommt er nur noch zwischendurch – die Sponsoren etwa wollen besucht werden. So bei seinem diesjährigen „Spendenlauf“ Mitte Juni.

Menschen in der Eifel haben ihm viel gegeben, nun will er sich revanchieren

Die Idee hatte Fitwi selbst. Er habe nicht vergessen, wie viel ihm die Menschen in der Eifel gegeben hätten, als er damals angekommen sei – eigentlich gestrandet, mit wenig mehr als den Kleidern, die er am Leibe trug. „Ich möchte der Eifel einfach etwas zurückgeben“, so sein Motiv für den Benefizlauf.

So dankt er auch den Behörden im Vulkaneifelkreis, die seinen Einbürgerungsantrag in knappen sechs Monaten bearbeiteten. Das war die Voraussetzung für sein Profisportlerleben, weltweite Starts, auch für Deutschland bei den Olympischen Spielen in Paris.

Aus dem Trainingslager in Äthopien geht es direkt nach Paris

Die letzte Hürde, die Samuel Fitwi Sibhatu auf dem Weg dahin nehmen musste, nahm er am 7. Januar 2024. In 2:06:27 Stunden unterbot er beim Dubai-Marathon die geforderte Olympianorm. Nun ist er einer von Dreien, die das seit Jahrzehnten stärkste deutsche Teilnehmerfeld bei Olympischen Spielen im Marathon bilden.

Zusammen mit Richard Ringer von der LG Rehlingen und Amanal Petras, Deutscher Marathon-Rekordhalter vom SSC Berlin, wird Samuel in die Stadt fahren, die er, wie zuvor Dubai und Berlin, noch nie gesehen hat: Paris. Auch Karl Fleschen, gebürtiger Dauner und letzter Vulkaneifeler bei Olympia, der 1976 in Montreal über 1500 Meter an den Start ging, drückt die Daumen.

Seit dem 15. Juni ist Samuel Fitwi erneut im Höhenlager in Äthiopien bei seiner Trainingsgruppe auf Zeit. Von hier aus wird er am 7. August nach Paris zum DLV-Team fliegen und am 10. August beim olympischen Marathon starten. „Der Parcours in Paris wird nicht einfach. Das Profil der Strecke ist hügelig. Es geht nach Versailles hinauf, immer entlang der touristischen Sehenswürdigkeiten“, so der Marathoni.

Auch schon die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles im Blick

Dabei ist Paris im so unwahrscheinlichen Leben des heutigen Profiläufers Samuel Fitwi Sibhatu streng genommen nur ein Zwischenziel. Es könne sein, dass der Start für die optimale Ausreifung seines läuferischen Potenzials zu früh komme, mutmaßt Manager Ullmann. So sind die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles eigentlich die Perspektive. Jährlich sind bis dahin zwei Marathons und ein Halbmarathon geplant.

„Als Junge bin ich allenfalls vor Hyänen weggelaufen oder mal auf dem Schulweg über acht Kilometer nach Hause gerannt“, erinnert sich Fitwi. Das machten schließlich fast alle Kinder seines Heimatdorfes so.

Lange vorbei, eine Art Vorleben, denn in den vergangenen zehn Jahren ist die Eifel für den Mann aus Eritrea zu „meiner neuen Heimat“ geworden. Ob er jemals seine Eltern und die Geschwister wiedersehen wird? „Zurückzukehren, ist viel zu gefährlich. Ich weiß nicht, was dann mit mir passieren würde“, erklärt er. Dieser lange Lauf zu sich selbst geht für Samuel Fitwi Sibhatu eben nur in eine Richtung.

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