Bei einer Razzia in Euskirchen-Kuchenheim wurden am 19.Oktober 1000 Waffen und Marihuana im Wert von 1,5 Millionen Euro gefunden.
Elf Tatverdächtige sitzen in Haft. Ein Teil von ihnen befindet sich im Rentenalter.
Wer sind die Täter? Und wie wirkt sich der Fund auf das Dorf aus? Eine Spurensuche in der Nachbarschaft.
Euskirchen-Kuchenheim – Eine Stahltür eben. Nicht besonders dick, nicht besonders gesichert. Eine, wie es sie in vielen Heizungskellern gibt. So beschreibt Udo Feuser die Tür, die das Lager seines Elektronikhandels von einer hochkriminellen Welt trennte – bis die Polizei diese Tür am 19. Oktober gegen 19 Uhr gewaltsam öffnete. Da kam ans Tageslicht, was in Kuchenheim niemand für möglich gehalten hätte: An die 1000 Waffen, darunter auch halb- und vollautomatische Kriegswaffen, wurden bei der Razzia in der alten Molkerei an der Willi-Graf-Straße ebenso entdeckt wie mehr als 2300 erntereife Marihuana-Pflanzen und weitere 2000 Stecklinge. Die Aachener Staatsanwalt beziffert den Schwarzmarktwert der Drogen auf 1,5 Millionen Euro. Elf Tatverdächtige sitzen nach Angaben von Jan Balthasar, Sprecher der Aachener Staatsanwaltschaft, in Untersuchungshaft.
Für einige Kuchenheimer ist die ehemalige Molkerei, für die Ende der 1980er Jahre das Aus kam, seit der Drogenrazzia am 19. Oktober eine Art Anziehungspunkt – um etwa noch eine Runde mit dem Hund zu drehen. „Ich glaube, dass viele Kuchenheimer schockiert darüber sind, dass sowas in ihrer Nachbarschaft passiert. Und nicht wie sonst in der Großstadt“, sagt Hamid Rabhioui. Er ist Kuchenheimer, Feuerwehrmann, Handballer und gut vernetzt. Auf dem Gelände sei immer viel los, weil dort mittlerweile zahlreiche Firmen ansässig seien. „Ich wohne Luftlinie 100 Meter von dem Areal entfernt und habe nix davon auch nur im Ansatz mitbekommen. Erst als die Polizei mit einem Großaufgebot vor der Tür stand“, so Rabhioui.
Nachbarn waren schockiert
Auch Feuser war schockiert. Keine 13 Stunden nach der Drogenrazzia sei er wie sonst auch zur Arbeit gefahren. Doch in Kuchenheim war nichts mehr „wie sonst auch“. Fünf Tage lang sicherten die Beamten Beweismittel und Spuren. Fünf Tage lang dauert es, bis alle Drogen und Waffen sichergestellt waren. „Da rechnet doch keiner mit. Ich habe nichts mitbekommen“, sagt er und fügt hinzu: „Die Polizeibeamten haben nicht einmal gefragt, ob ich ihnen helfen kann. Die wussten genau, was sie tun, was sie dort vorfinden.“
Natürlich habe er, nachdem die Stahltüre von der Polizei aufgebrochen worden sei, mal einen Blick in die Drogen-Halle geworfen, sagt Feuser: „Da war eine Heizungsanlage und moderne Lüftungstechnik verbaut. Die Wand zu unserem Lager war mit Montageschaum isoliert.“ Er erinnere sich an einen Tag im September 2019. Da habe er im Urlaub den Anruf eines Mitarbeiters erhalten. Der habe sich beklagt, dass im Lager der Elektronik-Firma der Strom ausgefallen sei. „Ich vermute, dass das der Moment war, als die mutmaßlichen Täter den Strom abgezwackt haben“, sagt der Chef der Elektronik-Firma.
Verdächtiger vermietete Autos an TV-Produktionen
Vor etwa eineinhalb Jahren habe die alte Molkerei, den Besitzer gewechselt. Ein Kölner Unternehmer, der Requisiten für TV-Produktionen beisteuerte, habe die alte Molkerei übernommen, genau wie das Einfamilienhaus direkt daneben. Seitdem stehen viele ältere Fahrzeuge hinter dem Gebäude: ein ausrangierter Rettungswagen, ein altes Feuerwehrauto, Motorräder, Transporter. Das Ensemble erinnert an einen Schrottplatz. Nach Informationen dieser Zeitung wurde ein Teil der Fahrzeuge des 50-Jährigen, der in den Augen der Staatsanwalt als Haupttäter infrage kommt, für TV-Produktionen vermietet.
Sollten die rund 1000 gefundenen Waffen ebenfalls für TV- und Filmproduktionen dienen? Dann würde sich aber die Frage stellen, warum die Waffen scharf waren und eine große Menge an Munition gefunden wurde. Für die Aachener Staatsanwaltschaft liegt der Schluss nahe, dass auch mit Waffen gehandelt worden sein könnte.
Über das Areal an der Willi-Graf-Straße legte sich nur wenige Stunden nach dem Zugriff am 19. Oktober durch die schwer bewaffneten Polizisten der Aachener Einsatzhundertschaften durchdringend-süßlicher Cannabis-Geruch. Auch einen Tag danach, als die Sicherstellung des Areals durch die Polizei in vollem Gang war, roch es extrem nach Marihuana. Bevor die Filter- und Lüftungstechnik abgeschaltet worden sei, habe man nichts, aber auch rein gar nichts gerochen, versichert Feuser, der mit seiner Firma im ersten Stock der alten Molkerei untergekommen ist.
Drogendeals zur Rentenaufbesserung?
„Am Anfang waren alle entsetzt, dass so etwas im Dorf passieren könne. Jetzt berührt es kaum noch jemanden“, sagt auch die 75-jährige Kuchenheimerin Adele Vara.
Der Kuchenheimer Niklas Müller sagt, die Geschehnisse hätten für reichlich Gesprächsstoff im Ort gesorgt. Vor allem, nachdem durch Zeitungsberichte die Dimension bekannt wurde. Darüber, dass ein Teil der mutmaßlichen Täter bereits jenseits der 70 ist, habe man sich amüsiert, so Müller: „Entweder waren sie ihr Leben lang kriminell und haben nun einen Fehler gemacht. Oder sie haben ihre Rente aufgebessert.“
Jürgen Lehner hat zwei größere Hallen auf dem weitläufigen Molkerei-Grundstück, das außerdem einen Gewerbepark beherbergt. Auch er hat nach eigenen Angaben nichts von der Drogenplantage in der Nachbarschaft mitbekommen. „Damit hat keiner gerechnet“, sagt er.
Alter der Verdächtigen ist auffällig
Auffallend ist bei den Festnahmen im Zusammenhang mit den Marihuana-Plantagen in Kuchenheim, Titz und Herzogenrath das Alter einiger der mutmaßlichen Täter.Eine Plantage mit 1600 Marihuana-Pflanzen in Titz soll von vier Männern im Rentenalter betrieben worden sein. Neben einem 64-Jährigen waren das ein 71-Jähriger und zwei 76-Jährige.
Auch für Jan Balthasar, Sprecher der Staatsanwaltschaft Aachen, ist das Alter der Männer auffallend. Haben sie ihre zu knappe Rente aufgebessert? Zur Motivation der Beteiligten, so Balthasar, könne er nichts sagen, da sich keiner der Festgenommenen in den polizeilichen Vernehmungen geäußert habe. Lediglich eine der in Kuchenheim verhafteten Frauen habe angegeben, dass sie das Geld gebraucht habe.
„Unsere Gesellschaft wird immer älter“, sagte Balthasar, „folglich auch das Alter von Straftätern.“ Aber das sei nur eine persönliche Mutmaßung.
Hat sich tatsächlich der Altersdurchschnitt von Straftätern erhöht? Werden mehr ältere Menschen wegen versteckter Altersarmut zu Straftätern, etwa bei Ladendiebstählen?
Bei der Kreispolizei Euskirchen will man das so „gefühlt“ nicht unterschreiben. Und auch der Blick in die Statistik der vergangenen beiden Jahre belegt diese Vermutung nicht. Lediglich in der Altersgruppe der 60- bis 69-Jährigen stieg die Zahl im Kreis Euskirchen von 126 in 2018 auf 221 im Folgejahr.
2018: Von 4175 ermittelten Tatverdächtigen entfielen 126 in die Altersgruppe 60 bis 69 Jahre, 63 waren zwischen 70 und 79 Jahre, 24 zwischen 80 und 89 Jahre sowie einer 90 Jahre alt.
2019: 4195 ermittelte Tatverdächtige. Altersgruppe 60 bis 99 Jahre: 221; 70 bis 79 Jahre: 75; 80 bis 89 Jahre: 25; älter als 90 Jahre: 3.
Vor allem in der „dunklen Jahreszeit“ wurden Cannabis-Plantagen ausgehoben
Beim jüngsten Drogenfund in der alten Molkerei in Kuchenheim wurden mehr als 2300 Cannabis-Pflanzen entdeckt. Vor zehn Jahren beschlagnahmte die Polizei etwa 1700 Cannabis-Pflanzen in zwei Häusern in Mülheim-Wichterich.
722 Cannabis-Pflanzen in verschiedenen Wachstumsstadien beschlagnahmte die Polizei im Bad Münstereifeler Höhengebiet. Die Polizei ging bei dem Fund am 10. November 2016 von einem Schwarzmarktwert von etwa 150 000 Euro aus. Am 15. Februar 2017 entdeckte die Polizei in einem Haus in Wüschheim an die 900 Cannabis-Pflanzen. Pro Ernte hätten die Pflanzen einen Wert von 300 000 Euro erbringen können, so die Beamten. Parallel dazu fanden Razzien in Köln statt. Sechs Tatverdächtige wurden festgenommen.
In Schönau beschlagnahmte die Polizei am 31. März 2017 etwa 1000 Marihuana-Pflanzen und nahm einen 53-Jährigen fest.
Hinter einer Schrankwand im Wohnzimmer wurden die Euskirchener Polizei am 24. November 2017 fündig. Bei der Durchsuchung eines Einfamilienhauses in einem Blankenheimer Außenort entdeckte die Kripo am Freitagmittag einen Verschlag, in dem etwa 120 Cannabis-Setzlinge gezüchtet worden sind.
Das Ziel am 6. Februar 2018 war ein Einfamilienhaus in Kleinvernich. Die Beamten der Kriminalpolizei Koblenz und Euskirchen hatten ein feines Näschen. In dem Haus fanden sie bei einer Drogenrazzia 2000 Cannabis-Pflanzen und zahlreiche Säcke mit abgeerntetem Marihuana. Parallel zur Razzia in Kleinvernich schlugen die Ermittler auch im rheinland-pfälzischen Ahrweiler zu. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Koblenz stellten die Beamten insgesamt etwa 2900 Cannabis-Pflanzen und 23 Kilo geerntetes Marihuana sicher.
Am 8. Oktober 2020 wurden 200 Cannabis-Pflanzen in einem Haus im Bad Münstereifeler Höhengebiet entdeckt.
„Großes Leistungsspektrum“
Der Bau einer „Cannabis-Rutsche“ in Wüschheim, eine Heizungsanlage für die Fahnder in Kleinvernich oder Einsatzkräfte, die in großer Höhe Lampen und Kabel abmontieren, die zuvor für die Aufzucht von Marihuana-Pflanzen eingesetzt wurden – immer wieder wird das Technischen Hilfswerk zu Drogenrazzien hinzugezogen. „Wir haben ein großes Leistungsspektrum, die Logistik und die entsprechenden Fachkräfte“, sagt Euskirchens THW-Zugführer Burkhardt Aehlich.
Manchmal bekomme er einen groben zeitlichen Vorlauf genannt, mal seien es so genannte Sofortalarmierungen. „Wenn Illegales hinter einer Wand vermutet wird, ist das für uns auch kein Problem. Auch einen Safe können wir bergen“, so Aehlich.
Wichtig sei, dass die THW-Behältnisse noch am Einsatzort von der Polizei versiegelt werden, berichtet Zugführer Aehlich: „Das ist auch für das ruhige Gewissen meiner Mitarbeiter bedeutsam.“