Nettersheim-Marmagen – Als Erwachsene noch einmal neu einen Sport anzufangen, ist gar nicht so einfach. Denn im Kreis fehlt es an Angeboten. Ich bin Julia, 28 Jahre alt, und auf der Suche nach einer neuen sportlichen Betätigung. In dieser Serie besuche ich verschiedene Vereine im Kreis und probiere aus, was sie für Anfänger anbieten. Dabei achte ich auf Anfängertauglichkeit, Teamgefühl und Aufwand.
Mit etwa 1000 Mitgliedern ist die SG Sportfreunde Marmagen-Nettersheim einer der größten Sportvereine im Kreis. Etwa 40 Mannschaften trainieren unter dem Dach der SG. Da muss doch auch etwas für Anfängerinnen wie mich dabei sein.
Keine Just-for-fun-Gruppen
„Das Angebot ist nur ein rudimentäres, leider“, enttäuscht mich der Vorsitzende Manfred Poth am Telefon. Auf Anhieb falle ihm nur Gymnastik ein, ich suche aber ja vor allem eine Alternative zu anonymen Fitnesskursen. Es gebe noch eine Hobby-Altherren-Fußballmannschaft, aber als Frau könne ich da auch nicht zum Training kommen. „Das ist ein Feld, das nicht sehr beachtet wird“, sagt Poth. Es werde beim ihm bislang auch nicht stark nachgefragt. Selbst in der Volleyball-Abteilung, die eine der größten Abteilungen im Verein und gerade bei Frauen und Mädchen beliebt ist, gebe es keine Just-for-fun-Gruppe. „Wenn sie so ein Angebot machen wollen, brauchen sie einen Übungsleiter, und der will bezahlt werden“, sagt Poth. Trainer seien schon für das bestehende Angebot immer schwerer zu bekommen.
Eine Feststellung, die auch andere Vereine im Kreis machen. Sportvereine bieten ihren Mitgliedern kostengünstig ein vielfältiges Angebot. Doch wer geringe Mitgliedsbeiträge erhebt, kann Übungsleitern auch nur eine Aufwandsentschädigung zahlen. Und anscheinend sind immer weniger Menschen bereit, ihre Freizeit dafür zu opfern. Zumal Fitnessstudios deutlich besser zahlen. Überhaupt seien diese eine sehr große Konkurrenz, sagt Poth. Dabei sei der Verein viel günstiger. Dennoch: „Der Trend geht ein bisschen weg vom Verein.“
Kooperationen mit Schulen und Kitas
Die SG bemühe sich über Kooperationen mit Schulen und Kitas weiter präsent zu bleiben, sei aber durch eine geringe Hallenkapazität zusätzlich gehandicapt. Denn sein Verein habe keinen Zugang zu einer Dreifachturnhalle.
Langfristig, so sagt Poth, müsse man auch in Vereinen auf Kurs-Mitgliedschaften setzen. Doch das sei ein großer bürokratischer Aufwand, im Prinzip brauche der Verein dann einen hauptamtlichen Geschäftsführer und der müsse ja auch von irgendjemandem bezahlt werden.
Ein Beispiel dafür, dass so etwas funktionieren kann, ist die Jiu-Jitsu-Abteilung der SG. Diese erhebe einen deutlich höheren Mitgliedsbeitrag als im Verein üblich, die Differenz behalte die Abteilung für die Anschaffung von Matten, Protektoren und mehr, erläutert Poth. Und die Abteilung existiere nun schon seit mehr als 30 Jahren. Dort seien auch immer Anfänger willkommen, egal welchen Alters, fällt ihm plötzlich ein.
Kein klassischer Teamsport
Jiu-Jitsu ist zwar auch nicht unbedingt ein klassischer Teamsport, aber ohne Trainingspartner geht es im Kampfsport nicht. Ich will es ausprobieren, vielleicht kann ich etwas aus meinem Judo-Kurs in der Grundschule reaktivieren.
Das Training beginnt donnerstags um 19 Uhr in der Turnhalle an der Eifelhöhen-Klinik. Weil ich die Halle nicht auf Anhieb finde, geht es etwas später los. Ich muss gestehen, ich bin vorab skeptisch. Zu Uni-Zeiten habe ich einmal einen Krav-Maga-Kurs besucht. Und das war mir zu martialisch. Anderen Menschen weh zu tun, ist eigentlich nicht so meine Art. Und auch wenn es beim Kampfsport meistens um Verteidigung geht und nicht um Angriff, ist mir diese Welt ein bisschen fremd.
Ritual zu Beginn
Das Training beginnt auf der Matte. Die beiden Großmeister stehen auf der einen, die Kursmitglieder auf der gegenüberliegenden Seite. Auf ein Kommando hin knien sich alle hin. Ein zweites Kommando – alle schließen die Augen. Ein drittes Kommando – alle verbeugen sich auf der Matte. Dann stehen alle wieder auf und verbeugen sich erneut. Dieses Ritual diene dazu, dass die Gruppe und die Großmeister sich gegenseitig ihren Respekt ausdrückten, erklärt mir Bernd Knoll, Großmeister und einer der Trainer der Gruppe. Auf mich hat es noch einen weiteren Effekt: Durch diesen konzentrierten Beginn werde ich ruhiger und fokussierter. Jetzt ist klar: das Training beginnt. Dadurch habe ich das Gefühl, man ist schneller bei der Sache als wenn man erst lange quatscht und sich dann irgendwie aufwärmt.
Teilnehmer sind bis zu 65 Jahre alt
Herkunft
Jiu-Jitsu kommt aus Japan und enthält Elemente aus Judo, Karate und Aikido. Es gibt sogenannte Schülergrade, die bis zum Braunen Gürtel gehen, und Meistergrade, alles ab dem Schwarzen Gürtel. Wer einmal einen Grad erreicht hat, behält ihn sein Leben lang. (jre)
Trainigszeiten
Die Jiu-Jitsu-Abteilung der SG Marmagen-Nettersheim trainiert eigentlich in der Turnhalle an der Kirche in Marmagen. Da diese aktuell renoviert wird, weicht die Gruppe noch bis zu den Sommerferien in die Halle an der Eifelhöhen-Klinik aus. Trainiert wird derzeit donnerstags: die Kinder von 17.30 bis 19 Uhr und im Anschluss die Erwachsenen. In ihrer normalen Halle könnten der Verein dann auch wieder eine zusätzliche Trainingszeit am Montag anbieten, sagt Bernd Knoll. (jre)
Alter und Ausrüstung
Die Erwachsenengruppe ist sehr durchmischt. Es sind Männer und Frauen dabei, und auch beim Alter gibt es keine Begrenzung. Der älteste Teilnehmer sei um die 65 Jahre alt, so Knoll. Bei den Kindern gehe es meist ab acht Jahren los. Für Erwachsene kostet die Mitgliedschaft 15 Euro im Monat, für Kinder sechs Euro. Die Anzüge, die aus Jacke, Hose und Gürtel bestehen, müssen sich die Teilnehmer selbst zulegen. Wer an Wettkämpfen und Lehrgängen teilnimmt, bekommt zudem einen Pass, in dem diese eingetragen werden. Wettkämpfe werden vom Verband organisiert und sind keine Pflicht. (jre)
Aufwärmen muss aber auch beim Jiu-Jitsu sein. Und das hat es in sich. Statt des bekannten Einlaufens, hüpfen wir. Auf den etwas nachgebenden Matten wird das für mich sehr schnell anstrengend. Es folgen ausgiebige Dehnübungen und ein Bauchmuskeltraining. Vor allem die Liegestütze haben es in sich. Das die Stimmung zwar konzentriert und diszipliniert, aber nicht bierernst ist, merke ich spätestens jetzt. Während alle unter den Liegestützen schnaufen, erinnert uns Großmeister René Litterscheidt daran, das Lächeln nicht zu vergessen.
Fallen will gelernt sein
Nach dem Aufwärmen geht es mit Fallübungen weiter. Hier wird die Gruppe geteilt, die Neulinge trainieren erst einmal für sich, während die Erfahrenen deutlich schwierigere Fallübungen absolvieren. Das sei das tolle am Jiu-Jitsu, sagt Knoll, man könne das Training immer auf die Leistungsfähigkeit der Gruppe anpassen, und dadurch, dass einige schon den schwarzen Gürtel haben, mangele es auch nie an Trainern. Allgemein sei es im Jiu-Jitsu sehr wichtig, das Fallen zu üben, um vulnerable Körperteile wie den Nacken und die Gelenke zu schützen.
Als Nächstes dürfen eine weitere Anfängerin und ich uns an Varianten versuchen, wie man einen Gegner abwehrt, der einen mit einer Hand an der Kleidung packt. Es dauert einen Moment, bis ich richtig verstanden habe, wie die einzelnen Griffe funktionieren. Wichtig ist: Sobald ich die Hand des Gegners packe, muss ich ihn gleichzeitig schocken. Das könne ein Tritt vors Schienbein sein oder ein Pusten oder Spucken ins Gesicht, sagt Litterscheidt. Das Schocken diene einzig als Ablenkung. Der zweite wichtige Punkt: Wir suchen immer einen Hebel, mit dem wir dem Gegner solche Schmerzen zufügen, dass er uns loslässt.
Verteidigungsübungen
Ein Beispiel: Mein Gegner packt mich mit seiner rechten Hand am Kragen. Ich packe sein Handgelenk mit links und trete ihm gleichzeitig vors Schienbein. Dann fahre ich mit meiner rechten Hand über die Hand des Angreifers und drücke mit meiner Handfläche gegen den Daumen. Und zwar gegen die Spitze. Mache ich das richtig, tut das meinem Gegner im Daumengelenk richtig weh und er lässt mich los.
Danach lerne ich noch einen anderen Weg, mich aus einem Griff zu lösen, und wie ich mich aus einer Umklammerung befreien und einen Faustschlag abwehren kann. Das Training ist vor allem kognitiv anstrengend, denn ich muss die ganze Zeit mitdenken. Es ist auch nicht so martialisch, wie ich mein Krav-Maga-Training in Erinnerung habe. Vielmehr ist es eine Mischung aus Beobachten, Verstehen und Nachmachen. Gerade am Anfang macht man alles sehr langsam. Es sei wichtig, dass ich verstehe, was ich da tue, erklärt mir Litterscheidt. Zudem müsse erst die Technik sauber sitzen, bevor Schnelligkeit hinzukomme. Ich muss mich so konzentrieren, dass ich kaum merke, wie die Zeit vergeht.
Korrektur von den Großmeistern
Am Ende führen alle Mitglieder der Gruppe das Geübte vor und werden dabei von den Großmeistern korrigiert. Bis auf einen Griff klappt es bei mir ganz gut. Zum Abschluss erfolgt das gleiche Ritual wie am Anfang.
Das Training hat mir unerwarteterweise richtig Spaß gemacht. Anfängertauglich ist es durch das gesonderte Training allemal. Teamgefühl kommt hier natürlich nicht so auf, wie bei einem klassischen Mannschaftssport, aber es ist auch nicht zu anonym. Was den Aufwand angeht, ist die Größe jedem selbst überlassen. Ob man zu Lehrgängen oder Wettkämpfen möchte, kann jeder selbst entscheiden. Wer Fortschritte sehen will, sollte allerdings regelmäßig am Training teilnehmen.