Am Dienstag haben Forstbedienstete Bäume in der vereinbarten Schutzzone um den Schwarzstorchenhorst gefällt.
Gerade dieser Horst und seine Bewohner spielen eine Hauptrolle im juristischen Tauziehen um den Windpark Dahlem IV.
Wegen der Schwarzstörche musste der Kreis die Bauarbeiten an den fünf Windkraftanlagen stoppen.
Kreis Euskirchen – Irene Hugo wollte ihren Ohren und Augen nicht trauen. Als sie am Dienstag auf einem Spaziergang im Dahlem/Schmidtheimer Wald den Horst der Schwarzstörche „an der Urftquelle“ ansteuerte, vernahm sie das Kreischen von Motorsägen und das Krachen eines fallenden Baumes. Im Bereich des Horstes stieß sie auf Waldarbeiter, die gerade mit einem Trecker einen Baumstamm aus dem Horstbereich auf einen Waldweg zogen. Und das, obwohl ein Bereich von 100 Meter um den geheim gehaltenen Horst herum im Dezember als Schutzzone deklariert worden war.
Besonders brisant: Gerade dieser Horst und seine Bewohner spielen eine Hauptrolle im juristischen Tauziehen um den Windpark Dahlem IV. Weil die Belange der Schwarzstörche nicht ausreichend berücksichtigt worden seien, musste der Kreis nach einem Eilantrag des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) und einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster bereits im Juli 2017 die Bauarbeiten an den fünf Windkraftanlagen, die dort errichtet werden, stoppen. Im September 2018 hob das Verwaltungsgericht Aachen die vom Kreis erteilte Genehmigung auf. Der Kreis, dem für den Fall, dass die Räder nicht weitergebaut werden dürfen, Schadenersatzforderungen in zweistelliger Millionhöhe drohen, hat gegen dieses Urteil Berufung beim Oberverwaltungsgericht in Münster beantragt.
Frau alarmierte Naturschutzbehörde
Irene Hugo dokumentierte mit Fotos, dass nur 30 Meter entfernt vom Horst Laubbäume gefällt worden waren. In Höhe des Horstes sei vom Trecker eine „dicke Schneise“ vom Weg in den Wald gefahren worden. Sie alarmierte sofort die Untere Naturschutzbehörde des Kreises.
Nur wenige Wochen zuvor hatten in einem Ortstermin das Regionalforstamt, der Förster der Gemeinde Dahlem und die Untere Naturschutzbehörde vereinbart, dass im Bereich des Horstes keine weitere Durchforstung durchgeführt wird. Besonderer Schutz, so bestätigte die Kreisverwaltung am Freitag auf Anfrage der Redaktion, genieße hierbei ein Bereich von 100 Meter um den Horst. Bei diesem Termin sei außerdem vereinbart worden, dass die alte Rückegasse aufgegeben werde und die bereits dicht aufkommende Buchenverjüngung im Bereich des Weges als Sichtschutz bestehen bleibe.
Schwarzstorch gehört zu streng geschützten Arten
Hintergrund dieser Maßnahmen war, dass vor einigen Jahren im Bereich des Schwarzstorchhorstes eine umfangreiche Durchforstung stattgefunden hatte. Es sei nicht belegt, aber auch nicht auszuschließen, so Kreispressesprecher Wolfgang Andres, dass der Horst deshalb über viele Jahre nicht besetzt gewesen sei. Erst 2017, just als mit dem Bau der Windkraftanlagen des Windparks Dahlem IV begonnen worden sei, habe es dort wieder eine erfolgreiche Brut des seltenen und scheuen Waldvogels gegeben. Der gehört laut Bundesnaturschutzgesetz zu den streng geschützten Arten.
Andres bestätigte nach Rücksprache mit der Unteren Naturschutzbehörde die Darstellung von Irene Hugo. Im direkten Bereich um den Horst seien punktuell Bäume entnommen worden. Im Rahmen der Forstarbeiten seien zudem zwei Fahrgassen entstanden, wodurch auch der natürliche Aufwuchs, der als Sichtschutz entlang des Weges dienen sollte, zerstört worden sei. Durch die Entnahme der Bäume, so die Kreisverwaltung, sei das Umfeld des Horstbaumes in einer Weise verändert worden, dass eine Entwertung der Fortpflanzungsstätte nicht ausgeschlossen werden könne und der Horst möglicherweise von den Schwarzstörchen nicht mehr genutzt werde.
Bürgerinitiative will Strafanzeige erstatten
Um zu prüfen , ob die Befürchtung von Vogelschützern vor Ort, dass die Störche den Horst nach den Fällungen vom Dienstag nicht mehr nutzen könnten, berechtigt sind, schaltete der Kreis das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz ein und bat um fachliche Unterstützung. Die forstlichen Maßnahmen, so der Kreis, widersprächen klar der im Dezember getroffenen Vereinbarung. Sollte sich ergeben, dass der Eingriff eine Beschädigung der Fortpflanzungsstelle darstelle, handele es sich zumindest um eine Ordnungswidrigkeit.
Irene Hugo und ihre Mitstreiter der kleinen Bürgerinitiative gegen den Windpark Dahlem IV sind empört. Claudia Rapp-Lange erhebt massive Vorwürfe: „Das Forstamt von Dahlem entwertet diesen Bereich seit 2010 in einem schleichenden Prozess, in dem immer weiter Einzelbäume entnommen werden.“ Sie wollen Strafanzeige erstatten.
Bürgermeister spricht von menschlichem Versagen
Der Dahlemer Bürgermeister Jan Lembach traf sich am Donnerstag mit Vertretern der Unteren Naturschutzbehörde und des Regionalforstamts am Storchenhorst. Im Gespräch mit der Redaktion übernahm er die Verantwortung für das Geschehen. Es seien entgegen der Vereinbarung einzelne Schadbäume im Rahmen der Brennholzwerbung gefällt worden. Dabei handele es sich um menschliches Versagen eines Mitarbeiters.
Das sei dem Mitarbeiter auch sehr deutlich gemacht worden. Lembach: „Was soll ich noch sagen. Die Sch... ist nun mal passiert.“ Dafür müsse er als Bürgermeister jetzt gerade stehen. Befürchtungen, dass die Störche wegen des nun mangelnden Sichtschutzes nicht zum Horst zurückkehren könnten, hält er aber für überzogen. Es sei auch nicht richtig, von Schneisen zu sprechen, die am Horst entstanden seien.
Nach Angaben von Lembach und Förster Ditmar Krumpen handelt es sich um drei Buchen. Zwei dieser Bäume, das zeigten sie bei einem Termin vor Ort, seien ohnehin Windwurf gewesen. Umgeklappte Wurzelteller und die Art der Schnittkanten belegten dies. Der dritte Baum, 40 Meter vom Horst entfernt, sei gefällt worden. Bei ihm liege ein Pilzbefall vor. Diese Bäume werden nun als Brennholz genutzt. Sie zählen zu den bis zu 1200 Festmetern, die im 3000 Hektar großen Gemeindewald als Brennholz geschlagen werden. Insgesamt beträgt der Einschlag laut Krumpen rund 17.000 Festmeter.
Forstbedienstete müssen Schulungen besuchen
Im Bereich um den Horst herrscht insgesamt ein lichter Bestand. Laut Krumpen, der in diesem Areal seit 30 Jahren aktiv ist, haben dort immer wieder Auslichtungen stattgefunden – jedoch nicht mehr, seitdem der Storchenhorst entdeckt wurde. Die Durchforstung der Buchen sei im Forst gang und gäbe, um möglichst eine Dauerwald-Gesellschaft zu erreichen.
Laut Kreis wurden jetzt kurzfristige Maßnahmen mit dem Regionalforstamt abgestimmt. Die durch die Fahrgassen entstandenen Bodenverletzungen werden beseitigt. Im Gassenbereich sollen mehrreihig größere Erlen als Sichtschutz gepflanzt werden. Darüber hinaus sollen die Forstbediensteten der Gemeinde Dahlem zur zeitnahen Teilnahme an Schulungen zum Arten- und Naturschutz im Zusammenhang mit forstlichen Belangen verpflichtet werden.
Der Windpark Dahlem IV
Für die Kreisverwaltung und für die Betreiberfirma war das Urteil des Aachener Verwaltungsgerichts vom 28. September 2018 eine krachende Niederlage. Die sechste Kammer unter dem Vorsitz von Richter Peter Roitzheim hatte dem Kreis bei der Genehmigung des Windparks Dahlem IV beachtliche Verfahrensfehler attestiert.
Die Prüfung von Umweltauswirkungen auf den Schwarzstorch seien fehlerhaft gewesen. Zufällige Wahrnehmungen von Flugbewegungen im Rahmen einer Raumnutzungsanalyse des Rotmilans reichten nicht aus. So sei der Horst in nur 500 Meter Entfernung von einer der Anlagen nicht näher untersucht worden. Auch seien Aktivitäten des Schwarzstorchs nicht vertieft betrachtet worden. Aus Sicht des Gerichts liegt außerdem ein stark erhöhtes Kollisionsrisiko vor, so dass ein Abschaltszenario von Anfang März bis Ende August tagsüber vorzusehen sei. Nach Ansicht des Aachener Verwaltungsgerichts gibt es keine Aussicht, dass das Bauvorhaben mit Blick auf die Gefährdungen des Schwarzstorchs überhaupt genehmigungsfähig ist.
Dem Kreis droht eine millionenschwere Bauruine
Mit diesem Urteil ist der Kreis Euskirchen, der den Windpark im Dezember 2016 genehmigt hatte, ganz und gar nicht einverstanden. Aus Zweifel an der Richtigkeit des Urteils hat die Kreisverwaltung am 21. Dezember 2018 beim Oberverwaltungsgericht in Münster die Zulassung der Berufung beantragt.
Für Josef Tumbrinck, den Landesvorsitzenden des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), der gegen die Baugenehmigung für den Windpark Dahlem IV geklagt hatte, kommt der Schritt des Kreises nicht überraschend. „Das ist in einem Rechtsstaat ein ganz normales Vorgehen. Wenn wir in Aachen verloren hätten, hätten wir das vermutlich auch gemacht.“ Schließlich drohten dem Kreis eine millionschwere Bauruine und daraus resultierende Schadenersatzansprüche. Die Firma, die die Windanlagen errichte, habe ja in dem guten Glauben mit dem Bau begonnen, eine rechtskräftige Genehmigung zu haben.
Es kommt auf den Standort an
Eine Prognose, wie das Verfahren in Münster ausgehe, könne er trotz der klaren Ansagen der Aachener Richter nicht geben. Anders als der Kreis sieht er in diesem Rechtsstreit auch weniger eine grundsätzliche Bedeutung, etwa im Hinblick auf Windkraftanlage in Waldbereichen. Gegen diese sei der Nabu nicht grundsätzlich. Im Gegenteil: Die Landesregierung wolle ja im Landesentwicklungsplan festschreiben, dass im Wald grundsätzlich keine Windkraftanlagen errichtet werden dürfen.
In seiner Stellungnahme habe der Nabu aber deutlich gemacht, dass in einer waldreichen Region durchaus Anlagen auch im Wald, etwa in großflächigen Fichtenforsten, möglich sein sollten. Es komme immer, wie im Fall von Dahlem IV, auf den konkreten Standort an. Und darauf, dass die Naturschutzbelange ausreichend gewürdigt werden. (pe/ch)