Köln – Sie werden heute 70 Jahre alt und ich vermute, das vergangene Jahr dürfte zu einem der anstrengendsten gehört haben?
Das kann ich ganz sicher sagen. Neben der Tatsache, dass es ein Corona-Jahr war, war es eben auch das Jahr, in dem ich als Apostolischer Administrator für viereinhalb Monate das Erzbistum Köln geleitet habe. Das hat mich an die Grenze meiner Kräfte gebracht - und auch darüber hinaus. Ich habe alle privaten Anliegen absolut minimieren müssen. Das kann man sicherlich mal für eine kurze Zeit tun. Aber ich sage Ihnen auch ganz ehrlich: Es war ein ganz großes Gefühl der Erleichterung, diese Verantwortung auch wieder abgeben zu dürfen.
Der Vorsitzende des Katholikenausschuss, Gregor Stiels, dankte Ihnen beim Dreikönigsempfang mit den Worten: „Viel geht, wenn Vertrauen geht: Wir konnten es kurz erfahren, mit Ihnen als Diözesanadministrator, lieber Herr Weihbischof Steinhäuser. Ihr Zuhören, Ihr Zutrauen, Ihre Offenheit über eigene Grenzen und Möglichkeiten hinweg und Ihre Transparenz haben uns in dieser kurzen Zeit sehr gut getan, vielen Dank dafür.“ Tut das nicht gut? Gibt das nicht auch etwas zurück?
Ja, das kann ich schon sagen. Ich bin ja eingestiegen in diese Aufgabe mit einem steilen Satz: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ Wenn mich die Leute nun fragen: „Na, wie war es mit dem Wunder, hast du es erlebt?“, dann muss ich einen Umweg über Lourdes machen. Anerkannte Heilungen gibt es dort nur 68. Aber Hunderttausende kommen aus Lourdes verändert zurück, mit der Erkenntnis: Das war ein wichtiges Erlebnis, das hat mir gut getan, da ist an mir etwas heiler geworden. Das würde ich auch jetzt sagen: Ich habe in meiner Zeit als Administrator viel Wunderbares erlebt. Aber nicht das spektakuläre eine Wunder.
Zur Person
Rolf Steinhäuser, Jahrgang 1952, hat in Bonn und Regensburg studiert - unter anderem bei Josef Ratzinger - , wurde 1977 zum Priester geweiht und war Bonner Stadtjugendseelsorger (1984 bis 1989) sowie Diözesanjugendseelsorger (1990 bis 1996), in letzter Funktion zugleich Rektor von Haus Altenberg. In Düsseldorf war er Pfarrer an St. Lambertus und Stadtdechant. 2006 wurde Steinhäuser zusätzlich nicht residierender Domkapitular in Köln und konnte damit an der Wahl von Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki (2014) teilnehmen. Die Düsseldorfer ließen den populären Stadtdechanten nicht gerne gehen, als Woelki ihn 2015 als Beauftragten für die Neuevangelisierung nach Köln holte. Gleichzeitig wurde Steinhäuser residierender Domkapitular. Am 14. November 2015 ernannte ihn Papst Franziskus zum Weihbischof.
Haben Sie die Hoffnung auf das spektakuläre Wunder aufgegeben und sind schon mit dem Wunderbaren zufrieden?
Diese Hoffnung gebe ich nicht auf. Da bleibe ich Realist. Aber es läuft mit Wundern eben nicht immer genau so, wie man sich das denkt oder wünscht. Es wäre aber ungerecht, sich da zu fixieren, indem man sagt, alles andere hat keine Bedeutung. Ich habe in meiner Zeit als Apostolischer Administrator so viel an Bereitschaft und gutem Willen erlebt. Menschen, die gesagt haben: Wir wollen wieder mitarbeiten, uns engagieren. Das war schon beeindruckend. Allein, was mir an Vertrauen entgegengebracht wurde. Es ist wie mit dem Lob aus dem Katholikenausschuss: Ich durfte ein bisschen einen warmen Regen erleben. Das hat mich sehr gefreut. Damit hatte ich nicht gerechnet. Denn das einzige Ziel, das ich mir gesetzt hatte, lautete: Du musst es irgendwie überstehen.
Hat sie das bestärkt in Ihrer Berufung?
Ich sage es mal so: Ein Bischof sollte ein Brückenbauer sein, der Spannungen aushält, der Menschen ermöglicht, einen Weg zueinander zu finden. Darin fühle ich mich schon gesehen und bestärkt.
In der Zeit Ihrer Zuständigkeit wollten sie den Umgang des Erzbischofs mit Geldern aus dem sogenannten BB-Fonds prüfen lassen. Konkret ging es um 2,8 Millionen Euro, die im Zuge der Missbrauchsgutachten unter anderem für Berater ausgegeben wurden, ohne dass dies mit kirchlichen Gremien abgesprochen wurde. Rom schob die Prüfung bis zur Rückkehr des Kardinals auf. Nun liegt das Ergebnis vor und besagt: Alles in Ordnung. Der Kardinal kann ohne Rücksprache über das Geld verfügen. Hatten Sie das erwartet?
Jetzt bin ich ja kein Jurist. Ich habe das nach Rom weitergeleitet, weil ich es nicht beurteilen kann. Ich bringe den Vorgang mal auf eine Formel: Ich glaube, die Römer haben geprüft, ob da ein Verstoß gegen das geltende Kirchenrecht vorliegt. Davon haben sie den Erzbischof frei gesprochen. Jedoch im Bewusstsein vieler Menschen liegt das Problem woanders. Für sie ist es anstößig, dass ein Bischof ohne Rückversicherung so handeln kann. Sie wünschen sich eine andere Gewalten-, eine andere Machtverteilung. Es ist im Kern auch hier ein Kommunikationsproblem, bei dem Erwartungen und Ansprüche sehr weit auseinander gehen. Ich glaube, dass ist der Knackpunkt bei vielen Problemen, die wir im Erzbistum haben.
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Die Kirche ist heute keine Volkskirche mehr …
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Wann?
Es gibt im Grunde seit Generationen Menschen, die keinen direkten Bezug mehr zur Kirche haben. In Ostdeutschland kann man es mit Händen greifen. Die Schlagworte dazu kennen wir alle: Individualisierung, Säkularisierung… Wir sind in einem langwierigen gesellschaftlichen Umbruchsprozess, an dem alle gesellschaftlichen Großgruppierungen Anteil haben: die Parteien, die Vereine, die Gewerkschaften. Zusammen mit den Fehlern, die wir als Kirche selbst zu verantworten haben, hat sich der Abbruch der Volkskirche dadurch verstärkt.
Sie werden heute 70 Jahre alt. Grund genug, sich etwas zu wünschen: Wie sollte für Sie die Kirche der Zukunft aussehen?
Ich wünsche mir, dass die Kirche eine Sprache findet zu den Herzen der Menschen. Und dass die Menschen ihr eine Chance geben, dass sie sich einlassen auf das Angebot des Glaubens. Ich bin sicher ein Mann der Kirche. Aber viel mehr noch als um die Kirche geht es mir um Jesus Christus. Ich lebe meinen Glauben an Jesus Christus im Rahmen der katholischen Kirche. Aber der Systemerhalt ist für mich dabei nicht das Primäre.