Rückblick und BilanzPolizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa geht in Ruhestand
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Als Ursula Brohl-Sowa im November 2011 ihr Amt als neue Bonner Polizeipräsidentin antrat, da stand nur wenige Wochen später mit der Afghanistan-Konferenz im Bundesviertel und auf dem Petersberg für sie und ihre Beamten eine „Herkulesaufgabe“ bevor, wie sie damals sagte. Höchste Sicherheitsstufe hieß es seinerzeit unter anderem für US-Außenministerin Hillary Clinton und den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai.
Doch konnte die neue Polizeichefin – erstmals saß eine Frau auf dem wichtigen Posten; sie war Nachfolgerin von Wolfgang Albers, der nach Köln gewechselt war – noch nicht ahnen, dass es im Jahr 2017 sicherheitstechnisch gesehen noch etwas dicker kommen sollte: Zur Weltklimakonferenz COP 23 kamen 20 000 Menschen aus aller Welt an den Rhein, für deren Sicherheit Brohl-Sowas Polizeibeamte – unterstützt durch zahllose Kräfte von außerhalb – zwei ganze Wochen lang sorgen mussten.
Sind diese Mammutkonferenzen in der einstigen Hauptstadt am Rhein DIE Herausforderungen für die Bonner Polizei? Ja, sagt die Polizeichefin, die Ende des Monats in den Ruhestand geht und im Gespräch mit der Rundschau zurückblickt auf ihre Amtszeit und die besonderen Ereignisse in den Jahren. Trotz der Unterstützung aus anderen Behörden sei die Bonner Polizei bei der COP 23 an ihre Grenzen gekommen. „Den Kolleginnen und Kollegen wurde damals viel abverlangt.“
Doch die Bonner Bürger sind, das stellte Brohl-Sowa schon bei der Afghanistan-Konferenz fest, diese Großereignisse und die mit ihnen verbunden Einschränkungen gewohnt. Mit einem Schmunzeln spricht die scheidende Polizeichefin von einen „Glänzen in den Augen“ älterer Bonner, die sich an die Hauptstadtzeiten erinnert fühlten. Bei der COP 23 habe die Polizei im Vorfeld sehr, sehr viel Öffentlichkeitsarbeit auch über die sozialen Medien betrieben und sowohl Bürger als auch Unternehmen angesprochen. Brohl-Sowa: „Es ist keine einzige Beschwerde über die Klimakonferenz reingekommen. Nicht eine. Im Gegenteil. Wir haben von den ausländischen Delegierten sehr viele Komplimente und Lob über die Bonner Polizei gehört. Das war sehr schön.“
Ausnahmeereignisse sind das eine, die alltägliche Polizeiarbeit das andere. Schaut man auf die nackten Zahlen, ist Brohl-Sowas Bilanz sehr gut. Ein Beispiel: Die Zahl der Unfälle stieg zwar von 2012 mit 15 758 Fällen auf 17 263 im Jahr 2019, doch die Zahl der Verkehrstoten hat sich von 20 (2011) auf 6 (2019) verringert. Und darunter seien, sagt Brohl-Sowa, „atypische Verkehrsunfälle“, beispielsweise als im April in Bornheim ein Traktor losrollte und einen 82-Jährigen tödlich verletzte .
Ein Grund für die positive Entwicklung bei den Verkehrstoten sieht die Polizeichefin auch darin, dass es in Bonn „keine große Raser- und Poserszene gibt“. Auch habe wohl die Diskussion über Rechtsabbieger gefruchtet, bei der Radfahrer durch Lkw gefährdet sind. In der Region gebe es Gott sei Dank überwiegend leicht Verletzte.
Hintergründe
Die Juristin Ursula Brohl-Sowa ist seit Mitte November 2011 Polizeipräsidentin in Bonn. Ihr Präsidium mit rund 1400 Beamten ist zuständig für die Städte Bonn, Bad Honnef und Königswinter sowie im linksrheinischen Rhein-Sieg-Kreis für Alfter, Bornheim, Swisttal, Rheinbach, Meckenheim und Wachtberg. In dieser Region leben rund 557 000 Menschen.
Brohl-Sowa war nach dem Studium 1982 in den NRW-Landesdienst eingetreten und im Bau- und Innenministerium tätig. Die 64-Jährige ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und seit Dezember einen Enkelsohn.
Im Ruhestand will sie noch einmal studieren: Sie und ihr Mann haben sich als Gasthörer an der Universität Köln eingeschrieben, und zwar an der Philosophischen Fakultät.
Ihr Nachfolger Frank Hoever (59) tritt am 1. April seinen Dienst an. Der gebürtige Bonner ist seit 2017 Direktor des nordrhein-westfälischen Landeskriminalamts in Düsseldorf. (csc)
Ein zweites Beispiel: Die Zahl der Straftaten lag 2012 bei 49 157, im Jahr 2019 waren es nur noch 35 264, wie die jüngste vorgelegte Kriminalstatistik ausweist. Das liegt indes auch daran, dass viele Onlinedelikte dort nicht erfasst sind, weil der Server irgendwo im Ausland steht und bei der Erfassung das Tatortprinzip gilt, wie Brohl-Sowa erklärt. Sie glaubt, dass die klassischen Straftatbestände abnehmen und sich ins Internet verlagern werden. „Ich denke, dass ist das Kriminalitätsfeld der Zukunft. Gerade im Betrugsbereich. Das Internet ist Segen und Fluch zugleich“, so Brohl-Sowa unter anderem mit Blick auf das Darknet.
Auch deshalb versuche die Polizei IT-Kräfte zu gewinnen, hat aber gerade am Standort Bonn Mitbewerber durch viele Bundesbehörden und große Dax-Unternehmen. „Ich wüsste nicht, wo die Konkurrenzsituation in Nordrhein-Westfalen annähernd so groß ist wie hier bei uns in Bonn.“
Einen besonderen Fokus hat die Bonner Polizei unter Brohl-Sowas Leitung auf den Tannenbusch und seine Drogenkriminalität gelegt, wo Razzien inzwischen nahezu an der Tagesordnung zu sein scheinen. „Ich glaube, wir sind inzwischen bei 140 Jahren Gefängnis angekommen“, sagt die Polizeichefin mit Blick auf die Verurteilungen, die dank der Arbeit der Ermittlungsgruppe Tannenbusch – oft in Zusammenarbeit mit der Stadt oder auch dem Zoll – erreicht worden sind. „Wir werden weiterhin in Tannenbusch aktiv werden. Wir wissen, wie die Strukturen sind und wo wir hingucken müssen.“
Fall Niklas wühlt die Menschen auf
Am anderen Ende der Stadt, in Bad Godesberg, sorgte Anfang Mai 2016 die Attacke auf den damals 17-jährigen Niklas, der von jungen Männern angegriffen wurde und eine Woche später starb, für Entsetzen und große Trauer.
Warum hat der Fall Niklas die Menschen so aufgewühlt? „In Bad Godesberg herrschte eine große Verunsicherung. Gar nicht so sehr wegen der Kriminalitätsbelastung, sondern durch die sichtbaren Veränderungen, die stattgefunden haben, im Stadtbild, bei den Geschäften.“ Die Bürger hätten ihr bei Versammlungen gesagt, sie fühlten sich fremd in ihrem eigenen Stadtteil. „Der Fall Niklas ist der Kristallisationspunkt dieser Entwicklung. Da ist ein junger Mann angegriffen worden und letztlich zu Tode gekommen durch eine Gruppe von Jugendlichen.“
Die Bonner Polizei habe damals sofort reagiert und ein Präventions- und Interventionskonzept umgesetzt, bei dem Kontrollen an bekannten Treffpunkten Jugendlicher sowie in verschiedenen Parkanlage und Schulhöfen vorgesehen sind. „Die Straßenkriminalität in Bad Godesberg“, sagt Ursula Brohl-Sowa, „ist schon über einen längeren Zeitraum zurückgegangen.“ Die Kontrollen dauern bis heute an, betont die Polizeichefin, die übrigens die Zusammenarbeit mit den Bürgermeistern im Zuständigkeitsbereich des Bonner Präsidiums als „super gut“ bezeichnet.
Doch man sieht und hört der Bonner Polizeipräsidentin im Gespräch noch immer an, dass sie der tragische Tod eines ihrer Beamten extrem mitgenommen hat: Im November 2018 wird einem damals 22-jährigem Polizisten im Polizeipräsidium auf dem Weg zum Schießtraining von einem Kollegen in den Nacken geschossen, er wird schwer verletzt. Zwei Wochen später ist er tot. Ob es ein Unfall oder eine Verwechslung einer Dienst- mit einer Übungswaffe war – „eine vollständige Aufklärung des Unglücksfalls war nicht möglich“, sagt das Gericht im September 2019 und verurteilt den 23-jährigen Schützen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung.
„Das war furchtbar“, sagt Ursula Brohl-Sowa über den tragischen Fall. „Das war der Tiefpunkt meiner Präsidentschaft, wenn ich das so sagen darf. Ein Drama ohne Ende.“ Man habe sich intensiv um die Familie des Opfers – es kommt aus einer Polizistenfamilie – gekümmert, aber auch um den Schützen, der nicht mehr im Polizeidienst ist. Dessen Leben sei auch zerstört. Brohl-Sowa: „Ich wüsste niemanden, den diese Geschichte nicht zutiefst mitgenommen hat.“