Die Bebauung des Geländes der ehemaligen Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen in Bonn-Roleber ist ein heißes Eisen im Bonner Kommunalwahlkampf.
Das dürfte ein Grund sein, warum sich der Ton zwischen Gegnern und Befürwortern einer großflächigen Nutzung des Areals jüngst drastisch verschärft hat.
Zu der Bebauung läuft auch ein städtebaulicher Wettbewerb. Dessen Ergebnisse erfährt die Öffentlichkeit am Montag nach dem Wahltag.
Bonn – These 14 im bonn-o-mat lautet: „Die Stadt Bonn weist auf ihrem Stadtgebiet keine weiteren Flächen für Wohnungs- und Gewerbebau mehr aus.“ So weit, wie es diese These in der Online-Entscheidungshilfe für die Wähler zur Kommunalwahl formuliert, würde in Hoholz, Roleber und Kohlkaul wohl niemand gehen.
Doch viele Bonner, die in diesen rechtsrheinischen Vierteln auf dem Ennert-Höhenzug leben, stellen sich seit Jahren die Frage, wie sich ihr beschauliches Vorstädter-Leben verändern könnte, wenn ein in Roleber geplantes bis zu sieben Hektar großes Baugebiet Wirklichkeit wird. Denn auf der Höhe liegt die ehemalige Zentrale der Landwirtschaftskammer (LWK) Nordrhein-Westfalen, die dort 2015 auszog. Hier an der Siebengebirgsstraße soll das neue Wohnviertel entstehen.
100 oder 500 Wohnungen?
Es geht dabei um 100 oder 500 Wohneinheiten, um Verkehrsprobleme, wenn die künftigen Neubürger Rolebers von der dörflich strukturierten Höhe in die Stadt zur Arbeit fahren, um die Nähe des neuen Wohnviertels zu einem Naturschutzgebiet. Und es geht auch darum, wer die Neubürger sein werden.
Wie sehr die gegensätzlichen Positionen sich nach jahrelangen Diskussionen zu diesen Fragen unversöhnlich gegenüberstehen, kann man schon daran erkennen, dass noch nicht einmal Konsens darüber besteht, ob es in der morgendlichen Rushhour bereits jetzt ein Verkehrsproblem auf den wenigen Straßen von der Höhe ins Rheintal gibt oder nicht.
Von Seiten der Grünen wird auf dieses Verkehrsproblem hingewiesen. Die Partei lehnt gemeinsam mit den Linken und der Wählervereinigung Bürgerbund Bonn eine über die bisherige Ausdehnung der Landwirtschaftskammergebäude hinausgehende Bebauung des Areals an der Siebengebirgsstraße ab. Aus der SPD heraus wird die Existenz von Verkehrsproblemen für die Bonner aus den Höhendörfern dagegen rundweg negiert. SPD, CDU und FDP sind gemeinsam für eine Erschließung eines sechs bis sieben Hektar großen Areals für Wohngebäude. Das würde weit über die bisherigen Bebauungsgrenzen hinausgehen.
2014 herrschte noch große Einigkeit
Rückblick: Noch zur Kommunalwahl 2014 schlossen Vertreter von CDU, SPD und Grünen unisono eine zusätzliche Bebauung des Areals der Landwirtschaftskammer mehr oder minder deutlich aus. Lediglich der vorhandene Gebäudekomplex der Kammer sollte zu Wohnhäusern umgebaut, Gewächshäuser abgerissen und dort weitere Wohngebäude errichtet werden, insgesamt etwa 110 Wohneinheiten.
In den Jahren darauf rückten CDU und FDP von dieser Haltung ab. In einer aktuellen gemeinsamen Stellungnahme von CDU und FDP im Rat der Stadt Bonn heißt es nun: „Mit der Bebauung um die ehemalige Landwirtschaftskammer in Roleber wird ein erheblicher Beitrag zur Siedlungserweiterung und Infrastrukturverbesserung geleistet.“ Auch die SPD befürwortet das.
Zum Verfahrensstand heißt es auf Anfrage dieser Zeitung aus der Bonner Stadtverwaltung, es finde derzeit ein städtebaulicher Realisierungswettbewerb statt, an dem sich sechs Architekturbüros beteiligten. Am 9. September, vier Tage vor der Kommunalwahl, befinde das Preisgericht über den Siegerentwurf. Ziel des Wettbewerbs sei es, ein „ein qualitativ hochwertiges städtebauliches Konzept im Wohnungsbau für einen möglichst breiten Bevölkerungsquerschnitt zu entwickeln und den Ortsteil Roleber mit zusätzlicher Infrastruktur zu ergänzen“.
Auch zur Zahl der maximal möglichen Wohneinheiten nimmt die Verwaltung Stellung. Auf sechs bis sieben Hektar Land sollten maximal 500 Wohnungen entstehen.
Ergebnisse des städtebaulichen Wettbewerbs am 14. September
Vorgestellt werden sollen die Wettbewerbsergebnisse am Montag, 14. September, genau einen Tag nach der Kommunalwahl. Es wäre naiv anzunehmen, dass dieses Timing nicht mit Absicht so gewählt wurde, um mit dem Thema nicht noch vor der Wahl neue Unruhe unter den Bürgern auf der rechtsrheinischen Bonner Höhe zu schüren.
So wundert es nicht, dass nicht wenige dort sich insbesondere von der CDU verschaukelt fühlen. Tatsächlich schreibt die Partei in einem Flyer zur Kommunalwahl wolkig, sie trete für eine „angepasste Bebauung um die LWK“ ein. Die Bonner Christdemokraten gehen mit dieser unkonkreten Formulierung darüber hinweg, was seit längerem klar ist.
Die Sahle Wohnen GmbH, mittlerweile Eigentümerin des in städtischen Plänen als „Baufeld 1“ gekennzeichneten sechs bis sieben Hektar großen Areals, hat der Stadt nach einem Bericht des Bonner General-Anzeigers vom April 2019 schriftlich gegeben, sie wolle die Bestandsgebäude der ehemaligen Landwirtschaftskammer abreißen, weil sich ein Umbau der als Bürogebäude errichteten Immobilie zu Wohnungen wirtschaftlich nicht rechne.
Christoph Kapitza, einer der Bürger in Roleber, die sich so ein Verhalten der Politik gegenüber ihrem Stadtteil nicht gefallen lassen wollen, reagiert angesprochen auf den städtebaulichen Wettbewerb zunächst mit Ironie: „Das ist ja super geschickt von Politik und Verwaltung, das Ergebnis dieses Wettbewerbs erst einen Tag nach der Kommunalwahl zu veröffentlichen.“ Doch dann wird er deutlich: „Das ist eine Frechheit!“
Kapitza wie auch der „Freundeskreis Lebenswertes Roleber“ wehren sich gegen den Abriss der LWK-Gebäude, die sie als „identitätsstiftend“ für ihr Viertel bezeichnen und befürchten, dass auf dem Gelände eher 500 statt 100 Wohnungen entstehen. Außerdem warnen sie, dass auf weiteren Flächen – den „Baufeldern 2 und 3“ – an der LWK noch mehr Wohnungen entstehen könnten. Kapitza: „Über die Hälfte des auf dem Baufeld 1 geplanten Wohnraums wird geförderter Wohnraum sein.“
Er habe nichts gegen den Bau von Sozialwohnungen, so Kapitza weiter, aber man müsse sich als Stadt immer überlegen, wohin man die baue. „Wir haben hier in Roleber schon soziale Brennpunkte.“
Auch der Verkehr sei bereits jetzt ein Problem. Und wenn das LWK-Areal mit hunderten neuen Wohnungen bebaut werde, reiche auch die vorhandene Kanalisierung von Regen- und Abwassern nicht mehr aus. „Was ist mit den Kanalbaukosten? Werden die dann auf alle Anwohner umgelegt?“, fragt Kapitza.
Er hat sich mit einem Offenen Brief sogar an den Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) gewendet und sich darin über den Wahlwerbe-Flyer der CDU beschwert, der mit semantischen Spielereien die Wähler täusche. Eine Antwort von Sridharan hat er bisher nicht bekommen.
CDU hat im Wahlkreis viel zu verlieren
Dafür bekam er eine Email von Georg Fenninger, dem CDU-Stadtverordneten für Holzlar und Hoholz und Vize-Fraktionsvorsitzenden der CDU im Bonner Stadtrat. Fenninger wirft Kapitza „haltlose und unbegründete Einlassungen“ sowie eine unredliche Argumentation vor.
Fenningers harsche Reaktion könnte ein Indiz für Nervosität in der CDU sein. Denn die Partei hat im Wahlkreis 35, zu dem Roleber gehört, einiges zu verlieren. Bei der Kommunalwahl 2014 kam sie dort auf einen Stimmenanteil von über 41 Prozent, mehr als doppelt so viel wie die SPD.
Auch Bert-Justus Moll, planungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Stadtrat, lässt die Einwände aus Roleber nicht gelten. „Alle schreien immer nach bezahlbarem Wohnraum. Aber wenn es um die Realisierung geht, ist die CDU allein schuld. Wir haben uns mit der SPD darauf geeinigt, das Baufeld 1 als Siedlungsgebiet auszuweisen.
Seit 1. September ist es jetzt so im Regionalplan ausgewiesen“, sagt er auf Anfrage dieser Zeitung. Seine Partei sei der Meinung, dass dort, wo bereits versiegelte Fläche sei, auch gebaut werden solle.
Bonn wächst und braucht neuen Wohnraum
Moll verweist auf den Wohnraumbedarf in Bonn. Tatsächlich gehen Prognosen davon aus, dass Bonns Bevölkerung in den kommenden 15 Jahren um neun Prozent oder etwa 30.000 Menschen wachsen wird. Moll zufolge bedeutet das einen Bedarf von 18.000 Wohneinheiten. „Die derzeitigen Bauvorhaben sehen 3500 vor.“
Der Bedarf spreche also für mehr Bebauung in Roleber. Natürlich gehe es immer auch um eine Abwägung mit Fragen des Klima- oder Landschaftsschutzes. Aber die CDU haben immer offen über ihre Pläne für Roleber gesprochen. „Ich habe kein Verständnis dafür, wenn die dortigen Bewohner sich verschaukelt fühlen.“
Dieter Schaper, Sprecher der SPD im Wirtschaftsausschuss des Stadtrates, betont, über das Wieviel der Bebauung sei noch nicht entschieden. Die Gesamtfraktion der SPD stehe aber hinter der Bebauung von Baufeld 1. Er gehe davon aus, dass die LWK-Gebäude abgerissen würden. Er sehe auch keine Verkehrsprobleme, die „allein durch die Bebauung ausgelöst würden“.
Kanalisationsprobleme müsse man technisch klären. Im Übrigen werde im Bebauungsplanverfahren die Versickerung von Regenwasser in Mulden auf dem Plangelände gefordert. Die Ängste der Bewohner würden aber berücksichtigt. „Weder die Stadt noch die Sahle Wohnen kann da machen, was sie wollen.“
Die Wohnungsbaugesellschaft aus Greven nördlich von Münster wollte sich auf Anfrage nicht zu ihren Plänen in Bonn-Roleber äußern. Auch eine Begründung für ihr Schweigen war nicht zu erhalten.
Krischan Ostenrath, sachkundiger Bürger der Grünen im Umweltausschuss des Stadtrates, sagt: „Der Zankapfel ist: Wie sieht die Bebauung aus?“ Er persönlich könne sich mit einer Größenordnung von 100 Wohneinheiten auf dem Gelände der LWK anfreunden. Aber: Es gebe Indizien, dass CDU und SPD auch die Baufelder 2 und 3 – eine Fläche von noch einmal mehrere Hektar – für Bebauung erschließen lassen wollten.
Dazu gebe es auch bereits Überlegungen der Architekturbüros, die an dem städtebaulichen Wettbewerb teilnehmen. Ein Teil des Baufeldes 2 liegt allerdings im Landschaftsschutzgebiet.
Ostenrath hält die großflächige Bebauung wie die Grünen in Bonn insgesamt für den falschen Weg: „Das ist das typische Zusiedeln von Freiflächen. In Roleber gibt es da aber zahlreiche Probleme.“ Ostenrath nennt neben dem Verkehr und der ungenügend ausgelegten Kanalisation auch die Funktion des Höhenzuges als Kaltluftbahn, die das Kleinklima im gesamten rechtsrheinischen Beuel positiv beeinflusse. „Wir haben als Grüne grundsätzliche Vorbehalte gegen dieses Baugebiet.“
Und so warten die Wähler in Roleber, Kohlkaul, Holzlar und den anderen rechtsrheinischen Höhendörfern gespannt auf den Wahlabend am kommenden Sonntag. Vom Wahlergebnis hängt vermutlich ab, in welchen Dimensionen das Bauvorhaben auf dem Gelände der Landwirtschaftskammer schließlich einmal verwirklicht wird.