Der nachwachsenden Rohstoff Miscanthus wird am Campus Klein-Altendorf angebaut und erforscht. Auch auf einem zweiten Versuchsfeld hat er bereits seine Tauglichkeit gezeigt, Wasser zurückzuhalten.
Wasserspeicher für Feld und WaldCampus Klein Altendorf experimentiert mit Miscanthus
Der nachwachsende Rohstoff „Miscanthus“, landläufig auch als Chinaschilf bekannt, besitzt hervorragende Dämmeigenschaften, weiß Masterstudentin Friederike tho Seeth. Aus dem Schilf gewonnene Biomasse eigne sich außerdem als Tierstreu, Torfersatz oder Heizmaterial – und biete Schutz gegen Überschwemmung. Die junge Frau schreibt ihre Abschlussarbeit mit dem vielversprechenden Titel „Retentionspotential von Miscanthus“ im Studiengang Nutzpflanzenwissenschaften bei Professor Ralf Pude von der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn. Der Experte ist auch wissenschaftlicher Leiter des Campus Klein-Altendorf.
In dessen Forum hatte Angela Gilges als Vorsitzende des Vereins „LEADER Region Voreifel – Die Bäche der Swist“ eingeladen. Thema war, zweieinhalb Jahre nach der Flut vom Juli 2021, der „Wasserrückhalt in Landwirtschaft und Wald“. Die zahlreichen Besucher kamen teils auch aus Ahrweiler, Köln, Euskirchen und Belgien. Gilges konstatierte einführend: „Starkregen, Flutereignisse wie 2021 oder Dürre beeinträchtigen nicht nur unser Leben, sondern auch die landwirtschaftliche Arbeit.“
Anhand konkreter Beispiele für Maßnahmen sollten sich die Teilnehmer mit den Experten darüber austauschen, wie eine Anpassung an diese Ereignisse aussehen kann, ohne dabei die wirtschaftliche Seite aus den Augen zu verlieren. „In mehreren Impulsen zeigen wir Maßnahmen und Optionen auf, beispielsweise zum Einsatz von Miscanthus oder zur Nutzung naturnaher Hecken.“
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Als Baustoff und zum Hochwasserschutz bewährt
Dass Chinaschilf nicht nur ein Baustoff mit besserer Dämmeigenschaft als Glaswolle ist, sondern sich etwa in Bengen (Kreis Ahrweiler) als Hochwasserschutz bewährt habe, erfuhren die Besucher von Professor Pude und Friederike tho Seeth. Gerd Möhren, Landwirt in dem Grafschafter Ort, habe die nicht in Europa heimische Kultur quer zum Hang angebaut und einen gewissen Hochwasserschutz sowohl für seine Felder sowie das in einem engen Tal liegende Dorf erreicht, so tho Seeth. Zudem gebe es inzwischen zwei Versuchsfelder auf einer alten Obstbaumfläche bei Altendorf: „Miscanthus kann bei Überschwemmungen über die Halme atmen und geht nicht kaputt.“
Eine neu gegründete Arbeitsgemeinschaft untersuche die Abfluss- und Retentionspotentiale bei Starkregenereignissen anhand von Testflächen im Einzugsgebiet des Erftverbands, die mit mehrjährigen Biomassepflanzen wie Miscanthus und Silphie bewirtschaftet werden, so Pude. Sinnvoll sei es, auf einigen Flächen und nicht überall Miscanthus zu kultivieren: „Dann haben wir einen Benefit für die ganze Region.“ Auch bei Tieren sei das Schilf als Rückzugsfläche beliebt, berichtete der Professor bei einem Ausflug zu den campuseigenen Versuchsfeldern.
Der Forscher hatte im Winter Zwergmäuse beobachtet, die in ein Meter Höhe ein kugeliges Nest aus Halmen gebaut hätten. Die schnell wachsende Nutzpflanze binde überdurchschnittlich viel CO₂ und trage zur Reduzierung von Nitrat in den Böden bei. Einmal gepflanzt könne Miscanthus im Frühjahr geerntet werden und wachse danach aus den alten Wurzeln nach, und zwar bis zu fünf Zentimeter am Tag. Ihre drei bis vier Meter hohen Stängel können laut Möhren gehäckselt zum Beispiel zur Energiegewinnung genutzt werden. Das Schilf lasse sich gehäckselt oder auch als Großballen gut lagern.
Genossenschaft könnte Absatzproblem lösen
Der Anbau von Miscanthus sei zwar lukrativ, doch habe sich der Landwirt selbst seinen Absatzmarkt schaffen müssen, räumte Pude ein. Inzwischen beliefert Möhren Pferde- und Erdbeerbetriebe. Der Odendorfer Handwerker Raimund Bayer erachtete die Notwendigkeit der Eigenvermarktung als Nachteil und sprach sich für eine genossenschaftliche Vermarktung aus. Angela Gilges stellte Ideen zur Weiterverwertung von Heckenschnitt, der Becherpflanze Silphie und Miscanthus zur Wärmegewinnung vor; Projektideen in der Region um Euskirchen und Rheinbach diskutierten Sascha Bach und Cornelia Chemnitz von der LEADER-Arbeitsgruppe „Wald“.
Das LEADER Projekt „Ausgeheckt“ kombiniere naturverträglichen Heckenschnitt mit einer Verwertung der Hackschnitzel für Nahwärmenetze, so Gilges. In einem hessischen Heckenprojekt werde im Rahmen einer Studie untersucht, inwieweit das Schnittgut Gas und Öl in Privathaushalten ersetzen könne, um von fossilen Brennstoffen unabhängiger zu werden und CO₂ einzusparen. Die erfolgreich verlaufene Tagesveranstaltung sei „der erste wichtige Schritt, um zum Beispiel auch bundesländerübergreifende Kooperationen im LEADER Rahmen zu initiieren“, sagte Gilges zufrieden über das Engagement und die hohe Teilnehmerzahl.
Einzelne Dorfgemeinschaften hätten Impulse zum Wasserrückhalt und zur Wärmewende bereits aufgenommen. Lob kam von einzelnen Landwirten, die den guten Willen und die Ernsthaftigkeit der Veranstalter schätzten. Teilnehmer gewannen den Eindruck, dass die Initiatoren bei der Umsetzung der Maßnahmen tatsächlich helfen und unterstützen wollten. Gilges: „Das ist das Allerwichtigste, und hier werden wir in den nächsten Schritten mit der Förderung und Unterstützung von kleinen, aber sehr feinen und besonders innovativen Leuchtturmprojekten in unserer Region und darüber hinaus genau dies auch beweisen müssen: Dass wir tatsächlich vernetzend und helfend auch an der Seite der Landwirte stehen wollen und werden.“
Vom Land NRW ernannt
Um den Bioökonomie-Standort Nordrhein-Westfalen zu stärken und die Chancen und Herausforderungen umfassend zu analysieren, hat die Landesregierung einen Bioökonomie-Rat NRW eingesetzt. Dem unabhängigen Beratungsgremium gehören mit den Professoren Ralf Pude und Monika Hartmann gleich zwei Fachleute aus der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn an.
Geforscht wird unter anderem zu biologisch abbaubaren Kunststoffen, klimaneutral hergestelltem Zement und nachhaltig produziertem Leder aus Pilzen. Die 15 Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wurden jüngst berufen. Zusammen sollen sie in den kommenden zwei Jahren an einer Bioökonomie-Strategie für Nordrhein-Westfalen mitwirken. Wirtschafts- und Klimaschutzministerin Mona Neubaur: „Die innovative Nutzung von Biomasse und neue biotechnologische Methoden leisten einen zentralen Beitrag für die klimaneutrale Transformation der Industrie und eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft.“
Den Agrarwissenschaftler Pude freut die Berufung in den Bioökonomierat-NRW. Bislang habe der Transfer wissenschaftlichen Wissens in die Praxis viel zu lange gedauert: „Das möchte ich durch mein Engagement ändern.“ Nachholbedarf gebe es bei Anbauanreizen für Landwirte. Das Verbot für Landwirte, auf stillgelegten Flächen nachwachsende Rohstoffe anzubauen, sei ein „Unding“. Ralf Pude hat die Professur „Nachwachsende Rohstoffe“ am Institut für Nutzpflanzenwissenschaften und Ressourcenschutz (INRES) inne und ist wissenschaftlicher Leiter am Campus Klein-Altendorf. Der Forscher entwickelte einen Leichtbeton und andere Bau- und Werkstoffe, die auf Miscanthus und anderen Pflanzen basieren. Den Campus Klein-Altendorf baut er zum Nachhaltigkeitscampus aus.