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Rhein-Sieg-KreisSPD fordert Corona-Impfung rund um die Uhr

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Das Covid-19-Vaccine von Astrazeneca steht den Hausärzten im Rhein-Sieg-Kreis nun für Über-60-Jährige zur Verfügung. Jetzt werden Prioritäten festgelegt, dann die Patienten informiert.

Rhein-Sieg-Kreis – Genervte Impfwillige, gestresste Ärzte, gereizte Politiker – die Ankündigung eines „Sonderkontingents“ an Astrazeneca-Impfstoff im Rhein-Sieg-Kreis durch Landrat Sebastian Schuster hat Wellen geschlagen – vor allem, weil der Impfstoff zu Ostern noch nicht da war und viele Hausärzte nicht auf dem Laufenden waren. Erst am Mittwoch ist er nun in den Kommunen eingetroffen: 14 000 Dosen für den Rhein-Sieg-Kreis. Ein Hintergrund: In Deutschland darf Astrazeneca-Impfstoff nur noch für Personen ab 60 Jahren genutzt werden.

„Die Ärzte in der Region haben über die Ostertage zu Recht mal die Füße auf den Tisch gelegt“, verteidigt Dr. Oliver Funken seine Kollegen. Der Mediziner ist als Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung zwar an Ostern selbst nicht zur Ruhe gekommen. Die Impfzentren haben durchgearbeitet. Aber der seit 1987 zugelassene Mediziner gesteht den Kollegen durchaus zu, nicht alle Mails sofort zu lesen. „Allerdings“, betont er, „hat sich zum 1. April die Aufklärung zum Impfstoff von Astrazeneca geändert und einzig diese neue Verordnung gilt.“

Schnelltest

200 positive Corona-Schnelltests meldeten die Testzentren im Rhein-Sieg-Kreis in der 13. Kalenderwoche. Insgesamt sind vom 29. März bis Ostersonntag 61 542 Proben ausgewertet worden. Die 0,3 Prozent der Getesteten, die „positiv“ waren, mussten zum dadurch für sie kostenfreien PCR-Test und in Quarantäne. Die Zahl der „Bürgertests“ stieg überproportional zur Einrichtung neuer Testzentren, von denen es nun 180 im Kreis gibt. Eine Woche zuvor leisteten knapp 150 Zentren 13 386 Tests.

Am Heimerzheimer Drive-in, der Gründonnerstag öffnete, wurden in der ersten Woche mehr als 1600 Personen auf Corona getestet, vier davon positiv. Ein Schnelltest ist dort mit und ohne Termin möglich, montags bis freitags von 6 bis 19 Uhr, am Wochenende von 8 bis 19 Uhr. (rom)

testzentrum-rhein-sieg.de

Funken und seine Verbandskollegen dämmen gerade das Chaos ein. „Zuerst die Bevölkerung beruhigen, dann die Kollegen. Es haben sich viele benachteiligt gefühlt. Die Telefone sind heißgelaufen. Die Information über die konkrete Lieferung des Impfstoffs gibt es seit Dienstag.“

Funken hat die Verteilung des Impfstoffs aus dem „Sonderkontingent“ für Rheinbach übernommen. „Es waren schon etliche Kollegen da und haben ihren Anteil abgeholt“, sagte Funken am Mittwochnachmittag. „Jeder bekommt drei Pakete. Sie enthalten jeweils 30 Dosen. Bis Ende der Woche wird alles weg sein.“

Neue Charge des Biontech-Impfstoffs eingetroffen

Parallel ist am Mittwoch laut Funken auch eine neue Charge des Biontech-Impfstoffs eingetroffen. Er wird nur an Ärzte ausgegeben, die ihn rechtzeitig bei den Apotheken bestellt haben. „Wer das von den Kollegen nicht getan hat, kann erst wieder für die Lieferung in der nächsten Woche bestellen“, sagt Funken.

Für Impfwillige bleibt nach Auskunft des Mediziners nicht mehr zu tun als bisher: „Sie können sich bei ihrem Hausarzt auf die Warteliste setzen lassen. Der Arzt entscheidet dann nach der Priorität und wird sich melden, sobald eine Impfung möglich ist.“ Funken weist darauf hin: „Es geht nicht um Menschen, die totsterbenskrank sind.“ Nichtsdestotrotz ist zunächst einiges an Aufregung einzudämmen. Die SPD fordert „klare Kommunikation und Information“ und hat eine Sondersitzung des Ausschusses für Inklusion und Gesundheit beantragt, die Aufklärung „und eine Entschuldigung des Landrats“ bringen soll. „Das Kommunikationschaos rund um die Sonderimpfung im Rhein-Sieg-Kreis muss umgehend gestoppt werden“, fordert der Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion, Denis Waldästl. „Wir befinden uns in einer kritischen Phase der Pandemie und beginnen mit Sonderwegen und Experimenten“, machte der Fraktionschef seinem Ärger Luft.

Astrazeneca-Ansturm zeigt hohe Impfbereitschaft

Allerdings sieht die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Katja Ruiters, auch das Positive an der Situation: „Der Ansturm auf das Sonderkontingent des Astrazeneca-Impfstoffs für die über 60-Jährigen zeigt, dass es eine hohe Impfbereitschaft gibt.“ Diese hohe Impfbereitschaft dürfe jedoch nicht „durch organisatorisches Versagen und Kommunikationschaos“ gefährdet werden, so Ruiters. Mehrere Dutzend Bürger hätten sich an die SPD-Kreistagsfraktion gewendet, nachdem sie von der landesweiten Hotline sowie der Bürgerhotline des Kreises an die Hausärzte verwiesen worden seien. Den Hausärzten seien aber die „Schwerpunktärzte“ nicht bekannt gewesen, bei denen es den Impfstoff geben sollte. Statt einer Perspektive gebe es Chaos, reklamierte Waldästl. Wer einen Sonderweg mit dezentralen Impfungen gehen wolle, müsse dies organisatorisch und kommunikativ vorbereiten, findet er. Die SPD-Fraktion wundert sich, warum das Impfzentrum des Rhein-Sieg-Kreises laut Landrat nicht für die Verwendung von Astrazeneca geeignet sei, aber die Impfzentren der anderen Kreise. So fordert die SPD „zusätzliche Impfstraßen“ und längere Öffnungszeiten. Eigentlich müsse rund um die Uhr geimpft werden, findet Waldästl. Den Sozialdemokraten stört es, wie er mitteilte, dass der Landrat die Verantwortung auf die Kassenärztliche Vereinigung und die Hausärzte im Kreis abschiebe.

FDP wirft Landrat falsche Corona-Politik vor

Auch von der FDP Meckenheim kommt Kritik. Die Liberalen werfen dem Landrat „eine eklatant falsche Corona-Politik zum Schaden der Menschen vor“. Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Heribert Brauckmann teilte mit: „Was Landrat Sebastian Schuster mit dem Satz beschreibt, er habe mit seiner Impfpolitik alles richtig gemacht, entpuppt sich bei genauer Betrachtung als leicht vermeidbares Versagen.“ Statt wie im übrigen Land Nordrhein-Westfalen Impftermine über die bekannte Telefonnummer oder das Internet für Menschen über 60 Jahre zu vergeben, funktioniere das Verfahren im Rhein-Sieg-Kreis nicht. Die Empörung darüber sei nicht nur verständlich, sondern „vollkommen berechtigt“. Die Politik muss nach Ansicht der FDP verhindern, dass Menschen den Eindruck gewinnen, sie lebten in der Corona-Pandemie leider zur falschen Zeit am falschen Ort. Im internationalen Vergleich mit USA, Großbritannien oder Israel liege Deutschland mit seiner Impfpolitik weit zurück, erklärte Brauckmann. In Deutschland liege NRW zurück, in NRW sei der Rhein-Sieg-Kreis Schlusslicht. Die Menschen lebten aber nicht am falschen Ort, führte der Liberale weiter aus, sondern sie würden falsch regiert. An der jeweiligen Entscheidungsstelle sitze der falsche Mann.

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Außerhalb des Kreishauses glätten sich indes die Wogen. Viele Ärzte haben ihrer potenziellen Impfkundschaft Informationsschreiben zugestellt. Meist wird die Kundschaft auf die kommende Woche vertröstet, vor allem aber über die Einteilung in Priorisierungsgruppen aufgeklärt.

So lange nicht Impfstoff im Überfluss zur Verfügung steht, impfen die meisten Ärzte nur Patienten bei einem erkennbar hohen Risiko. Für jeden wird individuell festgelegt, wie groß aus medizinischer Sicht der Bedarf an einem Infektionsschutz durch eine Impfung ist. Auch das Alter spielt bei der Bildung einer Reihenfolge eine Rolle. Ein gesunder Mensch über 60 Jahre wird so schnell also eher nicht geimpft.