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Katholiken in Bornheim und AlfterGläubige ziehen Konsequenz aus Missbrauchs-Umgang

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Kirche

Symbolbild

Bornheim/Alfter – „Ich bin traurig über die Vorgänge in Köln“, sagt Matthias Genster. Er ist leitender Pfarrer und für die insgesamt 35 000 Katholiken in den 18 Pfarrgemeinden zwischen Bornheim-Walberberg und Alfter-Witterschlick zuständig. Der Umgang der Kölner Bistumsleitung mit Missbrauchsfällen sorgt zurzeit für Ärger an der Basis. „Da muss aus Köln ganz schnell Klarheit kommen“, betont er. Zum Teil könne er die Menschen verstehen, die der Kirche zurzeit den Rücken kehren: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass mit dem neuen Gutachten, das am 18. März veröffentlicht werden soll, die aktuellen Probleme der katholischen Kirche aus der Welt sind.“

Damit spricht der Geistliche vielen Christen aus der Seele. Denn offenbar viele von ihnen wünschen sich Reformen. Für Kerstin Völker-Stenzel (58) kämen die allerdings zu spät. „Ich hatte die Nase voll“, betont die Alftererin, die auch bei der Initiative Maria 2.0 aktiv ist. Am 1. Januar 2021 ist sie aus der katholischen Kirche ausgetreten und wurde Mitglied der Altkatholiken in Bonn. Ihr sei es wichtig, weiterhin katholisch, Christin und ehrenamtlich in der Kirche aktiv zu bleiben. „Ich ärgere mich ja nicht über die Strukturen und die Priester hier vor Ort“, betont die 58-Jährige. Auch Pfarrer Genster leiste gute Arbeit. Ihre Empörung richtet sich vielmehr gegen die Spitze der Verantwortlichen. „Wenn sich die Kleriker nur noch um sich selber drehen, was soll ich dann noch in der Kirche?“, fragt sie. Ihr sei diese Kirche richtig fremd geworden. „Ich kann mit dieser Selbstverliebtheit, der Machtbesessenheit und der Geldgier einfach nicht mehr umgehen“, sagt sie. Das sei für sie unchristlich. „Dieses sich Selbstbeweihräuchern ist auch nicht zeitgemäß“, betont Völker-Stenzel. Die katholische Kirche lebe Angst und nicht Freude. Schriftlich habe sie dies auch dem Kardinal Rainer Maria Woelki geschrieben und ihm somit erklärt, warum sie der katholischen Kirche ihre Kirchensteuer entzieht.

Anders ist es bei Benedikta Reckers aus Bornheim, die ebenfalls ehrenamtlich in ihrer Pfarrgemeinde aktiv ist. Sie sagt: „Ich möchte unbedingt in der Kirche bleiben. Denn die Kirchengemeinden vor Ort geben Halt für das ganze Leben.“ Die Kirche tradiere schließlich den christlichen Glauben. „Wenn sie diese Aufgabe vernachlässigt, versündigt sie sich an den nächsten Generationen“, betont Reckers. Und genau das tue sie zurzeit. Dabei ist es Reckers sehr wichtig, dass alle Kräfte in der Kirche die gute Botschaft weitertragen, die männlichen und die weiblichen. „Ich möchte Mut machen, in der Kirche zu bleiben“, betont die 66-Jährige.

Austritte

Beim Amtsgericht Bonn sind die Termine für Kirchenaustritte schon bis Ende Mai ausgebucht. Das Amtsgericht Bonn ist zuständig für das Stadtgebiet Bornheim, Wachtberg und Stadt Bonn. Allein in der ersten Märzwoche hat es, wie die Direktorin Birgit Nimpmann sagte, 96 Termine gegeben. Zusatztermine wurden nun geschaffen, so dass, wenn die Mitarbeiter alle gesund bleiben, im März 532 Termine vergeben werden können.

Im Seelsorgebereich Bornheim-Vorgebirge sind 2019 130 Austritte aus der katholischen Kirche gezählt worden, 2020 waren es 67, in diesem Jahr sind es schon zehn. Auch in der Pfarreiengemeinschaft Alfter gab es 2019 mit 110 Austritten mehr als 2020, als 62 Austritte gezählt wurden. Aus 2021 sind bisher nur ein oder zwei Austritte bekannt. Im Seelsorgebereich Bornheim an Rhein und Vorgebirge waren es 94 Austritte in 2019, 56 Austritte in 2020 und im laufenden Jahr neun.

Schließlich werde an der Basis in den Gemeinden von Haupt- und Ehrenamtlern auf Augenhöhe wertvolle Arbeit geleistet. „Es ist deswegen ebenso unverantwortlich wie kurzsichtig, wie zurzeit in Köln gedacht und dabei so viel Porzellan zerschlagen wird“, sagt sie. Patriarchalismus passe nicht mehr in diese Welt. „Dass Frauen keinen Platz in der Kirche haben, dafür haben junge Generationen überhaupt gar kein Verständnis mehr. Sie wenden der Kirche den Rücken zu und sind weg“, erklärt sie. Allerdings gingen sie leise. „Laut ist vor allem unsere Generation“, so Reckers.

Schrage: „Veränderungen müssen in der Führung beginnen“

„Da gehen ganz wunderbare Menschen, von denen viele sensibel reagieren auf die Art, wie sie Kirche zurzeit in Köln erleben“, bedauert auch Bruno Schrage. Der ehemalige Pastoralreferent in Brenig arbeitet heute bei der Caritas in Köln. Die aktuelle Situation schmerzt ihn zutiefst. „Für viele Christen stimmt diese Kirche nicht mehr mit ihrer Vorstellung überein, wie wir heute als Christen leben sollten“, sagt er. Schrage arbeitet aus tiefster Überzeugung bei der Caritas, die er als ein starkes Stück Kirche sieht. Zudem engagiert er sich ehrenamtlich in seiner Pfarrgemeinde und für eine Seelsorge, die jedem Menschen mit Respekt und echter Zuneigung begegnet.

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„Hier im Vorgebirge erlebe ich tolle Menschen, die sich alle auf ihre Weise ganz konkret für andere Menschen einsetzen“, betont er. Allerdings habe er bisher noch keinen erlebt, der nicht erschüttert ist von dem Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. „Dieses Amtsverständnis und die Rolle der Bischöfe passt nicht mehr zu den Herausforderungen. Die Veränderungen müssen in der Führung beginnen“, ist auch er überzeugt.

Woelki als Projektionsfläche für Unzufriedenheit

Was den Groll gegen Rainer Maria Kardinal Woelki betrifft, geht Schrage allerdings davon aus, dass der Erzbischof sich durch sein Handeln zur Projektionsfläche für die hohe Unzufriedenheit mit den Führungsfähigkeiten vieler Bischöfe in der katholischen Kirche gemacht hat. „Aktuell erlebt man in weiten Teilen der katholischen Kirche in Deutschland ein Führungsverständnis, dass den Anforderungen der heutigen Zeit, der gesellschaftlichen Realität und den Erwartungen heutiger Christen nicht mehr gerecht wird“, sagt auch Schrage.

„Es fehlen Visionen, Wagemut und vor allem das Vermögen, die ungeheuren Ressourcen und Kompetenzen der vielen engagierten Menschen in den Gemeinden, Verbänden, Bildungseinrichtungen und Initiativen zu fördern“, so Bruno Schrage.

„Die Kirche lebt doch davon, dass sie die Werte, die sie vermittelt, auch lebt“, sagt Reinhard Griep, Leiter der Jugendakademie in Walberberg. Auch seine Einrichtung definiere sich über die Kirche. Das Fatale an der aktuellen Situation sei für ihn der enorme Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche. „Das überträgt sich auf alle Einrichtungen, die mit der Kirche in Verbindung gebracht werden“, erklärt er. „Für mich als Christ macht die Krise deutlich, wie überfällig Reformen in der Hierarchie der Kirche sind“, sagt Griep.