- Annette Schavan spricht im Interview über den Kölner Missbrauchsskandal und Reformen in der Kirche
Köln – Im Erzbistum Köln werden die Termine beim Amtsgericht für Kirchenaustritte knapp. Denken Sie auch über einen Austritt nach?Nein. Ich bin eine rheinische Katholikin und bleibe es.
Können Sie denn Verständnis für Leute aufbringen, die ihrer Kirche enttäuscht den Rücken kehren?
Es ist traurig, dass Menschen, die mitten in der Kirche stehen, an dieser Kirche verzweifeln. Ich habe Respekt vor jedem, der sagt: Ich kann jetzt nicht mehr. Das fällt doch niemandem leicht. Es gibt zu viele Enttäuschungen und manches, das sich ein gewöhnlicher Christ nicht hat vorstellen können.
Dazu gehören vor allem die Missbrauchsskandale, die dem Ansehen der Kirche in hohem Maße schaden. Was wäre Ihr Rat?
Es geht jetzt nicht nur um die Vergangenheit. Es geht auch um die Konsequenzen für die Zukunft der Kirche in einer Zeit, in der das Christentum gefragt ist und weltweit ein hoher Bedarf an Religion und Spiritualität besteht. Es braucht den Willen zu wirklicher Veränderung in der Kirche und zu einer Führungskultur, die der Kirche und ihrer Botschaft angemessen ist. Es braucht endlich eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit und Zeichen, dass wir Christen und unsere Kirche eine Idee für die Zukunft einer so zerbrechlichen Welt haben, wie wir es gerade erleben.
In einer Zeit, in der Trost, Hoffnung und Barmherzigkeit nötig sind, ist die Kirche in eigenen Problemen tief verstrickt. Ruht darin die aktuelle Tragik?
Ja, dieser Eindruck ist verheerend. Eine Erneuerung des Glaubens kann es nur geben, wenn die Suchenden, die Armen und Betrogenen in den Mittelpunkt gestellt werden. Ein vitales Christentum lebt von der Neugierde auf die Zukunft und auf neue Wege, um den Ursprung wieder zu erkennen.
Im Bemühen, zukunftsfähig zu werden, versucht die Kirche in Deutschland gerade den Synodalen Weg; der Ausgangspunkt dabei ist: Der sexuelle Missbrauch hat systemische Ursachen. Aber was bedeutet das konkret?
Das bedeutet: Das Wohl der Kirche war über lange Zeit wichtiger als das Schicksal der Betroffenen. Darin liegt eine zentrale Ursache für viele Entscheidungen, die getroffen wurden. Nun muss ein Wechsel der Perspektive gelingen. Ich habe große Achtung vor all jenen, die diesen anstrengenden Weg jetzt gehen, der weltkirchlich mit vielen Stolpersteinen verbunden ist. Ich glaube, dass am Ende nicht nur zählt, was sich strukturell verändert. Vielleicht wird der Blick auch dafür klarer, was eigentlich unsere Aufgaben als Christen sind. Und für die konkreten Schritte wird eine deutliche Intensivierung der Gespräche mit Rom notwendig sein. Die Kommunikation zwischen Rom und Deutschland ist, so scheint mir, momentan ziemlich schlecht.
Was mag Papst Franziskus über die Skandale der Kirche in Deutschland und den Synodalen Weg denken?
Er hat der Kirche in Italien gerade eine Synode empfohlen und gesagt, man möge „Gemeinde für Gemeinde“ vorgehen. Synodale Prozesse sind lebensnotwendig für die Kirche. Papst Franziskus hat zum Synodalen Weg in Deutschland einen Brief geschrieben. Er will mehr Synodalität in der Kirche. Richtig ist auch, dass manches Thema, das uns in Deutschland beschäftigt, nicht auf seiner Agenda steht. Seine Priorität ist die Wirksamkeit der Kirche im Dienst in der Welt und an den Armen.
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Sind Reformen – mit Blick auf den Vatikan – denn überhaupt möglich und vorstellbar?
Die Zukunft ist die eigentliche Provokation für den Christen, hat der große Theologe Karl Rahner einmal gesagt. Alle wissen um den großen Bedarf an Veränderungen. Nur gehen eben die Vorstellungen davon, was getan werden muss und darf, unter Christen weit auseinander.
Was befürchten Sie, sollte der Synodale Weg in Deutschland scheitern?
Wenn die, die diesen Weg gehen, das Ende als ein Scheitern erleben, so werden auch sie, die in ihrem Glauben mitten in der Kirche stehen, an dieser Kirche verzweifeln.