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70 Jahre GrundgesetzWie Bonn 1949 zur vorläufigen Bundeshauptstadt wurde

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Diplomatenrennbahn hieß sie erst später. In den frühen Jahren der Bundesrepublik war sie bekannt als Koblenzer Straße.

Bonn – Das war knapp. Mit 200 gegen 176 Stimmen hat Bonn am 3. November 1949 die Nase vorn – und wird im frisch konstituierten Bundestag zum vorläufigen Sitz der Bundesregierung bestimmt.

Hinter der Stadt am Rhein und den Parlamentariern liegt an jenem Herbsttag ein sechsmonatiges Gezerre um die begehrte Funktion. Das Nachsehen hat schließlich Frankfurt. Es war also der Deutsche Bundestag, der das letzte Wort hatte. So unterhaltsam die Erzählung ist, Konrad Adenauer habe Bonn mehr oder weniger handstreichartig durchgesetzt, damit er von Rhöndorf einen möglichst kurzen Weg ins Büro habe – sie ist allenfalls ein Teil der Wahrheit. Denn nicht nur einmal landet die strittige Hauptstadtfrage auf dem Tisch der Parlamentarier. So ist die Entscheidung des Parlamentarischen Rates am 10. Mai 1949 eher der Ausgangs- als der Schlusspunkt der Debatte.

Kopf-an-Kopf-Rennen mit Frankfurt

Auch im Parlamentarischen Rat hatte sich zwar eine Mehrheit von 33 zu 29 für den vorläufigen Regierungssitz Bonn durchgesetzt. Das letzte Wort aber war nicht gesprochen. Denn so schnell wollten sich die Frankfurter nicht geschlagen geben. Sie argumentierten nicht zuletzt mit dem Geschichtsbuch. In der Tat: Als Krönungsstadt deutscher Kaiser und als Standort der Paulskirche schien sich die Stadt am Main durchaus für den Regierungssitz zu empfehlen. Zum Verhängnis wurde Frankfurt letztlich, dass es auch in der Gegenwart schlichtweg zu bedeutsam war. Denn angesichts seiner Rolle als Finanzzentrum hätte aus dem Provisorium rasch eine Dauerlösung werden können – eine Sorge, die nicht zuletzt die Vertreter Berlins umtrieb. Bonn, so das Kalkül der Berliner, erschien da als kaum ernstzunehmender, zumindest aber als der leichtere Gegner.

Doch Bonn und Frankfurt waren zunächst nicht die einzigen Kandidaten. Beim Parlamentarischen Rat als verfassungsgebender Versammlung bewarben sich Städte wie Celle, Lübeck, Karlsruhe und Koblenz darum, Sitz von Bundesregierung und Bundesparlament zu werden. Doch am 10. Mai benannte der Parlamentsvorläufer die Stadt Bonn. Frankfurt aber hatte noch nicht aufgegeben und versuchte hektisch, über die Ministerpräsidenten der Länder seinen Einfluss geltend zu machen – mit einem Teilerfolg: So entschied die Konferenz der Ministerpräsidenten am 6. Juli, der Beschluss des Parlamentarischen Rats möge so lange gelten, bis der Bundestag eine Entscheidung getroffen habe.

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Plötzlich schien das Rennen wieder offen, was Bonn sogleich schmerzhaft zu spüren bekam: Bereits zugesagte Landeszuschüsse für Bundesbauten wurden zu einem Großteil erst einmal eingefroren. Und es kam noch dicker. Gleich zur konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages am 7. September beanragt der SPD-Abgeordnete Erich Ollenhauer, Frankfurt zum vorläufigen Sitz der Bundesorgane zu machen. Sein Vorstoß findet aber ebenso wenig die erforderliche Mehrheit wie zwei Wochen später ein fast wortgleicher Antrag von 13 Abgeordneten aus dem konservativen und liberalen Lager. Geschlossen für Berlin votierte einzig die Fraktion der KPD. Während also im Plenum des Bundestages Antrag um Antrag verhandelt wurde, kämpften die beiden „Bewerberstädte“ hinter den Kulissen mit harten Bandagen. Eine Bonner Delegation soll gar in geheimer Mission an den Main gereist sein, um dort die Maßangaben der Frankfurter Behörden zu den dort verfügbaren Bundesbauten eigenhändig zu überprüfen. Kaum hatte der Frankfurter Oberbürgermeister in einer Rede die günstigen Preise in der Mainmetropole erwähnt, schon waren Bonner „Agenten“ eifrig dabei, Preise für Unterkünfte, Hotels, Kleidung und Restaurants bis ins kleinste Detail zu recherchieren. Es war die 14. Sitzung des Bundestags, die Bonn für die nächsten 50 Jahre zum Sitz von Parlament und Regierung machte. Abermals beantragte die SPD die Verlegung des Bundessitzes nach Frankfurt – und scheiterte. Ebenso die KPD mit ihrem Einsatz für Berlin. Zum Antrag der Kommunisten hatten die Sozialdemokraten einen Ergänzungsantrag eingebracht: Eine Verlegung nach Berlin solle erfolgen, wenn freie Wahlen in der sowjetischen Besatzungszone stattgefunden hätten. Für diese Variante stimmten sämtliche Abgeordnete mit Ausnahme der KPD.

Spott und Hohn für provinzielles Bonn

Hermann Wandersleb, Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, war es gewesen, der im Sommer 1948 Bonn überhaupt als Tagungsort für den Parlamentarischen Rat ins Spiel gebracht hatte und die Vorzüge Bonns wie gute Unterkünfte und die Universität hervorhob. Es gab allerdings auch Menschen, die das anders sahen. Diplomat Wilhelm G. Grewe beispielsweise schrieb in seinem Buch „Rückblende“: „Bonn war eine Stadt, der nahezu alles fehlte, was man von der Hauptstadt eines Fünfzig-Millionen-Volkes erwartet. Es gab keine Regierungsgebäude, kaum Hotels, lächerlich wenig Büroraum und auch nur wenige Straßenbahn- und Buslinien. Abgeordnete, Beamte und Angestellte der neuen Bundesbehörden, Presseleute, Lobbyisten, Studenten und Professoren mussten sich das spärliche Angebot möblierter Zimmer teilen.“ Dabei war der Zustand des Provisoriums auch politisch gewollt: Zu stark war der Wunsch und die Hoffnung, bald wieder in die ehemalige Reichshauptstadt Berlin zu ziehen. Erst in den 70er Jahren, mit der Ostpolitik Willy Brandts, trat ein deutlicher Wandel ein. Bis zum 18. Januar 1973 dauerte es, bis Brandt in einer Regierungserklärung ein offenes Bekenntnis zum Ausbau der Bundeshauptstadt Bonn abgab.