Arbeitsmarkt und Kurzarbeit in LeverkusenWenn eine Statistik nichts mehr aussagt
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Noch nie hat die Arbeitsagentur ihre eigene Statistik so relativiert.
Aber die März-Zahlen wurden erhoben, als die Corona-Krise noch nicht in den Unternehmen angekommen war.
Inzwischen hat außer Biebighäuser der Burscheider Kolbenring-Spezialist Tenneco 1600 Leute nach Hause geschickt.
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Leverkusen – Biebighäuser hat einfach nur den Anfang gemacht. Die knapp 500 Mitarbeiter sind seit gut einer Woche in Kurzarbeit. Der Autozulieferer in der Fixheide war sofort betroffen, als Volkswagen und Daimler ihre Produktion herunterfuhren. „Die haben einen halben, maximal einen Tag Puffer“, sagte am Dienstag Wolfgang Rasten von der IG Metall. Lagerhaltung gibt es in der Branche schon lange nicht mehr. Es sei denn, man begreift den Stau auf der Autobahn als solche.
Aus dem selben Grund hat es Tenneco erwischt. Seit Goetze-Zeiten werden in Burscheid Kolbenringe produziert. Auch das für die meisten Autohersteller. Fast alle der 1600 Beschäftigten sind ebenfalls seit dem 26. März in Kurzarbeit; die Produktion ist komplett herunter gefahren. „Da sind nur ein paar Leute aus der Personalabteilung, Feuerwehr und weitere unabdingbare Leute im Werk“, erklärte Rasten.
Auch beim Sitz-Hersteller Adient wird über Kurzarbeit nachgedacht. Damit wäre auch der zweite große Arbeitgeber in Burscheid von den Auswirkungen der Corona-Krise betroffen.
Fest vereinbart hat die Gewerkschaft Kurzarbeit bei SKF in Opladen. Dort sollen rund 300 Beschäftigte die Arbeit niederlegen. Der Vorlauf bei dem Dichtungshersteller ist ein bisschen länger: Ab 14. April soll am Kämper Weg die Produktion heruntergefahren werden. Allerdings werden dort schon vorher alle Register gezogen, um nicht mehr zu viel herzustellen: Resturlaube werden ebenso abgebaut wie Überstunden-Konten. Im benachbarten Langenfeld steht ebenfalls Kurzarbeit an: Der Beschichtungsspezialist Oerlikon Metco stellt am 1. April seine Produktion vorübergehend ein.
Wie lange die Produktion ruhen wird, ist nicht abzusehen. Die Geschäftsführung von Biebighäuser blicke auf den 18., Tenneco auf den 13. April, so Rasten. „Das sind aber alles nur vorläufige Daten“, relativiert der Gewerkschafter. Sie orientierten sich nur an den Angaben der Bundesregierung: Nach Ostern könnten die Schulen wieder eröffnen, das Kontaktverbot gelockert und alle Geschäfte wieder eröffnet werden. Ob es tatsächlich so kommt, weiß heute niemand.
Weil nicht zu erkennen ist, wie lange die Corona-Krise die Unternehmen und ihre Belegschaften belasten wird, setzt die IG Metall alles daran, den Beschäftigten mehr Geld in die Taschen zu verhandeln. Das Kurzarbeitergeld soll von den Unternehmen aufgestockt werden. Bei Biebighäuser sei das für die ersten Tage schon einmal geglückt, berichtet Rasten. Dort sei das Geld, das von der Agentur für Arbeit kommt, auf durchschnittlich 80 bis 90 Prozent des letzten Netto-Einkommens erhöht worden. Für die Zeit ab Mittwoch muss der Gewerkschafter wieder neu mit den Chefs verhandeln.
Auch bei SKF, Tenneco und Oerlikon Metco lege der Arbeitgeber etwas dazu. Das falle leichter, weil die Arbeitgeber per Gesetz von den Sozialbeiträgen befreit wurden. Früher mussten sie im Fall von Kurzarbeit nicht nur die eigenen Anteile der Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung bezahlen, sondern auch die ihrer Beschäftigten. „Also über 40 Prozent“, betont Rasten. Das sollte eigentlich Luft schaffen für Aufstockungen, ohne die sehr viele Beschäftigte nicht klar kämen: Die Arbeitsagentur zahlt Alleinstehenden 60 Prozent vom letzten Netto, Beschäftigten mit Kindern auf der Steuerkarte 67 Prozent. Alles auf der Basis des vergangenen Jahres.
Zahl steigt weiter
Aktuell hat die Stadt Leverkusen am Dienstag (Stand 13 Uhr) 113 bestätigte Fälle von Corona-Infektion im Stadtgebiet gemeldet. Das entspricht einer Infektionsrate von 69 Fällen pro 100 000 Einwohnern. Vier Erkrankte werden stationär im Krankenhaus versorgt. 16 Erkrankte sind laut Meldung des Gesundheitsamtes wieder gesund. (ger)
Leichter wäre es mit einer gesetzlichen Regelung, die dafür sorgt, dass der Arbeitnehmer-Anteil der Sozialbeiträge auch bei ihnen bleibt. Darüber sprechen die Gewerkschaften am Mittwochabend mit der Bundeskanzlerin. Denn Kurzarbeit ist jetzt ein Massenphänomen.
Derzeit 34 Betriebe betroffen
Allein im IG-Metall-Bezirk Köln / Leverkusen seien derzeit mehr als 20 000 Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Kurzarbeit, sagte Dieter Kolsch am Dienstag. Der Erste Bevollmächtigte der Gewerkschaft nannte die Zahl von 34 Betrieben – da sind SKF und Oerlikon also noch gar nicht dabei.
Die Arbeitsagentur berichtete am Dienstag von einem beispiellosen Aufkommen an „Anzeigen zum Arbeitsausfall“, das ist die Grundlage für die Abrechnung von Kurzarbeitergeld. Allein bis vorigen Freitag habe sich deren Zahl auf etwas über 5000 erhöht. Zum Vergleich: Im Monat März 2009 – dem Höhepunkt der damaligen Wirtschaftskrise – seien es 241 gewesen – und im gesamten Jahr 1181. Der Stand sei in jeder Hinsicht nur vorläufig: Auch in vielen kleinen Betrieben gebe es Kurzarbeit. Viele dieser Fälle seien noch nicht erfasst, weil die Kapazität in der Arbeitsagentur trotz aller Anstrengungen nicht ausreiche.
Vor dem Hintergrund der rasend schnell ausgebrochenen Corona-Krise seien auch die am Dienstag veröffentlichten Arbeitslosenzahlen für den März nur bedingt aussagekräftig, so Nicole Jordy, Leiterin der Arbeitsagentur in Bergisch Gladbach. „Sie spiegeln nicht die aktuellen Entwicklungen wider. Die Zahl der Ratsuchenden, die aufgrund Covid-19 eine Kündigung befürchten oder erhalten haben, ist stark gestiegen.“ Ebenso die Nachfrage nach Kurzarbeitergeld. Daher werde sich die im März abgebildete positive Entwicklung im April nicht fortsetzen. Stichtag für die Arbeitslosenstatistik war Donnerstag, 12. März. Die wirtschaftlichen Verheerungen der Corona-Krise haben sich erst am 16. März angedeutet.
In Leverkusen waren am 12. März mit 6244 Personen 146 weniger arbeitslos gemeldet als im Februar. Gegenüber dem vorigen März beträgt der Rückgang nur 49 Personen. Das Stellenangebot in lag knapp über 1000. Das waren zwar einige mehr als im Februar. Gegenüber März 2019 ist das Angebot aber um fast 15 Prozent zurückgegangen. Bei den neuen Job-Offerten ist der Rückgang sowohl gegenüber Februar als auch dem vorigen März beträchtlich: 16 und knapp 17 Prozent. Ihre Zahl lag bei rund 300.
In Leichlingen suchten im März 629 Personen einen Job. Gegenüber Februar gibt es praktisch keine Veränderung; verglichen mit März 2019 ist das aber eine weitere leichte Verbesserung. Die Quote in Leichlingen lag Mitte März bei 4,1 Prozent; das sind zwei Zehntel weniger als voriges Jahr. Das Angebot an Stellen lag bei 127 und damit etwas niedriger als zuvor.
Trugbild Arbeitsmarkt
In Burscheid dagegen zeigt die Kurve nach oben: Im März waren 626 Menschen auf Jobsuche – einer mehr als im Februar. Gegenüber dem Vorjahr ist das allerdings ein Plus von 31 Personen. Das Stellenangebot hatte zwar bis Mitte März leicht auf 102 zugenommen.
Doch wie es in der Stadt, deren Arbeitsmarkt von den beiden großen Autozulieferern Adient (früher Johnson Controls) und Tenneco (früher Federal-Mogul) bestimmt wird, in der Krise weiter geht, ist schwer abzusehen.