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Weihnachten in FlutruinenHeiligabend bei einer Familie, die alles verloren hat

Lesezeit 5 Minuten

An der Ahr leuchten nach der Flut Weihnachtsbäume –  durch eine Helferaktion in Ruinen von Mayschoß.

Ahrtal – Fast ist es so wie früher. Ein Weihnachtsbaum mit silbernen Kugeln und einer Lichterkette steht im Wohnzimmer, Päckchen mit bunten Schleifen liegen bereit. Früher, das war vor der großen Flut, die fast alles mitriss, was Jeanette und Holger Bürger und ihre fünf Kinder (Namen geändert) besaßen. Der Baum, die Kugeln, die Lichter, die Geschenke – das alles hätten sie in diesem Jahr nicht gehabt, wenn es nicht gespendet worden wäre.

Christbaum direkt neben dem Holzofen

Das mehr als 100 Jahre alte Haus der Bürgers in der Altstadt von Ahrweiler hat die Katastrophe im Juli nur knapp überstanden. Die dünne Kappendecke des Kellers ist nun – nach der Beseitigung von Schutt und Schlamm – der nackte Fußboden im Erdgeschoss, und die Wand neben der alten Holztreppe besteht bloß noch aus einem leeren Fachwerkgerippe. Während der ersten kalten Winterwochen war der Holzofen im Obergeschoss die einzige Möglichkeit zu heizen. Neben ihm steht jetzt der Christbaum.

Die Wand neben der alten Holztreppe besteht bloß noch aus einem leeren Fachwerkgerippe.

Für das in der Flutnacht erst sieben Monate alte Enkelkind musste die Milch am Seitenbrenner des Gartengrills erhitzt werden. Der Grill gehörte zu den wenigen Gegenständen, die eingekeilt zwischen Einrichtungstrümmern aus dem Erdgeschoss nicht weggeschwommen waren. Strom gab es erst einige Wochen nach der Flut wieder, dann Leitungswasser.

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Handwerker fehlen überall

Inzwischen haben Handwerker im Schlafzimmer kostenlos eine der 1000 gespendeten Einraumheizungen montiert, so dass es dort nicht mehr so klamm ist. „Seit ein paar Tagen ist auch das Gasnetz in der Stadt wieder in Betrieb, aber bei uns liegt das Problem im Haus. Es gibt ein Leck in der Leitung“, erklärt Jeanette Bürger. Obwohl sie weiß, wo die Leitung undicht ist: Handwerker mit der Lizenz, das Leck beseitigen zu dürfen, sind kaum zu finden und haben sie, wie sie berichtet, schon mehrfach draufgesetzt. Es wäre ein Wunder, wenn sich jetzt zu Weihnachten noch jemand finden würde, der die Leitung repariert und das ganze Haus an den Feiertagen warm wäre.

Symbol der Hoffnung

Es grenzt an ein Wunder, dass die mehr als 100 Jahre alte Krippe der Pfarrgemeinde St. Laurentius Ahrweiler die Flutkatastrophe Mitte Juli heil überstanden hat. Dechant Jörg Meyrer hatte in der Flutnacht erlebt, wie das Wasser vorne im Pfarrhaus hinein und hinten wieder heraus lief. Die Gipsfiguren, die in einem alten Bauernschrank im Organistenhaus hinter der Kirche aufbewahrt wurden, bekamen nur nasse Füße, das Jesuskind blieb sogar trocken. Nur den Stall riss die Ahr mit sich.Und so steht die Krippe heute für jeden sichtbar in der Alten Stadtwache in Ahrweiler. Um das Jesuskind in der Krippe scharen sich neben Maria, Josef und den Hirten Fluthelfer von Feuerwehr, DRK, THW und anderen Hilfsorganisationen, während die Heiligen Drei Könige noch in einem anderen Raum auf ihren Auftritt warten. Die großen Schaufensterpuppen passen eigentlich nicht zu den viel kleineren Gipsfiguren, aber sie stehen symbolisch für die Tausenden Helfer, die seit der Katastrophe ihre Solidarität mit den Menschen an der Ahr mit Muskelkraft, Geld- und Sachspenden und tröstenden Worten bezeugt haben. Auch das ist Weihnachten!

Aber Jeanette Bürger, weiß, dass es Wunder gibt. „Wir haben diese Katastrophe alle überlebt“, sagt sie, „und so viele andere leider nicht. Eine Nachbarin war draußen als das Wasser kam. Ihre Leiche ist gegenüber im Hof gefunden worden.“ Das Entsetzen über das Ausmaß des Hochwassers und die Gewalt der Wassermassen sitzt noch immer tief. „Da vorne“, sagte Jeanette Bürger und zeigt die Straße hinunter in Richtung eines der Nachbarhäuser, das inzwischen abgerissen wurde, „da vorne schwamm mein Auto“.

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Der Wagen, der heute vor dem Haus parkt, stammt aus einer Spendenaktion, wie ein Aufkleber der Initiative „4 Drive“ am Heck verrät. Es ist kein aktuelles Modell, aber unentbehrlich. Mit dem „neuen“ Auto konnte Jeanette Bürger im Nachbarort Bachem den Weihnachtsbaum holen. „Dort gab es ein Lager mit gespendeten Tannen.“ Und dass er gratis war, sieht man dem etwa zwei Meter hohen Nadelbaum mit weit ausladenden Ästen nun wirklich nicht an. „Auch unser Weihnachtsschmuck ist leider komplett davongeschwommen – die gespendeten Kugeln und Lichter haben unser Fest gerettet.“

Ohne Spenden geht derzeit nichts. Die Bürgers haben im Pflegebereich gearbeitet, waren aber nach der Flut arbeitsunfähig und erhielten wenig später die Kündigung.

„Wir konnten für Weihnachten fast nichts kaufen“, sagt Jeanette Bürger. Nur das Fleisch für den Weihnachtsbraten. „Rinderroulade mit Rotkohl wird es geben. Das haben sich die Kinder gewünscht.“ Es wird auch für die beiden Gäste reichen, die mitfeiern werden. „Zwei Freunde, die die Flut hart getroffen hat. Einer von ihnen hatte eine Kellerwohnung.“

Geschenke für die Kinder sollen nicht fehlen

Und die Geschenke für die Kinder? Schuhe, Winterjacken und Inline-Skater hatten sie sich gewünscht. Da gab es zum Glück den „Geschenkebus“ einer Fluthilfeorganisation, der in Ahrweiler Halt machte, und seitdem ist sicher, dass auch in diesem Jahr nach der Rückkehr vom Weihnachtsspaziergang Päckchen unter dem Baum liegen werden. Weitere Geschenke kamen durch eine Weihnachtsengel-Aktion aus Köln hinzu, die auf dem Ahrweiler Markt Station gemacht hatte. „Wir haben Karten mit unseren Wünschen ausgefüllt, und gestern sind wirklich hier Geschenke für alle Kinder abgegeben worden. Wir wissen noch gar nicht, was drin ist.“ Auch ein kleines Wunder.

Für Familien wie die Bürgers, die fast alles verloren haben, haben Helfer aus Hessen im Ahr-Weinort Mayschoß ein besonderes Weihnachtsgeschenk vorbereitet: Sie stellten vor stark beschädigten Häusern und in Ruinen Christbäume auf, deren Lichterketten teils mit Notstrom betrieben werden müssen. Aber dank dieser Aktion ist die provisorisch wieder hergestellte Straße entlang der Ahr während der Vorweihnachtszeit und den Feiertagen keine Ruinenlandschaft mit düsteren Hausgerippen.

„Traurig, seltsam und zugleich wunderschön“, beschrieb eine Mayschoßerin den Anblick, als die Lichterketten in den Bäumen das erste Mal angeschaltet wurden. In einer Seitengasse bilden die festlich dekorierten Tannenbäume ein so dichtes Spalier, dass die gesamte Gasse zu leuchten scheint. „Liebe, Hoffnung und Wärme durch das Licht“, wolle er schenken, sagte der Helfer Erwin Laurer. „Und das Gefühl: Wir sind für sie da.“ 135 beleuchtete Bäume der Hoffnung stehen jetzt in dem zerstörten Ort. Ebensoviele, wie es Tote in Rheinland-Pfalz gab – bis auf einen alle an der Ahr.