Ungewohnt: „Verwöhntes” Dressur-Team kein WM-Favorit
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Herning – Die Situation ist völlig ungewohnt. Als die deutsche Dressur-Mannschaft vom Trainingslager in Schleswig-Holstein zur Weltmeisterschaft nach Dänemark fuhr, reiste sie erstmals seit vielen Jahren nicht als Favorit an.
Der beeindruckenden Siegesserie droht in Herning ein Ende. Ein Sieg wäre dieses Mal eine Überraschung. Bisher war es ja meistens so: „Wenn ein deutsches Team an Europameisterschaften, Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen teilgenommen hat, dann hat man nicht nur erwartet, dass es um die Medaillen mitreitet, sondern auch mit der Goldmedaille heimkehrt.” So formulierte es Dennis Peiler, Sportchef der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN). „In diesem Jahr wird es etwas anders sein.”
Zuletzt war es bei Olympia so wie gewohnt, als die deutsche Equipe in Tokio unangefochten und äußerst souverän gewann. Das Problem ist nur, dass jetzt bei der WM keines der Olympia-Paare am Start ist. Doppel-Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl ist schwanger, Isabell Werths Toppferd Bella Rose ist im sportlichen Ruhestand, und Dorothee Schneiders Showtime ist nicht fit.
„Wir sind im Umbruch”, sagte Bundestrainerin Monica Theodorescu vor der Abfahrt nach Dänemark. Die 59-Jährige aus Sassenberg bringt wegen der Ausfälle in Herning drei WM-Debütanten und Rekordreiterin Werth mit einem neuen Pferd an den Start.
„Ich habe ja immer gesagt, dass wir 80-Prozent-Paare brauchen, aber dass es nicht selbstverständlich ist, die zu haben”, erklärte die Bundestrainerin. Die drei Olympia-Reiterinnen holten in Tokio jeweils mehr als 80 Prozent. Das ist derzeit die magische Grenze, bei der die absolute Weltklasse beginnt.
„Es war etwas Besonderes, dass wir solche Paare zuletzt hatten”, betonte Theodorescu. „Das war außergewöhnlich, wir sind da verwöhnt gewesen.” Seit Bronze mit dem peinlichen Totilas-Auftritt bei der Heim-EM 2015 in Aachen gab es zuletzt für das Team sechsmal Gold bei internationalen Großveranstaltungen.
Werth erstmals mit Quantaz bei einem Championat
Ein Wechsel der Paare sei „nicht ungewöhnlich”, sagte die Trainerin: „Ungewöhnlich war vielmehr, wie es vorher war. Jetzt sind wir dabei, die nächsten Paare besser zu machen.” Das gilt auch für Isabell Werth (53), die erfolgreichste Reiterin der Welt, die erstmals mit Quantaz bei einem Championat reitet. Der Hengst hat nicht die außergewöhnliche Klasse der Stute Bella Rose, mit der Werth bei der WM vor vier Jahren in den USA Doppel-Gold gewonnen hatte.
Neben Werth hat auch Ingrid Klimke aus Münster Championatserfahrung, allerdings in der Vielseitigkeit. Die 54 Jahre alte Doppel-Olympiasiegerin aus Münster reitet in Herning erstmals eine Dressur-WM und sattelt Franziskus. Die beiden neuen Männer im WM-Quartett sind Frederic Wandres (35) aus Hagen bei Osnabrück mit Duke of Britain und Benjamin Werndl (38) aus Tuntenhausen mit Famoso.
„Die Erwartungshaltung ist natürlich, dass wir um die Medaillen mitreiten”, sagte FN-Sportchef Peiler vor den am 6. August beginnenden Wettkämpfen. „Dennoch wird die Favoritenrolle eher bei Dänemark liegen.” Einen Vorgeschmack gab es in Aachen: Beim CHIO gewann das dänische Team um die derzeit dominierende Cathrine Dufour mit mehr als 4,5 Prozentpunkten vor dem deutschen Quartett, das nun in gleicher Besetzung in Herning reitet.