Goodwood/Asheville – Im ersten Moment hielt er den Anruf für einen Scherz. Dass Ford ihn mit einem Lieferwagen zum legendären Hillclimb nach Goodwood schicken wollte, konnte sich der Rennfahrer Romain Dumas beim besten Willen nicht vorstellen.
„Was, bitte schön, soll ein Lieferwagen beim Festival of Speed?”, habe er sich gefragt. Doch dann verstand er. Denn der Autohersteller wollte dem Franzosen keinen gewöhnlichen Lieferwagen hinstellen, sondern einen, den er mit Helm und feuerfestem Anzug fahren sollte. Einen, mit vier Elektromotoren und 1470 kW/2000 PS.
Nur wenige Tage nach dem Telefonat sitzt der Franzose am Steuer des „Supervan” genannten Geschosses und semmelt den Hügel zum Herrenhaus des Earl of March hinauf, ohne dass die vielen Sportwagen in seinem Windschatten auch nur den Hauch einer Chance hätten.
Er hängt alle ab
Egal ob V8-Benziner, Sechszylinder-Turbo oder E-Maschine: Mit quietschenden und qualmenden Reifen lässt sie der wahrscheinlich stärkste und schnellste Kurierlaster aller Zeiten weit hinter sich. Sein Sprintwert: weniger als zwei Sekunden von 0 auf 100 km/h. Das ist auf dem Niveau eines Formel 1-Rennwagens.
Und warum das Ganze? „Weil es Zeit wird, dass wir den Menschen zeigen, welches Potential im Elektroantrieb steckt”, zitiert Dumas seinen Sprechzettel. Die Werbebotschaft ist klar. Noch für dieses Jahr hat Ford den neuen E-Transit angekündigt, auf den vom Supervan gern etwas abfärben darf. Außerdem würden „ein paar positive Emotionen bei der verbissenen Diskussion zum Mobilitätswandel nicht schaden”, schiebt er hinterher.
Für Dumas ist das nicht der erste Hillclimb in einem elektrischen Auto der Entwickler. Vor ein paar Jahren absolvierte der Rennpilot die 1,9 Kilometer schon einmal unter Strom. Damals fuhr er für VW im ID.R mit einer Zeit von 39,9 Sekunden den Streckenrekord ein.
Fortführung einer alten Strategie
Wie der Ford-Supervan war auch der damals eingesetzte VW-Rennwagen ein Einzelstück. Mit ihm hatte Dumas zuvor schon den Hillclimb am Pikes Peak gewonnen und die Bestzeit auf der Nordschleife des Nürburgrings aufgestellt.
Bei Entwicklern und Designern ist Methode erkennbar, sagt Arthur Kipferler vom Strategieberater Berylls in München: „Letztlich setzen die Hersteller mit den E-Extremen nur etwas fort, was sie seit Jahrzehnten tun.” Leistungsstarke Karren für die schnelle Show bauen und auf einen Werbeeffekt für die Serie hoffen.
Ford ist das beste Beispiel, auch in historischer Hinsicht. Der erste Supervan, noch ein Verbrenner, kam bereits 1971 mit Ford GT40-Technik. Es folgten zwei weitere Supervans auf Transit-Basis mit Formel 1-Motoren. Auch Fahrzeuge wie das Ein-Liter-Auto von VW oder der Mercedes A 38 AMG, bei dem AMG zwei Motoren in die erste Generation A-Klasse implantierte, gehören zu den Fingerübungen der Ingenieure der jüngeren Vergangenheit.
Sportwagenhersteller Porsche mischte ebenfalls früh mit - 1971 mit dem 914/6 GT, einem sehr speziellen Feuerwehrauto, das dazu dienen sollte, bei Rennveranstaltungen schnelle Hilfe zu leisten. Der grundlegende Unterschied zu den damaligen Showcars ist, dass die Extremfahrzeuge heute elektrisch angetrieben werden, sagt Kipferler.
Rushhour statt Rennstrecke
Um einen Vorgeschmack auf den elektrischen Kleinwagen Urban Rebel zu geben, der 2025 auf den Markt kommen soll, präsentierte Seat-Ableger Cupra auf der letzten IAA ein gleichnamiges Showcar. Obwohl es ein wendiges Einstiegsmodell anteasern sollte, war es wild bespoilert und mit 320 kW/435 PS eher für die Rennstrecke als die Rushhour bestückt.
Auf der Suche nach dem besten Weg in die elektrische Zukunft experimentieren die Hersteller allerdings nicht nur mit besonders sportlichen Autos, sondern versuchen es auch wieder mit extremer Sparsamkeit. So sei Mercedes beim EQXX mit dem Ziel angetreten, das effizienteste Elektroauto der Welt zu bauen, sagt Entwicklungsvorstand Markus Schäfer.
Dabei handelt es sich um eine stromlinienförmige Flunder, die nur ein halbes Jahr nach ihrem Debüt schon mehr als 15 000 Kilometer auf dem Zähler hat. Denn mit dem EQXX trat der Hersteller auf zwei Roadtrips nach Frankreich und England den Beweis an, dass 1000 Kilometer ohne zwischenzeitliches Laden genauso möglich sind wie ein Verbrauch unter 10 Kilowattstunden (kWh) je 100 Kilometer. „Das macht den EQXX zum elektrischen Äquivalent des Ein-Liter-Autos”, sagt Schäfer.
Studien als Beleg für den Wandel
Da die extremen Sportler, hier der verbissene Sparer - und für die Mußestunden zwischendurch leisten sich die elektrisierten Entwickler immer öfter auch mal ein Cabrio. Zum Beispiel 2018 zeigte VW den ID.Buggy und im vergangenen Sommer Skizzen eines offenen ID.3. Mini zeigte jüngst in Asheville im US-Bundesstaat North Carolina das Einzelstück eines offenen Mini Cooper SE.
Experte Kipferler sieht solche Fingerübungen allerdings mit Skepsis: „Abstrahleffekte auf die Serie muss man dabei fast immer mit einer Lupe suchen.” Als Nutznießer sieht der Strategieberater unter anderem die Entwickler, die sich mit solchen Fahrzeugen auch einmal außerhalb ihrer üblichen Pfade bewegen können. Zu den ernsthaften Aufgaben der Studien könnte zählen, dass sie Stimmung für die Elektromobilität machen und den Wandel belegen, den die Unternehmen gerade durchmachen.
Doch teils sind die Ambitionen konkreter. Das zeigt nicht nur das Cupra-Beispiel Urban Rebel, sondern auch Mercedes mit dem EQXX. Mit dem Spar-Stromer hat Mercedes mehr vor, als von einem Verbrauchsrekord zum nächsten zu fahren: Vom Motor bis zur Batterie und der Elektronik steckt in dem Auto bereits die Technik, die in ein paar Jahren den nächsten EQC antreiben wird.
Elektro-Mini als Cabrio
Und auch Mini verknüpft mit dem erwähnten Einzelstück eine ernsthafte Botschaft: Auf einer der ersten Testfahrten heißt es seitens des Herstellers: „Wenn in nicht einmal zwei Jahren ein neuer Elektro-Mini kommt, wird es den erstmals auch als Cabrio geben.”
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