- Skandal ohnegleichen, jedenfalls für einen Teil der Bevölkerung: Da erdreistet sich eine junge Künstlergruppe um den jungen Max Ernst, das Stück „Der junge König“ zu sabotieren.
- Quasi als Allegorie für Angriffe auf den Kaiser selbst – mit weit reichenden Folgen.
Köln – Der Erste Weltkrieg lag in seinen letzten Zügen, als das Trauerspiel „Der junge König“ des Kölner Schriftstellers Raoul Konen am Donnerstag, dem 7. November 1918, im Kölner Schauspielhaus in der Glockengasse 17–23 Uraufführung feierte – ausverkauft, trotz immerhin über 1800 Plätzen. Es ging um Konradin, den letzten Herrscher aus der Dynastie der Staufer. Als der am Ende des vierten Aktes zum Tode verurteilt wird, ruft seine Geliebte verzweifelt aus: „Volk von Neapel, schütze deinen König!“ Diese Worte führten zu demonstrativem Beifall beim Publikum.
Das hatte sich noch während der Pause um die Zeitungen gruppiert, die unter anderem Mutmaßungen über die Zukunft von Kaiser Wilhelm II. anstellten. Der Jubel verhinderte natürlich nicht, dass der junge König Konradin vor eindrucksvollem Bühnenbild enthauptet wurde. Zwei Tage später, am 9. November 1918, war Kaiser Wilhelm II. zwar nicht hingerichtet worden, aber er hatte abgedankt. Die Monarchie in Deutschland war Geschichte.
Ein Teil von Köln – Die Kaiserfamilie
Die Kaiserfamilie blieb aber in Köln allgegenwärtig. Züge von Osten fuhren weiterhin über die Hohenzollernbrücke mit ihren vier Statuen von preußischen Königen und deutschen Kaisern. Am Dom waren Plaketten, die an die Rolle der Hohenzollern bei Weiterbau und Fertigstellung der Kathedrale erinnerten. Es gab einen Hohenzollern- und einen Kaiser-Wilhelm-Ring.
Ein Dorn im Auge war es nach Kriegsende dann auch einer jungen Künstlertruppe, dass in der Republik weiterhin dieses monarchistische Drama „Der junge König“ von Raoul Konen gespielt wurde. Am Karnevalsdienstag, dem 4. März 1919, kursierte im Vorfeld einer Aufführung ein Schreiben in der Presse, unterschrieben mit „Eine Schar mit künstlerischem Gewissen“: „Zu der Stunde, in der Sie diese Zeilen erhalten, ist im hiesigen Schauspielhause die Aufführung von Raoul Konens Der junge König gewaltsam gestört worden“, hieß es darin. Die Aktion sei kein Fastnachtscherz, sondern eine ernsthafte Demonstration, die wegen der Kölner Theaterleitung notwendig sei, die der neuzeitlichen Entwicklung in der Literatur keine Rechnung tragen und dafür minderwertige Schauspiele lokaler Größen begünstigen. Deshalb also sollte es zu Protesten kommen.
„Das ist ein Dreckstück!“
Und tatsächlich. Vor Aufführungsbeginn sah man im ersten Rang links den jungen Künstler Max Ernst und seine Gattin Dr. Luise Straus-Ernst, aktuell kommissarische Leiterin des Wallraf-Richartz-Museums, wie sie dem ihnen gegenüberliegenden ersten Rang Zeichen gaben. Max Ernst, so berichten Zeugen, habe Mittel- und Zeigefinger beider Hände wie zum Pfeifen an den Mund gelegt. Kaum war gegen 16 Uhr der Vorhang hochgegangen, als von verschiedenen Stellen des Zuschauerraums zunächst eher zaghafte Zwischenrufe, dann gellende Pfiffe ertönten. „Das ist ja Mist!“ rief laut eine Männerstimme, eine andere: „Das ist ein Dreckstück!“ Eine Frauenstimme schrie: „Schmeißt den Verfasser heraus, es ist nicht zum Ansehen!“
Störenfriede wurden festgenommen
Ebenso vehement forderten andere Teile des Publikums Ruhe, sodass es zu einem regelrechten Wettstreit kam. Ratlosigkeit machte sich auf der Bühne breit, denn immer wieder mussten die Schauspieler unterbrechen, weil besonders, wenn auf der Bühne das Wort König oder Thron fiel, Protest laut wurde. Ein Teil der Protestler stimmte schließlich ironisch die Nationalhymne an. Die Polizei rückte an und ließ das elektrische Licht aufdrehen. Mit den Logenschließern erschienen kräftige Männer auf der Bildfläche. An einigen Stellen kam es zu wüsten Schlägereien, als Störer gewaltsam aus dem Zuschauerraum in die Wandelgänge geschleift und dort verdroschen wurden. Einige Störenfriede nahm die Polizei auch fest. Weitergespielt wurde dann bei erleuchtetem Zuschauerraum, um besser lokalisieren zu können, woher die Zwischenrufe kamen. Aber trotzdem kam es auch im zweiten Akt zu Kundgebungen. Wieder wurden etliche junge Männer und Frauen gewaltsam von ihren Plätzen entfernt und teils in Ketten gelegt von den Schutzleuten abgeführt, begleitet vom stürmischen Jubel der übrigen Zuschauer. Erst im dritten Akt wurde es langsam ruhiger. Der Großteil des Publikums positionierte sich, indem er bei den Aktschlüssen zu besonders starken Beifallsstürmen ansetzte.
Am 14. Juni 1919 kam es vor dem Schöffengericht zum Prozess gegen sechs festgenommenen Protestler – Max Ernst und andere später berühmte Namen gehörten nicht dazu. Von den Angeklagten gab sich ein junger Schauspielschüler aus Köln vor Gericht besonders kämpferisch. Er habe mit seinem Protest Gewalt gegen Gewalt setzen wollen. Er habe deshalb bei der Aufführung gepfiffen und gerufen, auch während des Spiels – insbesondere, als die Gegenpartei applaudiert habe. Die fünf anderen Angeklagten, drei Männer und zwei Frauen aus Bonn, gaben zwar zu, dass sie bei den Beifallskundgebungen des Publikums gezischt und gepfiffen hätten, jedoch erst, nachdem andere im Publikum bereits ihr Missfallen hatten laut werden lassen.
Staatsanwalt Carl Wiechmann argumentierte nun, dass Verübung groben Unfugs schon allein deswegen vorliegen müsse, weil die Aufführung durch den Skandal hatte unterbrochen werden müssen und es zu Schlägereien gekommen sei. Für Missfallensäußerungen gebe es eine Grenze, es sei sehr zweifelhaft, ob das Pfeifen bei offenem Vorhang nicht schon eine Störung der öffentlichen Ordnung sei.
Strafe von 30 Mark
Das Gericht urteilte schließlich, dass die Öffentlichkeit zwar ein Interesse daran habe, einer ungestörten Theateraufführung beiwohnen zu können, dass aber zumindest die Angeklagten aus Bonn keinen groben Unfug begangen hätten. Als sie gegen die Beifallsäußerungen Partei ergriffen, so sei das ihr gutes Recht gewesen. Deshalb wurden sie auch freigesprochen. Anders sei dies jedoch beim Kölner Schauspielschüler. Dieser habe das Maß der Kundgebungen überschritten, habe er sich doch sagen müssen, dass er die unbehelligte Durchführung der Aufführung gefährde. Weil aber angenommen werden dürfe, dass auch er nur sein künstlerisches Missfallen zum Ausdruck bringen wollte, wurde unter Berücksichtigung mildernder Umstände eine Strafe von 30 Mark für ausreichend erachtet.