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Serie „Babylon Köln“ (8)Gift der Liebe – warum Bruno Oberreiter im Klinikbett starb

Lesezeit 6 Minuten
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Dem Patienten ging es nicht gut, aber die wahre Bedrohung ging vom behandelnden Arzt aus.

  1. Wie Berlin war auch Köln in den 20er und 30er Jahren geprägt von einer großen Lust auf das Leben, aber auch politischen Unruhen und Kriminalität.
  2. Spektakuläre Fälle schildern wir in unserer Serie „Babylon Köln“.

Köln – Nicht jede Ehe ist vom Glück gezeichnet. Emilia Oberreuter aber war in ihrer Ehe mehr als unglücklich. Der adlige Offizier, mit dem sich die damals 18-jährige Tochter eines Kapellmeisters 1912 verlobt hatte, war im Krieg gefallen. Der Lehrer, den sie daraufhin heiratete, verstarb bald an einer Rippenfellentzündung. Da lernte sie den 16 Jahre älteren Bruno Oberreuter kennen, der in Jülich als Architekt am Bahnbau arbeitete. Sie heirateten und zogen nach Köln in die zweite Etage am Bedburger Platz 4, der ab 1948 Prälat-Otto-Müller-Platz heißen sollte.

Die Wirtschaftskrise machte Oberreuter jedoch arbeitslos. Lautstarke Ehestreitigkeiten sorgten für Aufruhr. Nachbarn sahen, wie Oberreuter seine Frau schlug und an den Haaren die Treppe hinunterzog. Emilia Oberreuter lief mitunter auf die Straße, wo sie schrie, bis sie ohnmächtig zusammenbrach. Zunehmend habe sie Herrenbesuch empfangen. „Ich fürchte mich vor meinem Gatten und bin sicher, er würde mich erschießen, wenn ich von ihm ginge“, soll Emilia aber Freunden erzählt haben.

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Als Emilia Oberreuter mit Blinddarmentzündung ins Marienhospital gegenüber St. Kunibert eingeliefert wurde, behandelte sie dort der zwei Jahre jüngere Assistenzarzt Dr. Josph Bröcher, der sie auch nach ihrer Entlassung weiter betreute und bei seinen Hausbesuchen das Vertrauen des Ehemanns gewann. „Durch dieses Ein- und Ausgehen im Hause Oberreuter lernte ich die unglücklichen Eheverhältnisse kennen“, gab Bröcher später zu Protokoll und räumte ein, dass die Freundschaft mit Emilia vielleicht etwas zu herzlich geworden sei.

Ende 1924 eröffnete Bröcher in der Ursulagartenstraße 4 eine eigene Praxis. Seine Patienten mochten den aufopfernden und nachgiebigen Arzt. Dann aber verfiel dieser dem Alkohol. Schuld sei, da war man sich einig, Emilia Oberreuter, die Bröcher täglich aufsuchte, ob in seinen Sprechstunden oder in Cafés. Passanten berichteten, dass Bröcher Emilia auf dem Rücksitz eines Autos geküsst habe, während der Gatte vorne am Steuer saß.

Unerklärlicher Rückfall des Patienten

Im Frühjahr 1926 erkrankte das Ehepaar Oberreuter an der Grippe. Naheliegend, dass der inzwischen 29 Jahre alte Hausfreund sie behandelte. Während aber Emilia schnell gesundete, sank der Puls ihres Gatten schließlich auf 36 Schläge pro Minute. Bröcher rief am 8. März seinen ehemaligen Vorgesetzten, Chefarzt Dr. Carl Frick vom Marienhospital. Der diagnostizierte eine Herzmuskelaffektion und ließ den Architekten sofort ins Marienhospital einliefern, wo sich sein Zustand schnell besserte. Als man ihn schon entlassen wollte, erlitt er einen unerklärlichen Rückfall. Gerüchte gingen um. Dass Bröcher und Emilia Oberreuter eine Beziehung hätten, war bald offenes Geheimnis. Misstrauen erregte, dass Bröcher wiederholt vorschlug, man solle dem Kranken statt Coffein doch lieber Digitalis geben, obwohl er doch wissen musste, dass dies bei dessen Zustand fatale Wirkungen haben würde.

Schwester Potentina, stellvertretende Stationsschwester des Hospitals, versuchte am Freitag vor Palmsonntag einen zweiten Patienten auf das Zimmer Oberreuters zu legen, damit dieser nicht unbeaufsichtigt wäre. Bröcher aber protestierte und drohte, ihn in ein anderes Hospital verlegen zu lassen.

Oberarzt Frick verstand bei seinen Visiten die Welt nicht mehr. Woher kam bei Oberreuter am 29. März der blutige Stuhl? Was war das für eine merkwürdige Zahnfleischentzündung? Er wusste nicht, dass ein Krankenpfleger Oberreuter auf Anordnung Bröchers Zäpfchen verabreicht hatte. Nicht nur das: Hinter dem Rücken der Klinikärzte hatte Bröcher am 17. März begonnen, Oberreuter, der ihm anscheinend voll vertraute, Novasurol zu spritzen, ein Quecksilberpräparat zur Behandlung von Syphilis.

14 Gläser Bier sah man Bröcher am Morgen des Gründonnerstags im Brauhaus Zum Ochsen trinken. Dann ging er ins Krankenzimmer Oberreuters, wo er nach Schwester Potentina rief. Oberreuter habe seine Frau am Hals gewürgt. Sie solle ihm sofort zwei Spritzen geben! Potentina weigerte sich. Der Mann sei doch viel zu schwach, um die Frau zu würgen. Als niemand mehr im Zimmer war, verabreichte Bröcher schließlich selbst Oberreuter die letzte Spritze.

„Dann bleibt Ihnen nur die Flucht“

Gegen Mittag am Karfreitag war es, als Bröcher am Krankenbett des Sterbenden durch Assistenzarzt Dr. Anton Graß erfuhr, dass der mittlerweile misstrauische Frick angeordnet hatte, Oberreuter, sollte dieser sterben, durch den Pathologen Professor Dietrich auf Gift untersuchen zu lassen. Zusammengebrochen sei er daraufhin und habe ausgerufen: „Dann bin ich verloren!“ Er habe dem Sterbenden ein Quecksilberpräparat gegeben. Ob er nicht bei der Sektion mitwirken könne? Man könne die Eingeweide des Toten mit denen einer anderen Leiche vertauschen, damit nicht festzustellen wäre, woran er verstorben sei.

„Kollege, es wird nicht Ihr Schaden sein“, habe Bröcher gefleht. Graß lehnte ab. „Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als zu fliehen oder sich zu erschießen“, habe er erwidert und dann Frick informiert, der Bröcher sofort zu sich rief. „Es ist richtig, ich habe Oberreuter anderthalb Packungen Novasurol eingespritzt“, gestand Bröcher seinem ehemaligen Vorgesetzten. „Wenn jetzt Herr Oberreuter stirbt, dann sind Sie sein Mörder“, rief der Oberarzt bestürzt.

Bröcher habe ihn ins Marienhospital einweisen lassen, um ihn hier umzubringen, ohne dass ein Verdacht auf ihn fiele – was ja passiert wäre, wenn Oberreuter daheim gestorben wäre.

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Während Oberreuter in seinen letzten Zügen lag, suchten dessen Frau und Bröcher wiederholt Frick im Krankenhaus wie in seiner Privatwohnung im Hochparterre der Riehler Straße 23 auf und bettelten, im Totenschein eine andere Todesursache zu verzeichnen. Ansonsten, so Bröcher, müsse er sich erschießen. Frick riet, er solle sich rasch über die Grenze in Sicherheit bringen.

Nach qualvollem Todeskampf verstarb der 46 Jahre alte Bruno Oberreuter am Karfreitag, 2. April 1926, abends gegen 19.30 Uhr. Die Autopsie ergab als Ursache eine akute Quecksilbervergiftung. Anzeichen einer Syphilis fand man nicht. Am Tag nach seinem Tod verschwanden Bröcher und Emilia Oberreuter. Nach Ostern traf sie der katholische Kaplan Clemens aus Köln zufällig in einem deutschen Gasthof in Amsterdam. Frick erhielt am 16. April einen Brief aus Holland, in dem Bröcher erklärte, dass er doch nur einen Kunstfehler begangen habe.

Am 9. Mai 1926 reiste der Kölner Kriminalkommissar Wengling nach Amsterdam und ermittelte, dass die Gesuchten als Ehepaar Grübner ein möbliertes Zimmer außerhalb der Stadt bewohnten und ihnen das Bargeld ausging. Am Amsterdamer Bahnhof wurde das Paar Mitte Mai festgenommen.

Tausende umlagerten in den frühen Nachmittagsstunden des 2. Juni 1927 das Kölner Gerichtsgebäude, als das Schwurgericht Dr. Joseph Bröcher wegen Mordes zum Tode, Emilia Oberreuter wegen Begünstigung zu fünf Jahren Gefängnis verurteilte. Die Todesstrafe für Bröcher wurde später zu lebenslänglich Zuchthaus umgewandelt. Seine Strafe verbüßte er in Rheinbach.