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MotorsportMit der Corvette die „Großen“ etwas ärgern

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BAD MÜNSTEREIFEL – Der Mann ist rastlos. 68 Jahre alt. Er ist einer von Deutschlands erfolgreichsten Team-Chefs im Motorsport - und arbeitet jeden Tag noch acht Stunden. Am heutigen Samstag am Nürburgring, in der „Grünen Hölle“, wird Helmut Kissling wie in den vergangenen 35 Jahren beim Team „Kissling Motorsport“ am Kommandostand mitfiebern. Auch wenn Sohn Stefan inzwischen Regie führt und hofft, dass einer seiner beiden 2-Liter Astra einen Klassensieg einfährt - es wäre der 602. der Firmengeschichte.

Der gebürtige Bremer - er eröffnete seine Firma 1994 in Bad Münstereifel -, der sich mit 23 Jahren selbstständig machte und seine Uschi heiratete, hat Probleme, alle großen Erfolge aufzuzählen. Doch der Rallye-Weltmeistertitel mit einem Opel Astra (Fahrer: Bruno Thiry ) im Jahr 1993 ist haften geblieben.

Auch DTM-Einsätze 1989 (Kadett) und 1993 (Omega) mit Volker Strycek (Opel-Sport-Chef), der heute auch auf dem gelben Kissling-Astra startet, sind in guter Erinnerung. Gleiches gilt für die vier Siege bei der Deutschen Langstreckenmeisterschaft (VLN). Bei drei der vier Meisterschaften saß Heinz Otto Fritzsche am Steuer, er allein hat 75 Klassensiege für Kissling eingefahren.

Bei derart vielen Gesamt- und Klassensiegen - was war für ihn der schönste Erfolg? „Ganz klar, als mein Sohn Stefan 1997 die ADAC GT-Meisterschaft nach acht Rennen gewonnen hat“, sagt der Papa, der ein richtiger Familienmensch ist. Er hat eine Tochter und zwei Söhne - Stefan und Christian arbeiten in der Firma. Ehefrau Uschi ist „meine Kauffrau, ohne die unsere Erfolge gar nicht möglich gewesen wären“. Die Lebensstory des Helmut Kissling muss man im Zeitraffer darstellen: 1966 Firmengründung mit einem Mitarbeiter. Ende der 80er Jahre waren es 49. Nach zehn Jahren Aufbauarbeit stieg er 1975 in den Motorsport ein, baute Autos und Motoren für Autocross und Autospeedway. Einen VW-Käfer stattete er mit einem Opel-Motor aus, der bei einem Gesamtgewicht von 670 Kilogramm 205 PS auf den Asphalt brachte - eine Rakete. „Wir haben alle genagelt“, erinnert er sich. Viermal wurde er holländischer Meister. Und das Verrückte: Seine Uschi saß bei vielen Rennen selbst hinterm Steuer. Und Kissling? „Ich bin ein Jahr Rundstreckenrennen gefahren, mehr als einen Siegerkranz habe ich in dieser kurzen Zeit nicht einfahren können.“

Die Basis seines Erfolgs legte Kissling in Oberhausen. Im Ruhrgebiet sind die Menschen motorsport-verrückt, „tiefer, breiter, schneller“ war die Devise. Und deshalb konnte man mit „Straßen-Tuning“ gutes Geld verdienen - damals zumindest. Entscheidend für Kissling war das Jahr 1978, als er enge Bande mit Opel Motorsport knüpfte. Das wurde im Lauf der Jahre zu einer richtigen „Ehe“, denn er lieferte für diverse Projekte komplett im Eigenbau erstellte Tourenwagen und auch die entsprechenden Motoren.

Die Firma expandierte, Kissling wurde Fremdleister für Datsun / Nissan (Sonderlackierungen, Sonderumbauten - täglich 16 Autos), eröffnete in Eicherscheid einen Zweigbetrieb, wo damals Rene Gassen die Renneinsätze für den Nürburgring vorbereitete. Dann wollte Kissling weniger Stress: Er verkaufte seinen Betrieb in Oberhausen. In Bad Münstereifel, wo derzeit acht qualifizierte Mitarbeiter in der Firma beschäftigt sind, benötigt man etwa vier Monate, um einen neuen Motor (2-Liter-Turbo) rennfertig zu entwickeln. Für die komplette Neuentwicklung eines Rennwagens sind in der Regel acht bis neun Monate nötig. „Wer heute ganz vorne steht und nichts tut, ist spätestens in einem halbem Jahr nur noch Mittelmaß“, sagt Kissling.

„Fahrwerk, Getriebe, Motor und Aerodynamik - das sind die vier Faktoren, die den Erfolg ausmachen“, sagt der

68-Jährige. Und verrät auch ganz aktuell: „Letztes Jahr hatten unsere beiden Astra Turbo 320 PS, am Samstag schicken wir sie mit 350 PS in die ,Grüne Hölle .“

Der Nürburgring und vor allem die VLN-Langstreckenmeisterschaft sind im Leben von Kissling nicht wegzudenken. Mit etwas Sorgen betrachtet er deshalb auch die Entwicklung. „Früher war die VLN noch richtiger Breitensport in familiärer Atmosphäre, da wurde abends noch gemeinsam gegrillt.“ Inzwischen habe der professionelle Werkssport Einzug gehalten. Mercedes, Audi, BMW, Ferrari investierten in die „populärste Rennserie Europas“.

Kissling hat auch eine Corvette gebaut, die vorne mitmischen könnte, aber Helmut Kissling sieht es ganz nüchtern: „Um gegen die Werkteams erfolgreich antreten zu können, benötigten wir DTM-Piloten und Sponsoren. Die bekommt eine Privatfirma aber nicht.“ So wird die Kissling-Corvette zunächst in der RCN-Serie eingesetzt, aber beim „24-Stunden-Rennen“ will man die „Großen“ zumindest etwas ärgern. (rgr)