Einkaufen der ZukunftMit diesen Ideen wollen Städte der Region attraktiver werden
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Früher war alles anders. Vor 20 oder 30 Jahren, als der Onlinehandel noch keinen Faktor darstellte, als sich die weitgehend aus Geschäften bestehenden Citys regelmäßig mit Menschenmassen füllten, herrschte viel Leben in den deutschen Innenstädten.
Nicht erst durch Corona und die zeitweise Schließung von Geschäften und Gastronomie hat ein Wandel stattgefunden: Immer mehr Kaufhäuser und Einzelhandelsgeschäfte geben auf, statt Vielfalt in den Fußgängerzonen droht Ödnis. Die Pandemie wirkt hier wie ein Katalysator für eine Krise, die sich durch die Online-Konkurrenz und das veränderte Einkaufsverhalten der Kunden bereits abzeichnete. So mancher Immobilien droht der Leerstand. Die einstige Attraktivität in den Zentren droht verloren zu gehen. Doch muss das so sein? Sind die Probleme erkannt? Und welche Konzepte verfolgen die Kommunen, um auch in zehn Jahren noch attraktive Citys zu haben?
Das sind die Trends
Die Bewertung der Umfrage „Zukunft Innenstadt“ des NRW-Bauministeriums vom Sommer 2020 unter den 395 NRW-Kommunen lässt zwei Trends erkennen: Multifunktionalität des Zentrums wird zunehmend groß geschrieben. Der Einzelhandel büßt seine herausragende Bedeutung für die Attraktivität der City ein. Das Gastronomie, medizinisches Angebot, Freizeit-, Kultur-und Tourismusangebote sowie das Angebot an Dienstleistungen erhalten ein viel größeres Gewicht.
Zweitens relativiert sich die Bedeutung einer komfortablen An- und Abreise mit dem motorisierten Individualverkehr sowie entsprechenden Straßen und Parkräumen zugunsten einer guten Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. „Attraktive Wegeverbindungen für Mittel der Nahmobilität sowie das Angebot an Fahrradabstellanlagen und Service-Stationen für Fahrräder bzw. E-Bikes werden für die zukünftige Attraktivität als besonders wichtig erachtet“, heißt es in der detaillierten NRW-Studie, an der sich 268 der befragten Kommunen , also rund Zweidrittel, beteiligten (vgl. Grafiken).
Die Innenstadt als Lebensraum
„Die Zeit ist vorbei, in der die immer uniformer gewordenen Innenstädte nur noch dem Konsum dienen könnten“, meinte auch Thomas Krüger, an der Hamburger Hafen City Universität Professor für Projektentwicklung und -management in der Stadtplanung, jüngst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Und: „Es könnte sein, dass wir nicht des Konsums wegen in die Innenstadt kommen, sondern um was zu erleben, um Freunde zu treffen, um Konzerte zu hören, um ganz tolle, besondere Angebote zu sehen, um Kunst und Kultur zu genießen und nebenbei noch einzukaufen.“ Unter anderem für Senioren können Innenstädte durch kurze Wege mit vielen Serviceleistungen wie Banken, Ärzte, Nahversorger usw. eine hohe Lebensqualität bieten.
Das sagt die IHK Köln dazu
Auch der Kölner IHK-Hauptgeschäftsführer Uwe Vetterlein sieht das so. „Lange dominierte die Handelsfunktion, diese Zeit ist vorbei. Es wird wohl eine neue Mischung aus Gastronomie, Freizeit, Kultur, Wohnen, Arbeiten und Einkaufen geben“, sagte er jüngst im Interview mit der Rundschau. „Wir müssen Umbauprojekte definieren, Politik und Eigentümer an einen Tisch bringen. Auch die öffentliche Hand könnte als Investor auftreten und nicht-kommerzielle Treffpunkte einrichten.“
Und was schreibt der Städtetag?
Der Deutsche Städtetag schreibt in seinem Diskussionspapier „Zukunft der Innenstadt“ vom Februar 2021: „Die Innenstädte und Zentren bringen auf unterschiedlichen Ebenen Nachfrage und Angebot, das Sehen und Gesehenwerden, das Hören und Gehörtwerden zusammen. Die Vernetzungsfunktion geht weit über den bloßen Warenaustausch hinaus. Neue Innenstadtentwicklungskonzepte sollten daher verstärkt auf die unterschiedlichen Funktionen der Innenstädte und Zentren eingehen. Nutzungen wie Produktion, Logistik, Wohnen, Dienstleistungen, Kultur, Bildung und Tourismus müssen bei der Erarbeitung von Zielbildern genauso berücksichtigt werden, wie die Themen Gesundheit, Aufenthaltsqualität, Digitalisierung, Sauberkeit und Sicherheit.“ Doch was heißt das konkret? Viele Städte beschäftigen sich seit Jahren mit dem Thema – sowohl Metropolen wie Köln als auch mittlere Städte wie zum Beispiel Brühl oder Gummersbach.
Das Konzept für die Zukunft am Beispiel Köln
Die größte Stadt in NRW hat mit der Strategie „Kölner Perspektiven 2030+“ einen Kompass für eine zukunftsgerichtete, nachhaltige Stadtentwicklung erarbeitet und im Sommer 2020 ein 250 Seiten dickes Paket mit Ideen vorgelegt. Fünf Aspekte stehen im Mittelpunkt: Die Stadt will für kompakte und lebenswerte Quartiere, eine dynamische und nachhaltige Wirtschaft, für vielfältige Arbeitswelten sowie für Bildung, Chancengerechtigkeit und Teilhabe sorgen. Zugleich will Kölnseine Rolle als vielfältig vernetzte Millionen-Metropole stärken und klimagerecht und umweltfreundlich wachsen.
Die Stadtverwaltung glaubt, für die Innenstadt der Zukunft gelte es, Vielfalt und Qualitäten zu erhalten, zu erneuern und auszubauen sowie mit einer konsequenten Verkehrswende die Mobilität für die City neu zu denken. „Die Transformation von oft architektonisch ansprechenden, aber monofunktional auf Einzelhandel ausgerichteten Großimmobilien hin zu vielfältig nutzbaren Bauten kann ein Gewinn für das Stadtleben sein“, heißt es in einer Stellungnahme.
Optimierungsbedarf in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens
Dazu gehörten kluge Konzepte für den öffentlichen Nahverkehr genauso wie Logistik-Planungen, um die Lieferverkehre zu optimieren und zu reduzieren. Vor allem hofft die Stadt, durch neue Mobilitätsangebote und Antriebstechnologien, sprich E-Mobilität, klimaschädliche Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs und den hohen Raumbedarf für Straßen und Parkraum zu verringern. „Es gilt, den Menschen, sei es als Innenstadtbesucher, -bewohner oder –beschäftigten wieder in den Mittelpunkt der Planung zu stellen“, lautet die Leitlinie.
In Zukunft sollen weitere Strategien entwickelt werden, um für Einzelhändler Win-win-Effekte zwischen Online- und stationären Handel zu erzielen. Erreichbarkeit der City und Zugangsmöglichkeiten spielen dabei eine große Rolle. „Wichtig sind Aufenthaltsqualität und konsumfreie Zonen im öffentlichen Raum ebenso wie die Frage, wie die Freiräume mit den Folgen des Klimawandels umgehen. Grün und Wasser stehen dabei für Elemente, die Lebensqualität mit Aufenthaltsqualität verbinden und zu einer nachhaltigen Attraktivitätssteigerung der Innenstadt beitragen können“, meinen die Verantwortlichen in Köln.
Ein Beispiel ist der Vorschlag, den der bundesweit bekannte Architekt Stephan Braunfels jüngst für die Hohe Straße gemacht hat. Mit einem Glasdach längs des Abschnitts vom Wallrafplatz bis zur Ecke Schildergasse will er das Wilde, Zerklüftete der Flaniermeile beruhigen, und die Hohe Straße deutlich attraktiver machen. „Die Kleinteiligkeit in ein großes Ganzes aufgehen lassen“, nennt er das. Der Hohe Straße würde damit ein Gesicht gegeben, das „der wohl wichtigsten Straße Kölns“würdig wäre, meint Braunfels.
Die Stadtverwaltung glaubt, dass es besondere Aufgabe sei, die Innenstädte in ihrem Wandel zu begleiten, zu entwickeln und für die Menschen lebhaft zu gestalten. Denn wenn Handel und Politik einstimmig verkündeten, dass Einkäuferinnen und Einkäufer in Zukunft in die Innenstädte weniger nur wegen der Güterbeschaffung, sondern wegen des besonderen Erlebnisses kämen, dann sei es offensichtlich, dass dieses Erlebnis nicht nur in den Geschäften, sondern vor allem im öffentlichen Raum erfahren werde.
So wird sich Brühl entwickeln
Auch Brühl im Rhein-Erft-Kreis mit seinen rund 46 000 Einwohnern hat im September 2019 ein integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK) für die Innenstadt beschlossen. Das Leitthema: Modernes Stadtleben in historisch wertvollen Strukturen und Gebäuden. „Die Kernaufgabe ist die Belebung und weitere Attraktivitätssteigerung der Brühler Innenstadt“, beschreibt die Kommune ihre Anforderung. In Zukunft werde besonders die Bürgerorientierung die Rolle der Brühler Innenstadt verändern.
Dieter Freytag (SPD), seit 2014 Bürgermeister der durch sein Schloss und das Phantasialand überregional bekannten Kommune, glaubt: „Die Beteiligung der Bürger an der Stadtplanung und ein geändertes Konsumverhalten verschieben die Rolle der Stadt vom Marktplatz zur Erlebniswelt. Die Innenstadt wird zum Begegnungszentrum und setzt auf Dienstleistende, Gastronomen und touristische Konzepte zur Belebung der Stadt.“
Eingekauft werde zwar regional – aber auch online, heißt es bei der Stadt Brühl weiter. Doch würden die Bürger nicht nur zum Einkaufen kommen: Besonders Aufenthalts-, Kommunikations- und Erlebniswelten können mehr Menschen in die Innenstadt ziehen.
Eine weitere Strategie: Leerstand soll vermieden werden. Kreative Zwischennutzungen beugten zudem Vandalismus vor. Geplant seien neue Nutzungs- und Zwischennutzungskonzepte wie Pop-up-Stores (kurzfristige, provisorische Einzelhändler) oder ein Digitallabor sowie „Dritte Orte“, an denen Generationen zusammengeführt werden. Ganz aktuell ermöglich die Stadt über ein NRW-Förderprogramm eine stark vergünstigte Anmietung von leer stehenden Ladenlokalen für neue Ideen oder Geschäftsgründungen.
Sorgen machte man sich in Brühl als im Juni 2020 bekannt wurde, dass die Kaufhof-Filiale im Oktober des Jahres schließen würde. Die hatte auch über die Grenzen der Stadt hinaus viele Menschen angezogen. Doch schnell fand man mit der Mode-Kette „Sinn“ einen attraktiven Nachnutzer. Der will zwar in absehbarer Zeit die Immobilie für einen Neubau abreißen. Doch soll der Komplex dann zusätzlich von weiteren Einzelhandelsgeschäften, Praxen und Dienstleistern genutzt werden. In den oberen Etagen entstehen Wohnungen. Durch diese künftige Mischnutzung soll der Standort mitten im Brühler Zentrum attraktiv bleiben – ganz im Sinne der von vielen als zukunftsträchtig angesehen Konzeption für die Citys.
So blickt Gummersbach in die Zukunft
Die zukünftige Entwicklung des Zentrums nimmt auch Gummersbach mit seinen knapp 51 000 Einwohnern detailliert in den Blick. Mit der Transformation des Steinmüllergeländes von der Industriebrache hin zu einem lebendigen Innenstadtquartier hat die Stadt bereits frühzeitig auf die veränderten Anforderungen an die Innenstadt reagiert.
Neben dem Forum Gummersbach, einem Einkaufszentrum, das die vorhandene Fußgängerzone als Konzentrationsbereich für Handel ergänzt und stärkt, wurden hier Einrichtungen für Kultur, Sport, Bildung, Dienstleistung, Freizeit und Gastronomie angesiedelt und somit die Multifunktionalität und Attraktivität des Zentrums deutlich gesteigert.
Mit dem integrierten Entwicklungs- und Handlungskonzept Gummersbach - Zentrum 2030 wurden die Weichen für die zukunftsfähige Entwicklung der weiteren Innenstadt gestellt, in dem ein Masterplan für die Bereiche demographischer Wandel, Bildung, Kultur, Soziales, Mobilität und Klimawandelanpassung erarbeitet wurde.
Zu den 19 geplanten Maßnahmen des Konzeptes gehört auch der Umbau und die Erweiterung der alten Vogtei. In dem historischen Gebäude soll ein Begegnungszentrum entstehen, das eine zentrale Anlaufstelle für das gesellschaftliche Leben in der Kreisstadt werden soll. „Wir müssen die Innenstadt als einen Ort begreifen, an dem mehr stattfinden kann als lediglich kaufen und verkaufen; die Schaffung einer urbanen Erlebnisvielfalt ist die Zukunftsaufgabe für die nächsten Jahre“, sagt auch hier der technische Beigeordnete Jürgen Hefner.
Fazit
Erste Schritte sind getan, weil Städte und Gemeinden das Problem nicht nur erkannt haben, sondern seit konkrete Ideen entwickeln, um Innenstädte attraktiver zu gestalten. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, in welche Richtung sich die Citys entwickeln müssen. Und viele Kommunen, wie die Beispiele aus Köln, Brühl oder Gummersbach zeigen, haben bereits mit der konkreten Umsetzung begonnen. Allein: Die Frage wird sein, ob die Bürger in dieser schnelllebigen Zeit heute entwickelte Ideen in zehn oder 15 Jahren noch annehmen. Die Innenstadt nicht mehr vorwiegend als Einkaufsmeile, sondern als sozialer Treffpunkt und Dienstleistungszentrum: zumindest der Gedanke ist viel versprechend.