Wie Kanzler Scholz die niedersächsische Kleinstadt Damme mit dem 23. Februar in Schwierigkeiten bringt.
Historische TraditionNeuwahl kollidiert mit jahrhundertealtem Karneval in Damme
Neuwahlen am 23. Februar: Ganz Deutschland, so scheint es nach dem Regierungschaos der Ampel, atmet auf. Ganz Deutschland? Nein. Eine Kleinstadt in Norddeutschland zerbricht sich wegen des Neuwahl-Termins den Kopf: Damme, knapp 18000 Einwohner, seit jeher nicht nur CDU-, sondern auch Karnevalshochburg im ansonsten an Jecken eher armen Niedersachsen.
Wie kann die Wahl an diesem schicksalhaften Datum durchgeführt werden? Findet der Dammer Souverän den Weg zum Wahllokal? Können die Wahlhelfer die abgegebenen Stimmen ganz korrekt und nüchtern den Parteien zuordnen? Gibt es überhaupt Wähler – oder bleibt das Wahlvolk den Urnen aus Protest oder Nachlässigkeit fern? Ja, der 23. Februar ist wirklich der denkbar ungünstigste Wahltag für Damme und Umgebung. Doch fangen wir vorne an.
Karneval in Damme: Veranstaltung ist älter als die USA
Und vorne, das ist in diesem Fall das Jahr 1614. Aus diesem Jahr stammt die älteste Dammer Karnevalsgesellschaft. Wobei, Pardon, der Karneval in Damme mit C geschrieben wird. Carneval also. Der ist in Damme schon älter als die Vereinigten Staaten, Dampfmaschinen oder die Flippers.
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Laut Überlieferung kam um 1890 die katholische Kirche – und markierte den Spielverderber. Der Bischof von Münster mochte offenbar den Carneval nicht. Er befahl den Dammern, sie mögen doch bitte schon vor Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch ein 40-stündiges Gebet halten. Katholisch wie die Dammer sind und waren, gehorchten sie natürlich dem Kirchenfürsten – und legten ihren Carneval einfach eine Woche nach vorne.
Doch jetzt, 130 Jahre später, sorgt das für Probleme, weil die Neuwahl ausgerechnet auf den Carnevalsonntag fällt. Zumindest in Damme. Im allergrößten Rest des Landes hingegen werden Karneval, Fasching und Fastnacht erst eine Woche später begangen. In Damme aber, da ist der Wahltag jener Tag, an dem mehr als 100 Wagen durch die Straßen ziehen und Zehntausende Narren die Stadt in Ausnahmezustand versetzen. Man darf annehmen: Nicht jeder Carnevalist dürfte die Angelegenheit so trocken betrachten wie Olaf Scholz.
Presseanfrage ans Rathaus von Damme: Kann die Stadtverwaltung überhaupt garantieren, dass es genug einsatzfähige Wahlhelfer gibt? Wie sollen die Wähler zu den Urnen kommen, wenn die ganze Stadt gesperrt ist? Keine Stunde vergeht, schon ruft der Bürgermeister an. Klar, Carneval ist in Damme Chefsache. Mike Otte, 2021 für die CDU ins höchste Amt gewählt, gibt sich staatsmännisch: „Wir werden das hinkriegen”, sagt er. Aber eine „Herausforderung”, das sei diese Terminplanung schon.
Und was ist mit den Karnevalskostümen? Schließlich gilt doch das Vermummungsverbot. Also keine Pappnasen in der Wahlkabine? Kostüme seien erlaubt, sagt der Rathauschef, aber das Gesicht dürfte nicht verhüllt sein. Wahlhelfer hingegen seien angehalten, auf Kostüme zu verzichten.
Der Bürgermeister ist Pragmatiker. Er glaubt, der Anteil der Briefwähler werde noch weiter steigen. Die anderen Bürger könnten ja morgens die Stimme abgeben, bevor es um 12.33 Uhr mit dem Umzug losgehe. Wahl oder Carneval – auf diese Fangfrage lässt sich Otte gar nicht ein. „Wahl und Carneval“, sagt er. Beides sei „Ehrensache“.
Eines macht den Bürgermeister aber doch nachdenklich. Man habe im Vorfeld versucht, über die örtlichen Bundestagsabgeordneten einen Urnengang am 23. Februar zu verhindern – vergeblich. Offenbar sind die Anliegen des Dammer Carnevals in Berlin nicht so präsent wie die der rheinischen Frohnaturen? Schließlich war es ein No-Go, die Wahl eine Woche später abzuhalten – wenn der Rest der Welt seinen Karneval mit K feiert. „Wir müssen unser Marketing offenbar noch stärker intensivieren, damit man uns auch im Bundestag wahrnimmt”, räumt Otte ein.
Anruf bei Heiner Zumdohme. Der katholische Pfarrer ist in Damme sehr beliebt. Auch wegen seiner plattdeutschen Gottesdienste und Carnevals-Auftritte. Ob er sich 2025 als Olaf Scholz verkleiden wolle? „Nein. Aber ich kann mir vorstellen, mich als Wahlurne zur Verfügung zu stellen”, sagt Zumdohme.
Stimmzettel gern verbunden mit Spende für die Kirche
Dann nehme er Stimmzettel direkt im Umzug an, gerne verbunden mit einer Spende für die teure Renovierung, die in der Dammer Kirche ansteht. Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Er meint das natürlich mit einem Augenzwinkern. Ganz ernst hingegen ruft der Gottesmann dazu auf, „der Demokratie den Rücken zu stärken“.
Zumdohme gibt sich überzeugt: Die Wahl am Carnevalstag ist „die späte Revanche des Bischofs von Münster“, der Ende des 19. Jahrhunderts den Carneval verbieten wollte. Der habe vermutlich „direkt Einfluss auf den Bundeskanzler genommen”, damit die Dammer den Umzug ausfallen lassen müssten. Aber die Dammer würden sich tapfer schlagen und beides unter einen Hut bringen. Ohnehin empfiehlt der Pfarrer allen Bürgern, Briefwahl zu machen – denn die muss beim Landkreis in Vechta ausgezählt werden, wo Carneval keine Rolle spielt. Der Pfarrer nennt die Kreisstadt „carnevalistische Diaspora“.
Und was meint die Dammer Carnevalsgesellschaft von 1614 zu der Terminsache? Präsident Moritz Enneking sagt im Gespräch mit unserer Redaktion, er habe den Umzugsleiter aufgefordert, den traditionellen Umzugsweg so umzuleiten, dass er an den Wahllokalen vorbeiführe. Die Parteien in Berlin ruft er dazu auf, extra für Damme Wahlplakate in Reimform aufzulegen.
Es sei aber so oder so ein Glücksfall, sagt Enneking, dass der Umzug nicht nur am Sonntag stattfinde, sondern am folgenden Montag gleich nochmal. Einmal könne also auch jeder Wahlhelfer feiern. Wieder einmal haben die Dammer also die Obrigkeit ausgetrickst.