Die große Transformation in mehreren Bereichen muss die Ampel bewältigen. Lange ist das Thema Energiewende verschlafen worden – Macht es die Ampel besser? Ein Halbzeit-Zeugnis für die Bundesregierung.
EnergiewendeDas ist das Halbzeit-Zeugnis für die Ampel
Kanzler Olaf Scholz hat gerade zum allerersten Mal Zweifel erkennen lassen. Der Umbau sei „angesichts der Größe der Veränderungen naturgemäß mit Unsicherheit verbunden“, sagte er der „Zeit“. Ob die Regierung bei der Energiewende das meiste richtig entschieden habe, werde man „erst in einigen Jahren beurteilen können“.
Wir versuchen es schon jetzt und haben der Scholz-Habeck-Lindner-Regierung zur Regierungs-Halbzeit ein Zeugnis ausgestellt. Wir vergeben in sechs Fächern Schulnoten, vom Ausbau der Erneuerbaren bis zur Schaffung von Akzeptanz. Dafür haben wir uns bei Experten und in der Industrie umgehört. Ergebnis: In einem Fach hat die Regierung komplett versagt.
Fach 1 – Ausbau von Sonnenenergie
In dieser Disziplin kann die Ampel glänzen – mit tatkräftiger Unterstützung vieler Haus- und Wohnungsbesitzer. Dank hoher Fördersummen und günstiger Preise installierten sie rund eine Million Solaranlagen auf Dächern und Balkonen. Damit waren sie der Hauptantrieb des Solar-Rekordjahrs 2023. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) lobt: „Die Ziele für den Ausbau hat die Bundesregierung übertroffen.“ Der Verein vergibt ein „sehr gut“.
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Weil China den Markt mit billigen Modulen überschwemmt hat, wurde Sonnenkraft auf Sicht für viele zur attraktiven Energiequelle. Die Ampel will weiter auf dieser Erfolgswelle surfen und Anfang dieses Jahres ein Gesetzespaket mit Erleichterungen für Eigentümer von Mehrparteienhäusern verabschieden. Noch wichtiger wäre aber der Aufbau einer europäischen Photovoltaik-Industrie in Europa, mahnt die DUH. In Niedersachsen gibt es dafür bereits erste Anwärter. Wir stimmen mit der DUH überein: Note 1, „sehr gut“.
Fach 2 – Ausbau von Windkraft an Land und vor den Küsten
Mit einer installierten Windkraftleistung von rund 69,5 Gigawatt ist Deutschland nach China und den USA drittgrößtes Windrad-Land. Doch das allein reicht nicht, um die Klimaziele zu erreichen. Denn auf dem Meer, also Offshore, ist von der angekündigten Ausbau-Offensive der Ampel noch nicht allzu viel zu sehen.
27 neue Anlagen wurden vor der Nord- und Ostseeküste Deutschlands im vergangenen Jahr gebaut. Auf dem Festland waren es ganze 745 Windräder. Den Nachholbedarf erkennt auch Robert Habeck an. Im April 2022 gab er bekannt, auch nicht erschlossene Flächen ausschreiben zu wollen, um die Erschließung privaten Firmen zu überlassen. Bis das allerdings Wirkung zeigt, dürfte noch einige Zeit vergehen.
An Land ist die Flächenausweisung der Schlüssel. Die Ampel hat beschlossen, dass künftig zwei Prozent der Bundesfläche der Windenergie vorbehalten sein soll. Seit Inkrafttreten des Wind-an-Land-Gesetzes übt die Koalition Druck auf die Länder aus, die jeweils individuelle Ziele erfüllen müssen. Windrad-Muffel Bayern muss bis 2027 1,1 Prozent seiner Fläche für Windkraft ausweisen, bis 2032 1,8 Prozent. Niedersachsen steht derzeit bei 1,1 Prozent und will diesen Wert laut Umweltminister Christian Meyer verdoppeln.
Das ist auch bitter nötig, denn die Windkraft ist das ausgewiesene Zugpferd der Energiewende. Wir sehen Steigerungspotenzial. Note: „befriedigend“.
Fach 3 – Stromtransport und -speicherung
Fehlende Stromspeicher waren lange ein ungelöstes Problem. Die DUH zeigt sich entsprechend erleichtert darüber, dass die Bundesregierung im Dezember 2023 endlich eine Speicher-Strategie vorgelegt hat. Diese muss jedoch erst noch regulatorisch in der Praxis ankommen, weshalb sie Stand heute nur schwer zu beurteilen ist.
Der Ausbau von Übertragungs- und Verteilnetzen ist dagegen erkennbar angelaufen. Robert Habeck setzte alle paar Monate einen Spatenstich: Trassen wie die A-Nord und Südlink befinden sich jetzt im Bau. Südlink ist das teuerste Einzelprojekt der Energiewende und soll ab 2028 Windstrom von Schleswig-Holstein nach Süddeutschland transportieren.
Großprojekte wie diese sorgen für positives Feedback von Netzbetreibern wie Tennet. Auf Nachfrage vergab das Unternehmen die Note „sehr gut“, weil die Ampel „die richtigen Weichen stellt, um den Netzausbau auf die Überholspur zu bringen.“ Tennet-Chef Tim Meyerjürgens wünscht sich aber, dass die Regierung bald wieder auf Freileitungen statt Erdkabel setzt, um Kosten für Betreiber und Verbraucher zu sparen.
Die Ampel kann noch 2024 für Entlastung sorgen, wenn sie die Initiative der Bundesnetzagentur für fairere Netzentgelte unterstützt. Im Norden drohen sonst immer höhere Kosten, weil hier ein Großteil des Stroms fürs ganze Land in die Netze der Zukunft eingespeist wird – verbunden mit hohen Kosten, die bislang nicht ausgeglichen werden. Weil es bei den Verteilnetzen noch an digitalen Strukturreformen mangelt, schließen wir uns der Euphorie nur bedingt an. Es reicht trotzdem für die Note „gut“.
Fach 4 – Energie für den Übergang – LNG und Kohle statt Akw
Wladimir Putins billiges Pipelinegas sollte den Doppelausstieg aus Kohle und Atomkraft ermöglichen. Dann griff Russland die Ukraine an und drehte den Gashahn zu. Die Ampel schließt die Lücke mit umweltschädlicherem Fracking-Gas aus den USA und Katar, sowie mit längeren Laufzeiten der besonders CO2-intensiven Kohlekraftwerke.
Ein Weiterbetrieb der drei zuletzt abgeschalteten Atomreaktoren hätte für billigeren Strom und weniger CO2-Emissionen gesorgt, da sind sich Ökonomen weitgehend einig. Auch in Habecks Umfeld gab es Leute, die Ende 2022 längere Laufzeiten für klimaschonender und sinnvoller erachteten. Aber die SPD wollte davon nichts wissen. Die Betreiber und der Energiewirtschaftsverband BDEW sagen aber auch, das Wiederhochfahren älterer Meiler oder gar der Bau neuer Akw wäre am Ende noch teurer und noch schwerer umzusetzen als der forcierte Ausbau von Wind- und Sonnenkraft plus Speichern.
Als Versorgungs-Garanten will die Ampel stattdessen neue, auf Wasserstoff umrüstbare Gaskraftwerke bauen. Seit Langem liefen innerhalb der Koalition zähe Verhandlungen darüber. Am Montag gelang der Durchbruch: Die Bundesregierung hat sich auf eine Kraftwerksstrategie geeinigt. Der Plan sieht vor, Kraftwerkskapazitäten im Umfang von bis zu viermal 2,5 Gigawatt auszuschreiben. Die Förderung soll aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden – oder besser gesagt dem, was davon nach dem Karlsruher Urteil noch übrig ist.
Die Kosten für die nächsten rund 20 Jahre sollen bei ungefähr 16 Milliarden Euro liegen. Bis Sommer will die Ampel auch einen Kapazitätsmechanismus vorlegen, über den Betreiber dafür honoriert werden könnten, Kraftwerkskapazitäten vorzuhalten – ein wichtiger Baustein für Privatinvestitionen. Denn die Energie soll perspektivisch immer nur dann benötigt werden, wenn zu wenig Sonne scheint oder zu wenig Wind weht. Die Betreiber brauchen Garantien für Ertragsausfälle.
Eigentlich wollten wir der Ampel für die Übergangs-Energien eine glatte 5 geben. Mit der Last-Minute-Einigung für eine Kraftwerksstrategie wird die Ampel aber zum Streber und verdient sich zumindest die Note „befriedigend“ für die gute Perspektive, die sie damit schafft.
Fach 5 – Beschaffung und Netze für Wasserstoff
Beschaffung und Produktion von genug grünem – also mit erneuerbarer Energie erzeugtem – Wasserstoff und ein Leitungsnetz werden entscheidend sein, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu retten. Im November hat Robert Habeck den Startschuss für ein knapp 10000 Kilometer langes Wasserstoff-Kernnetz gegeben und erntet dafür viel Lob. „Das bringt uns vor die Welle“, sagt Energiewirtschaftschefin Andreae.“ Der Düngemittel-Riese Yara aus Schleswig-Holstein nennt das „einen großen und wichtigen Schritt.“ Der Firmensitz von Yara liegt in Brunsbüttel, wo bereits ein Ammoniak-Terminal steht.
Ammoniak ist der wichtigste Grundstoff der chemischen Industrie. Er lässt sich leicht transportieren und kann in Wasserstoff rückgewandelt werden. Die bestehende Infrastruktur könne noch besser eingebunden werden, heißt es von der Yara-Sprecherin.
Mega-Projekte wie die Wasserstoff-Pipeline aus Norwegen sind schon geplant oder werden ausgelotet – etwa mit Nigeria. BDEW-Chefin und Ex-Grüne Andreae ist inzwischen „sehr zuversichtlich, dass wir uns bis Mitte des kommenden Jahrzehnts mit ausreichend Wasserstoff versorgen können“. Die Industrie verteilt für das Fach Wasserstoff Noten von 1 bis 3. Wir entscheiden uns für die goldene Mitte: Note „gut“.
Fach 6 – Bürger und Wirtschaft mitnehmen
Ein SPD-Energiepolitiker sagte kürzlich: Was Klimaschützer in Sachen gesellschaftlichem Bewusstsein und Änderungsbereitschaft in den letzten Jahren aufgebaut hätten, habe die Ampel „mit dem Hintern wieder eingerissen“. Gemeint war das Heizungsgesetz und der irre Streit darüber. Durch „vorschnelle und unausgereifte Vorschläge ohne soziale Absicherung“ habe die Regierung insbesondere beim Gebäudeenergiegesetz „viel Schaden mit ihrer Kommunikation angerichtet“, rügt die DUH.
Die Schuld für eine wachsende Verweigerungshaltung bis hin zur Wut gegen einzelne Maßnahmen allein Robert Habeck zu geben, wäre aber zu einfach. Die Ampel hat es versemmelt, ihren Weg in die postfossile Welt für alle nachvollziehbar zu vermitteln. Die Grünen sehen den Weg in Verboten und Förderung.
Die FDP will’s den Markt richten lassen und setzt auf den CO2-Preis (ohne soziale Staffelung). Die SPD und ihr Kanzler tun noch immer so, als gelinge die Transformation, ohne dass die Bürger es merken, und veräppeln sich damit selbst. Das Ergebnis ist ein wirres Gemisch aus Zuckerbrot und Peitsche. Ein bisschen Förderung hier, ein paar Verbote dort. Ein höherer CO2-Preis für Kraftstoff und Heizöl, kein Klimageld, aber Milliardensubventionen für Intel. „Der Ampel ist es nicht gelungen, die Bürgerinnen und Bürger bei der Energiewende mitzunehmen“, konstatiert die Deutsche Umwelthilfe zu recht. Dafür kann es nur ein „ungenügend“ geben.
Mit einem Notenschnitt von 2,83 hat sich die Ampel eine „3+“ verdient. Die Energiewende läuft insgesamt „befriedigend“, an der Schwelle zu „gut“. Eigentlich keine schlechte Leistung – aber ob die Bundesregierung weitermachen darf oder sitzen bleibt, werden letztlich die Wähler bei der nächsten Bundestagswahl 2025 entscheiden.