AboAbonnieren

Interview

Katrin Göring-Eckardt
„Robert Habeck hat vieles richtig gemacht“

Lesezeit 7 Minuten
Katrin Göring-Eckardt, (Bündnis 90/Die Grünen), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

Katrin Göring-Eckardt, (Bündnis 90/Die Grünen), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

Grünen-Urgestein Katrin Göring-Eckardt spricht im Interview über die Krise ihrer Partei, die Situation der Ampel und künftige Machtoptionen.

Nach den verlorenen Landtagswahlen im Osten wollen die Grünen sich personell und inhaltlich an einem „Neustart“ versuchen. Katrin Göring-Eckardt (58), Urgestein der Öko-Partei, erklärt im Interview mit Rena Lehmann, warum Robert Habeck trotz Heizungsgesetz und Wirtschaftsflaute der Richtige ist, um die Grünen in den Bundestagswahlkampf zu führen.

Warum sind Ricarda Lang und Omid Nouripour nicht mehr gut genug, Robert Habeck aber der richtige, um die Grünen neu als Kanzlerkandidat anzuführen?

Ricarda Lang und Omid Nouripour tragen nicht allein Verantwortung für die Wahlergebnisse. Die tragen wir als Partei zusammen. Mit ihrem Rückzug ermöglichen sie unserer Partei neu nachzudenken. Das ist nötig. Für das Wahljahr 2025 brauchen wir eine starke Geschlossenheit. Robert Habeck hat meine Unterstützung. Es ist in der Politik und der Wirtschaft in Deutschland leider noch immer nicht sehr verbreitet, Fehler einzugestehen und daraus zu lernen. Robert Habeck hat Vieles richtig gemacht, worauf wir in Deutschland stolz sein können, weil wir schwere Krisen gemeinsam gemeistert haben. Und er räumt Fehler ein und lernt daraus. Das ist eine echte Qualität! Wir müssen künftig genauer schauen, wo die Vorwürfe gegen uns nicht mit der Realität übereinstimmen und wie wir uns dagegen wehren können.

Haben Sie ein Beispiel?

Ich wurde oft darauf angesprochen, ob es stimmen würde, dass die Grünen Haustiere verbieten oder dass wir alle Autos abschaffen wollen würden. Beides ist schlicht frei erfunden. Ich selbst mache zunehmend die Erfahrung, dass mir auf TikTok und anderen sozialen Netzwerke völlig verdrehte oder erfundene falsche Zitate zugeschrieben werden, die dann wiederum von anderen aufgegriffen werden und zu denen ich mich dann verhalten soll. Das gab es früher schon, aber das hat deutlich zugenommen.

Jetzt sollen es mit Franziska Brantner und Felix Banaszak erneut zwei westdeutsche Grünen-Parteichefs richten. Haben die Grünen den Osten aufgegeben?

Die beiden sind die Richtigen für die Parteispitze. Für den sechsköpfigen Bundesvorstand erwarte ich, dass Ostdeutschland stark vertreten ist. Diese Perspektive ist für unserer Partei wichtig.

Finden Sie, dass die Grünen pragmatischer und weniger ideologisch sein müssten?

Wir müssen im Ziel klar sein und pragmatisch im Weg. Ein Beispiel: Die Klimakrise muss bewältigt werden, das ist nicht optional. Das schaffen wir aber nur, wenn es auch Mehrheiten für Klimaschutz gibt. Daran müssen wir jeden Tag arbeiten. Unsere Lebensgrundlagen zu sichern, ist aber keine Aufgabe allein für Bündnis 90/Die Grünen. Hier braucht es wieder mehr Miteinander statt parteipolitischer Profilierungsversuche. Wenn ich Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen oder Daniel Günther in Schleswig-Holstein erlebe: Auch in der CDU gibt es Führungspersonen, die pragmatisch und ohne ideologische Hemmungen an gemeinsamen Lösungen für das Land mit uns arbeiten. Das ist die Art und Weise, wie unterschiedliche politische Kräfte zusammenarbeiten müssen. Außerdem dürfen wir uns nichts vormachen: Stürme, Überschwemmungen und Dürre verändern das Leben weltweit und massiv. Es entstehen gigantische Kosten, Existenzen werden bedroht. Nicht alles wird mit Technologie oder natürlich notwendiger Klimaanpassung zu regeln sein. Deswegen muss es gerecht zugehen und das, was wir in der Hand haben, sollten wir tun. Das kann eine Erfolgsgeschichte werden, wenn es gelingt, dass Viele mitmachen wollen.

Cem Özdemir hat in einem Gastbeitrag für die FAZ gefordert, die Grünen müssten vor allem ihre Migrationspolitik korrigieren. Was halten Sie von seinem Vorschlag?

Wir dürfen nicht zulassen, dass das Thema Migration unsere Gesellschaft immer stärker spaltet. Wir müssen uns parteiübergreifend auf eine Migrationspolitik verständigen, die der Debatte an Schärfe nimmt. Wir müssen gemeinsam schauen, was es braucht, um Menschen in Not zu helfen, aber auch den Kommunen und unserer Wirtschaft, die Arbeitskräfte braucht. Abgesehen von Spitzenzeiten haben in den vergangenen zehn Jahren um die 200.000 Menschen pro Jahr bei uns Asyl beantragt. Das kann eine Richtgröße sein. Danach sollten wir die Kapazitäten in Kitas, Schulen und Unterkünften ausrichten. Wenn wir uns auf ein solches Kontingent gesamtgesellschaftlich einigen, können wir uns die ständigen Debatten sparen. Und dann können wir auch besser mit außerordentlicher Hilfe wie etwa für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine umgehen, die darüber hinaus zu leisten ist. Für Humanität und Ordnung brauchen wir natürlich eine europäische Lösung, die Einhaltung unseres Grundgesetzes und unserer europäischen Gesetze.

Aber das bedeutet doch genau die Begrenzung der Zahlen, die die Grünen bislang ablehnen.

Ich bin für eine Begrenzung der Unordnung. Das individuelle Recht auf Asyl gilt. Natürlich. Wir müssen unsere Strukturen auf ein jährliches Kontingent einstellen und damit in Europa vorangehen. Mehr Lehrer in den Schulen, eine verlässliche Finanzierung durch den Bund. Wir müssen endlich aufhören mit den Muskelspielen und hinkommen zu pragmatischen Lösungen.

Sind Sie erleichtert oder bestürzt, dass Teile der Grünen Jugend der Partei den Rücken kehren?

Ich habe Hoffnung, dass junge Leute, die unserer Partei und ihren Zielen näherstehen, nachfolgen und die Grüne Jugend an der Spitze neu ausrichten. Und dabei gern sehr kritisch bleiben. Es macht mir Sorgen, wenn Menschen um die 20 sich von demokratischen Parteien, und gerade von Bündnis 90/Die Grünen, abwenden. Ich bin weiter dafür, miteinander zu diskutieren, als den Tisch zu verlassen und das Gespräch abzubrechen. In einem Punkt kann ich sie sehr gut verstehen: Wir haben keine gute Antwort auf die Gerechtigkeitsfragen gegeben. Dass wir die Superreichen nach wie vor nicht stärker besteuern, das bis vor kurzem trotz aller Beschlüsse nicht einmal ernsthaft diskutiert haben, halte ich für unverantwortlich.

Man könnte den Eindruck haben, die Grünen bereiten sich gerade auf eine Koalition mit der Union im Bund vor.

Wir regieren in vielen Ländern mit demokratischen Parteien in verschiedenen Konstellationen. Dass wir erschöpft davon sind, im Bund mit SPD und FDP zu regieren, spürt man sicherlich. Und dann ist es doch völlig in Ordnung darauf zu verweisen, dass Schwarz-Grün in den Ländern gut regieren kann. Die schwarz-grünen Koalitionen in den Ländern lösen die Probleme, die da sind. Das kann auch im Bund klappen. Die CDU steht vor der Frage, welchen Kurs sie fährt: Setzen sich Friedrich Merz und Hendrik Wüst durch oder Markus Söder? Das wird sich 2025 zeigen.

Für wie groß halten Sie die Wahrscheinlichkeit, dass die FDP im Haushaltsstreit die Ampel verlässt?

Ich wünsche der FDP, dass sie sich entscheiden kann, ob sie die Verantwortung, die sie übernommen hat, tragen will oder nicht. Manchmal habe ich den Eindruck, sie suchen nach Themen, um zu sagen, was mit ihr nicht mehr geht. Ich fände es besser, die FDP würde mehr zeigen, was mit ihr geht. Stabilität ist kein Wert an sich, aber unser Auftrag ist es schon. Und da ist auch Olaf Scholz gefragt.

Was wäre mit einem weiteren Jahr Streit und Stillstand gewonnen?

Die Ampel ist auch für uns Grüne keine Herzenskoalition. Aber die Menschen im Land können von der Politik zurecht erwarten, dass sie Probleme löst und nicht einfach hinschmeißt.

Sie sind Bundestagsvizepräsidentin. Was haben sie gedacht, als sie das Chaos in Thüringen gesehen haben? Droht das auch im Bundestag?

Die AfD versucht auch im Bundestag immer an die Grenzen zu gehen und Regeln zu übertreten. Ihre Abgeordneten bekommen zu Recht Ordnungsrufe, weil sie Grenzen des Anstands, Grenzen des Sagbaren übertreten. In Thüringen sieht man, was passiert, wenn man sie an die Macht lässt. Die AfD wird sie nutzen und sich als Anti-System-Partei darstellen. Es war für mich als Thüringerin erschütternd zu sehen, dass 35 Jahre nach der friedlichen Revolution ein Alterspräsident das Mikrophon von Abgeordneten abschalten will. Ein Redeverbot und die Duldung nur der eigenen Meinung kenne ich noch von Erich Honecker.

Das Landesverfassungsgericht hat bestätigt, dass der Alterspräsident der AfD sich nicht rechtskonform verhalten hat. Die Demokratie funktioniert also.

Die AfD hat versucht, das demokratische System ins Wanken zu bringen und die Mehrheit der Demokraten hat es wieder geradegerückt. Das ist die Wirklichkeit. Wer sagt, man solle die AfD doch mal regieren lassen, damit sie sich selbst entzaubert, sollte gewarnt sein. Sie würde als Partei, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung ablehnt, ihre Macht nutzen, um es auszuhöhlen und zu untergraben. Dafür bin ich 1989 nicht auf die Straße gegangen! Ich wollte Demokratie.

Mehrere Abgeordnete wollen ein Verbot der AfD prüfen lassen. Ist das Verbot der richtige Weg?

Ich halte es gerade nach den Vorgängen in Thüringen für richtig, prüfen zu lassen, ob die AfD als Ganzes gegen unsere Verfassung verstößt. Ich bin Mitglied eines Verfassungsorgans und wenn eine Partei verfassungswidrig agiert, kann ich das nicht mit der Begründung ignorieren, es könnte politisch blöd aussehen. Ein solches Verfahren ist allerdings keine geeignete Maßnahme, um die politische Auseinandersetzung zu beenden. Die müssen wir unabhängig vom Ausgang eines etwaigen Verfahrens weiter sehr klar führen.