Magdeburg, Aschaffenburg, jetzt München: Eine ganze Reihe von Anschlägen befeuert den Streit um die richtige Migrationspolitik immer weiter. Die Bundesinnenministerin fordert maximale Härte, warnt aber vor Vereinfachungen.
Innenministerin Nancy Faeser„Der Rechtsstaat muss maximale Härte zeigen“
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München: Nancy Faeser (SPD, M), Bundesinnenministerin, und Joachim Herrmann (CSU, l), Innenminister von Bayern, geben nach dem mutmaßlichen Anschlag in der Innenstadt ein Statement.
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Nancy Faeser musste am Donnerstag erneut zum Ort eines Anschlags reisen, diesmal nach München. Wieder war der mutmaßliche Täter ein Flüchtling. Was folgt für die Bundesinnenministerin daraus? Rena Lehmann traf Faeser bereits Anfang der Woche zum Interview, doch nach München stellten sich neue Fragen – die die SPD-Politikerin schriftlich beantwortete.
Frau Faeser, wie verkraften Sie persönlich, was Sie an den Unglücksorten sehen und erfahren?
Wenn Sie Menschen gegenüberstehen, die so entsetzliches Leid erfahren, geht das nie spurlos an einem vorbei. Das trifft mich sehr, gerade als Mutter, wenn Kinder unter den Opfern sind.
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„Es reicht“ war bereits die emotionale Antwort des CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz auf die Messerattacke auf ein Kleinkind in Aschaffenburg. Er will eine Wende in der Migrationspolitik. Sie auch?
Unsere Antwort auf Taten wie die in Aschaffenburg oder jetzt in München kann nur sein: Der Rechtsstaat muss maximale Härte zeigen. Wir haben die Gesetze für die Ausweisung von Gewalttätern und für mehr Abschiebungen massiv verschärft, jetzt müssen sie mit aller Konsequenz durchgesetzt werden.
Im Fall von Aschaffenburg hat der Rechtsstaat nicht funktioniert…
Das hat aber nicht nur mit irregulärer Migration zu tun. Der Rechtsstaat muss handeln, wenn jemand straffällig wird. Ein Gewalttäter muss verurteilt werden. Und wenn jemand gewalttätig und psychisch auffällig ist wie in Aschaffenburg, versteht niemand, wenn er noch frei herumlaufen darf. Deshalb haben wir in der Innenministerkonferenz besprochen, dass die Landesgesetze zur Unterbringung gefährlicher psychisch kranker Personen verschärft werden müssen. Nach Aschaffenburg die Migrationswende auszurufen, wie Herr Merz es getan hat, hat mit der Realität nichts zu tun. Die Wende haben wir längst eingeleitet. Wir haben die irreguläre Migration um ein Drittel zurückgedrängt, 2024 gab es 111.000 Asylgesuche weniger als 2023.
Eine Mehrheit der Bevölkerung sieht das Umfragen zufolge nicht so…
Deshalb nochmals: Wir haben bereits einschneidende Maßnahmen ergriffen, um die irreguläre Migration einzudämmen. Ich habe Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen angeordnet – und in dieser Woche um weitere sechs Monate verlängert, was im Europa der offenen Binnengrenzen eigentlich die absolute Ausnahme sein muss. Wir haben Leistungen für Asylbewerber gekürzt, wir haben Gesetze verabschiedet, um Abschiebungen zu erleichtern. Es ist einfach falsch, den Eindruck zu erwecken, es wäre nichts passiert.
Hat München die Lage nochmal verändert?
Es ist eine weitere furchtbare Tat. Dass der Täter – ein junger Afghane – offenbar mit voller Absicht in eine Gewerkschaftsdemo hineingefahren ist und so furchtbares Leid verursacht hat, macht uns fassungslos. Ich habe mir am Tatort selbst ein Bild gemacht. Und unsere Hoffnung ist weiter, dass die Schwer- und Schwerstverletzten wieder gesund werden. Doch die Migrationsdebatte führt in diesem Fall nicht weiter. Der Täter war legal in Deutschland. Er muss jetzt mit aller Härte des Gesetzes verfolgt und bestraft werden.
Sie hatten weitere Abschiebungen von Gefährdern und Straftätern nach Afghanistan angekündigt. Warum finden sie nicht statt?
Wie schwer Abschiebungen nach Afghanistan seit der Taliban-Herrschaft sind, können Sie daran erkennen, dass es in Europa bislang nur Deutschland gelungen ist, schwere Straftäter wieder dorthin abzuschieben. Glauben Sie mir, wir arbeiten mit Hochdruck daran, weitere schwere Straftäter nach Afghanistan abzuschieben.
Würden Sie mit Friedrich Merz in einer Koalition zusammenarbeiten?
Friedrich Merz hat sein Versprechen gebrochen, dass er nicht gemeinsam mit der AfD Mehrheiten im Deutschen Bundestag bildet. Erstmals seit 1949 wurde gemeinsame Sache mit der extremen Rechten gemacht. Deshalb habe ich Zweifel daran, was sein Wort nach der Wahl gilt. Wird er nach der Wahl dann auch sagen: „Friss oder stirb“ und keine Kompromisse eingehen? Wir haben doch das gemeinsame Ziel, dass der Rechtsstaat stark und durchsetzungsfähig ist und dass wir die Migration steuern und ordnen. Ich bin aber nach wie vor der Meinung, dass es uns gelingen kann, in der demokratischen Mitte Lösungen zu finden.
Wie könnten die aussehen?
Ich halte einen Kompromiss zwischen Union und SPD in der Migrationspolitik für notwendig und möglich. Unsere Gesetzentwürfe zur Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems liegen auf dem Tisch. Damit erreichen wir mehr Kontrolle, endlich eine faire Verteilung und Verfahren schon an den Außengrenzen, damit Menschen mit wenig Aussicht auf Schutz gar nicht erst nach Deutschland kommen. Dafür hat sich auch die Union in der EU eingesetzt, wir haben das erreicht. Natürlich sind wir hier auch zu sinnvollen Änderungen und Ergänzungen bereit. Es wäre doch ein gutes Signal, wenn wir zeigen, dass die Parteien der demokratischen Mitte sich auf die notwendigen Änderungen in der Migrationspolitik einigen. Auch wir in der SPD wollen die irreguläre Migration noch stärker begrenzen.
Der renommierte Historiker Heinrich August Winkler, selbst SPD-Mitglied, widerspricht ihrer Einschätzung, Zurückweisungen an der Grenze seien nicht möglich. Das Asylrecht würde in Deutschland falsch interpretiert. Kann er Sie überzeugen?
Er übersieht den wichtigen Punkt, dass es hier allein um das europäische Recht geht. Wir haben bei unseren Grenzkontrollen seit Herbst 2023 schon 47.000 Personen an den deutschen Grenzen zurückgewiesen. Das sind Menschen, die nicht nach Deutschland einreisen dürfen. Wenn Menschen aber Asyl beantragen, dann verlangt das europäische Recht, dies zu prüfen. Auch unsere Nachbarstaaten haben klipp und klar gesagt: Solche unterschiedslosen Zurückweisungen von allen Ankommenden würden sie nicht akzeptieren und niemanden zurücknehmen. Das zeigt: Was Herr Merz will, geht weder rechtlich noch praktisch.
Sie haben sich auch lange gegen Grenzkontrollen gewehrt, nun gibt es sie. Erleben wir jetzt mit den Zurückweisungen an den Grenzen eine ähnliche Entwicklung?
Das sind zwei Paar Schuhe. Ich habe nie gesagt, Grenzkontrollen gehen rechtlich nicht. Es gibt strenge Voraussetzungen, um Grenzkontrollen zu machen. Die waren erfüllt, als sehr viele Menschen zu uns kamen und andere europäische Staaten sie offensichtlich einfach weitergeschickt haben nach Deutschland. Das haben wir beendet – übrigens durch enge Abstimmung mit unseren Nachbarn. Deshalb will ich auch ganz klar sagen: Wenn wir diese europäische Zusammenarbeit aufs Spiel setzen, kommen mehr statt weniger Flüchtlinge nach Deutschland. Denn dann halten sich auch andere nicht mehr an ihre Verpflichtungen.
In der Debatte um Migration geht es gerade nur noch um Begrenzung von Zahlen. Wird das dem Thema gerecht?
Wir dürfen in der Debatte niemals vergessen, dass es Menschen gibt, die politisch verfolgt werden oder vor Krieg und Terror fliehen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir unterscheiden, wer wirklich Anspruch auf unseren Schutz hat und wer nicht. Wer keinen Schutzgrund hat, muss unser Land wieder verlassen. Deshalb haben wir die Maßnahmen zur Begrenzung der irregulären Migration ergriffen.
Wie viele Menschen können wir jährlich aufnehmen, damit die Integration gelingt?
Das sind doch Symboldiskussionen, die in der Sache nichts bringen. Wir haben ja gerade auch das Gefühl der Überforderung, weil wir wegen des brutalen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine 1,2 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen haben. Darunter sind viele Frauen mit Kindern, die Wohnungen und Kita-Plätze brauchen. Was hätte so eine symbolische Grenze hier gebracht? Wir brauchen ein geordnetes System und eine solidarische Verteilung in Europa. Das ist der einzige Weg.
Wie soll der nun konkret aussehen?
Wir schlagen, anders als Herr Merz, einen rechtskonformen Weg vor. Wir wollen Menschen, die nach den sogenannten Dublin-Regeln der EU in einem anderen europäischen Land ihr Asylverfahren durchlaufen müssten, gar nicht erst auf die Kommunen verteilen, sondern ihre schnellstmögliche Rückführung von Dublin-Zentren aus organisieren. In Hamburg habe ich gerade das erste besucht, am Montag werden wir mit Brandenburg ein weiteres Zentrum vereinbaren. Der zweite entscheidende Punkt ist die europäische Asylreform, die ja bereits beschlossen ist. Menschen, deren Aussicht auf Asyl gering ist, können dann gar nicht mehr in die EU einreisen.
Viele Menschen mit Migrationsgeschichte sind verunsichert und habe Angst, weil es nun auch vermehrt Angriffe auf sie gibt. Müsste die Politik nicht noch klarer machen, dass es in der Debatte nur um irreguläre Migration geht?
Wir haben 25 Millionen Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland und es ist gut, dass sie da sind. Sie halten unser Land am Laufen. Das sind Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Handwerker. Sie gehören dazu. Ich halte es für sehr wichtig, das in allen Debatten, die wir gerade über Migration führen, voranzustellen. Wir müssen immer wieder deutlich machen, dass wir in den aktuellen Debatten nur über Menschen reden, die kein Recht haben sich in Deutschland aufzuhalten. Wer Ressentiments gegen die vielen Zugewanderten in unserem Land schürt, legt die Axt an den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.