EM 2024 gegen SchweizLetzte Chance für Experimente in der deutschen Mannschaft

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Wie wird gewechselt? Gegen Ungarn kam Deniz Undav für Ilkay Gündogan in die Partie.

Wie wird gewechselt? Gegen Ungarn kam Deniz Undav für Ilkay Gündogan in die Partie.

Bundestrainer Nagelsmann plant, bei der Partie gegen die Schweiz einigen Ersatzspielern Spielpraxis zu ermöglichen, um ihre Beiträge in der K.o.-Phase zu erhöhen.

Von den bisherigen Eindrücken ausgehend, hatte Deniz Undav während seiner Schulzeit mehr Spaß am Sport- als am Matheunterricht. Eine Ausnahme ist er damit freilich nicht. Kicken statt Cosinus, für wen spielte nochmal Pythagoras? Was Undav möglicherweise von seinen Mitschülern unterschied, war seine Fähigkeit, sich mathematischen Aufgabenstellungen intuitiv zu nähern. Das ist ansonsten eher inselbegabten Rechenkünstlern vorbehalten.

Wer den Spielplan der Europameisterschaft in Gänze durchdringt, kann sofort bei Versicherungen als Risikomanager anfangen. Oder sich als künstliche Intelligenz verdingen. 16 Teams aus den teilnehmenden 24 Mannschaften gilt es herauszufiltern, um ein regelkonformes Achtelfinale spielen zu können. Dafür dürfen die vier besten Gruppendritten in die erste K.-o.-Runde vorrücken und an genau dieser Stelle enden die meisten Vorhersagen in einem tiefschwarzen mathematischen Loch.

Selbstverständlich ist ein Großteil der deutschen Mannschaft daran interessiert, welcher Gegner ihm denn im Achtelfinale gegenübersteht. Das Nagelsmann-Team hat nur das Minimum von zwei Spielen benötigt, um sich fürs Achtelfinale zu qualifizieren. Das abschließende Gruppenspiel gegen die Schweiz am Sonntag (21 Uhr, ARD) dient nun dazu, die Tabellenplätze eins und zwei auszuspielen. Für Undav hat die Konsequenz dessen aber keine Bedeutung. „Ich habe sogar gedacht, dass wir gegen Italien spielen würden, wenn wir ins Achtelfinale weiterkommen. War falsch. Ich nehme es, wie es kommt“, sagte er auf der Pressekonferenz am Freitag. Tatsächlich würden es die Deutschen es ja mit den Italienern im Achtelfinale zu tun bekommen, wenn beide Mannschaften Gruppenzweiter werden. Der Gefühlsmathematiker lag nicht falsch.

Bei Gruppensieg lauern die Spanier im Viertelfinale

Möglicherweise wäre es sogar der leichtere Weg, um sich durch die Verästelungen des Turnierbaums zu schlagen. Als Gruppenerster nämlich würden aller Voraussicht nach im Viertelfinale die Spanier warten, die bislang einen hervorragenden Eindruck hinterlassen haben.

Aber Form schlägt mathematische Funktion. Daher wird Nagelsmann wohl erneut jene Elf spielen lassen, die in den ersten beiden Partien zu Beginn auf dem Platz stand. Das deutete der Bundestrainer nach dem 2:0 gegen Ungarn an. Es gibt keinen Ersatz für Siege und Selbstvertrauen. Vor dem Turnier hatte der Coach seine Ersatzspieler in jenen Gesprächen auf ihre Rolle eingestellt, die im deutschen Fußballkanon zwischen Bahia und Berner Wunder stehen. Bislang scheint niemand der Rollenspieler dem Glauben aufzusitzen, dass er nun aber eine größere Rolle verdient: Haupt- statt Nebendarsteller. Undav wie auch sein Stuttgarter Mannschaftskollege Chris Führich freuten sich ehrlich und inständig, dass sie gegen Ungarn im VfB-Stadion ein paar Minuten spielen durften. „Das war ein ganz besonderes Erlebnis, unglaublich. Für uns ist ein Traum in Erfüllung gegangen“, so Führich.

Für einige andere Spieler ist zumindest dieser Traum noch nicht in Erfüllung gegangen. In der Defensive scheute Nagelsmann bislang Auswechslungen. Daher sind unter anderem Robin Koch, Waldemar Anton und Nico Schlotterbeck noch ohne Spielminute. Das dürfte sich in der Partie gegen die Schweiz ändern. Mit Antonio Rüdiger und Jonathan Tah sind die beiden gesetzten Innenverteidiger bereits mit einer Gelben Karte belastet. Nach der nächsten Verwarnung müssen sie eine Partie aussetzen. Unwahrscheinlich, dass sie gemeinsam ohne Sperre durch das Turnier kommen.

Nagelsmann wird bemüht sein, den bisherigen Bankakteuren ein paar Minuten zu spendieren, um so etwas Ähnliches wie Spielpraxis zu sammeln. Vor dem Turnier hatte er intensiv darauf hingewiesen, dass die Spiele meist entschieden werden, wenn die ersten Auswechslungen getätigt worden sind. Er wollte damit auf die Bedeutung der Joker hinweisen. Hier nun aber könnte sich eines der wenigen Probleme der deutschen Mannschaft verstecken. Leroy Sané wurde dem Kader explizit als möglicher Entscheider hinzugefügt. Als Spieler, der von der Bank kommend das Spiel auf die deutsche Seite wendet. Doch ausgerechnet Sané wollte bei seinen ersten beiden Einsätzen nur wenig gelingen. Bislang hatte das keine Konsequenzen.

Spätestens in der K.-o.-Phase aber wird die deutsche Mannschaft auf Impulse von der Bank angewiesen sein. Die Partie gegen die Schweiz bietet die letzte – und auch einzige – Möglichkeit während des Turniers, den Ergänzungsspielern Spielminuten ohne Druck zu spendieren. Die Wechsel dürften auch Auskunft darüber geben, wer jetzt welche Rolle in den Gedankenspielen des Bundestrainers einnimmt. Das dürfte dann sogar Undav interessieren.

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