AboAbonnieren

Rundschau-Debatte des TagesWie sieht die Ukraine-Strategie des Kanzlers aus?

Lesezeit 3 Minuten
Bundeskanzler Olaf Scholz

Bundeskanzler Olaf Scholz

Britische Abgeordnete reagieren verärgert auf den deutschen Bundeskanzler. Äußerungen zu westlichen Soldaten in der Ukraine. Gab der Kanzler öffentlich Geheimdienstinformationen preis?

Es kommt nicht oft vor, dass deutsche Politiker in Großbritannien für Aufregung sorgen. Doch am Donnerstag reagierte London gelinde gesagt „not amused“ auf die Äußerungen von Olaf Scholz. Der Bundeskanzler (SPD) löste fast schon eine diplomatische Krise aus. Höchste politische und militärische Kreise sprachen von „Unprofessionalität“ und gar von „Geheimnisverrat“. Der britische Ex-Verteidigungsminister Ben Wallace sagte, Scholz sei „der falsche Mann im falschen Job zur falschen Zeit“.

Der Stein des Anstoßes

Der deutsche Regierungschef hatte die Debatte am Montag losgetreten, als er sein „Nein“ zur Taurus-Lieferung an die Ukraine begründete. Das Risiko, Kriegspartei zu werden, sei zu groß, betonte er und erläuterte: „Das, was die Briten und Franzosen an Zielführung und Zielbegleitung machen, kann Deutschland nicht leisten.“ Das Problem: Er hatte damit angedeutet, dass Paris und London Soldaten vor Ort, also im Kriegsgebiet, stationiert haben und stieß damit die Nato-Mitgliedstaaten vor den Kopf.

Schon lange wurde im Hintergrund darüber spekuliert, dass Franzosen und Briten ihre an die Ukraine gelieferten Marschflugkörper selbst programmieren und zumindest das Königreich dafür Personal vor Ort stationiert hat. Nun sieht es danach aus, als ob es Scholz öffentlich bestätigt hat. Ein Sprecher der Downing Street betonte, dass „der Einsatz des Langstreckenraketensystems Storm Shadow durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl“ Sache der ukrainischen Streitkräfte seien.

Alles zum Thema Olaf Scholz

Harte Reaktion der Briten

Britische Sicherheitsexperten fanden für Scholz’ Vorgehen harte Worte: Die Äußerungen des Kanzlers seien „falsch, unverantwortlich und ein Schlag ins Gesicht der Verbündeten“, sagte die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im britischen Parlament, Alicia Kearns. Der konservative Abgeordnete Tobias Ellwood kritisierte einen „eklatanten Missbrauch von Geheimdienstinformationen, mit dem gezielt von Deutschlands Zögern abgelenkt werden soll, die Ukraine mit einem eigenen Langstreckenraketensystem auszustatten“.

Der ehemalige britische Nato-Beamte Jamie Shea sagte gegenüber unserer Redaktion, „dass in fast jedem Konflikt, in dem Mitgliedstaaten ein großes Sicherheitsinteresse haben, auch ohne Soldaten vor Ort, heimlich Spezialeinheiten eingesetzt werden“. Allerdings gebe es ein ungeschriebenes Protokoll unter den Nato-Partnern, die Anwesenheit oder den Standort der Kräfte bei solchen Einsätzen nicht öffentlich zu machen. Scholz habe nun gegen diese Konventionen unter Verbündeten verstoßen.

Keine Angst vor Putins Reaktion

Shea zufolge solle die Wirkung der Äußerungen auf Russland jedoch nicht überbewertet werden. „Wladimir Putin wird wissen, was einige Nato-Staaten in der Ukraine tun.“ Auch der britische Ex-General John Deverell glaubt nicht, „dass die Russen von den Äußerungen des deutschen Kanzlers über britisches Personal in der Ukraine überrascht sein werden“. Doch Scholz’ Worte kämen in einer schwierigen Zeit, in der sich Großbritannien und seine Verbündeten aufeinander verlassen müssten.

„Die britische Armee hat eine lange und enge Beziehung zur Ukraine“, betont Shea. Schließlich steht London dem Kreml seit Jahren äußerst skeptisch gegenüber, auch schon vor der Annexion der Krim im Jahr 2014. Gründe dafür sind etwa die Nähe der Briten zu den USA sowie die mutmaßlich vom Kreml verübten Giftanschläge auf die russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko und Sergej Skripal auf britischem Boden. Großbritannien gehörte zu den ersten Nato-Staaten, die ein langfristiges bilaterales Abkommen über Sicherheitshilfe mit der Ukraine unterzeichneten und bilden schon seit 2015 ukrainische Soldaten aus.