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Kann die CDU ihre Versprechen halten?Landesverband in NRW stellt sich hinter Friedrich Merz

Lesezeit 5 Minuten
Hendrik Wüst (l, CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, geht neben Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender, nach einer Pressekonferenz nach der Sitzung des CDU-Bundesvorstands in der Parteizentrale.

Hendrik Wüst (l, CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, geht neben Friedrich Merz, CDU Bundesvorsitzender, nach einer Pressekonferenz nach der Sitzung des CDU-Bundesvorstands in der Parteizentrale.

Die Finanzierbarkeit teurer Wahlversprechen wird vorerst lieber nicht diskutiert. Doch auch andere Themen treiben die Partei um.

Nach gut 37 Minuten senkt Friedrich Merz die Stimme und bereitet die Zuhörer auf eine wichtige Selbstauskunft vor: „Liebe Freundinnen und Freude, ich sage es so, wie ich es denke und empfinde.“ Bis dahin hat der Kanzlerkandidat der Union die Listenaufstellung der NRW-CDU zur Bundestagswahl am Samstagmorgen im Essener Kongresszentrum zu einer düsteren Gegenwartsanalyse genutzt. „Kein anderes Land in Europa steht so schlecht da wie Deutschland“, schimpft er. Seine „Bewerbungsrede“ als Spitzenkandidat des Landesverbandes vor rund 250 Delegierten gerät zur zackigen Gardinenpredigt.

Was kritisiert Merz an der aktuellen Regierung?

Merz spuckt die Worte förmlich aus, wenn er über die zerbrochene Ampel-Bundesregierung spricht: „Die-se Fort-schritts-koalition!“ Er zitiert aufgebracht eine Einschätzung Norwegens zur Berliner Energiepolitik: „Ich übersetze: Beschissen, was die Deutschen da machen“, ruft Merz. Der Rest Europas schaue „mit blankem Entsetzen auf diese Bundesrepublik Deutschland“. Merz tritt an, um „diesen Zirkus“ zu beenden. In der Bundesregierung seien „Egomanen unterwegs“. Olaf Scholz? „Isoliert“, „gleichgültig“, „desinteressiert“. Robert Habeck? Ein „literarisch orientierter Bundeswirtschaftsminister“. Nach 37 Minuten Redezeit aber klingt Merz plötzlich nachdenklich. „Ich stehe nicht vor Ihnen, um noch einmal im etwas höheren Lebensalter irgendeine Karriere zu machen“, versichert der 69-Jährige. „Ich stehe vor Ihnen, weil ich von der tiefen Sorge jeden Tag, wenn ich aufstehe, umgetrieben werde, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern ein Land hinterlassen, in dem sie nicht nur in Wohlstand und mit sozialer Gerechtigkeit leben können, sondern vor allem in Frieden und Freiheit.“

Wie steht die NRW-CDU zum Unions-Kanzlerkandidaten?

Diesen inneren Antrieb, Deutschland wieder flott machen zu wollen, nehmen ihm die Parteifreunde in NRW sogar ab. In Essen zeigt sich, wie Merz es in nur drei Jahren geschafft hat, die Merkel-CDU, die ja an Rhein und Ruhr besonders viele Anhänger hatte, vollständig auf sich auszurichten. Nach 20 Jahren Politikabstinenz und drei Anläufen auf den Parteivorsitz schafft das nur, wer diesen unbedingten Führungsanspruch hat.

Selbst in der NRW-CDU hat man sich hinter Merz eingereiht. Die Landesvertreterversammlung setzt ihn mit 99,6 Prozent Zustimmung auf Platz eins der NRW-Reserveliste, was nur symbolischen Wert hat, da Merz seinen Wahlkreis im Sauerland gewinnen dürfte. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der mit seinem Kokettieren in der K-Frage zwischenzeitlich die Autorität des Parteichefs arg angekratzt hatte, ist nun dessen Chef-Laudator: „Du stehst für das, was Deutschland gerade braucht: Klarheit und Verlässlichkeit.“ Sein Landesverband habe sich als erster hinter Merz gestellt, so Wüst in Essen. Die NRW-CDU werde „an jedem einzelnen Tag“ dem Kanzlerkandidaten den Rücken stärken.

Gibt es auch strittige Punkte mit dem CDU-Chef und dem Wahlprogramm? Zweifel an der Finanzier- und Umsetzbarkeit des Bundestagswahlprogramms, das Merz skizziert und am Dienstag mit der CSU beschließen lassen will, werden an diesem Morgen entschlossen weggeklatscht.

Einkommensgrenzen für den Spitzensteuersatz verschieben, Pendlerpauschale erhöhen, Mehrwertsteuer in der Gastronomie senken, Soli für Besserverdienende abschaffen, Stromsteuer senken, Netzentgelte reduzieren, „Alterssparkonten“ für jedes Kind aufbauen, Eigenheimförderung, kommunaler Altschuldenfonds, Bundeswehr aufrüsten – die Liste teurer Wahlversprechen wird immer länger.

Eine Gegenfinanzierung ist nicht zu erkennen. „Ja, das wird eine gehörige Kraftanstrengung aus den Haushalten der Bundesrepublik Deutschland. Bund, Länder und Gemeinden stehen am Anschlag mit dem, was sie zurzeit noch leisten können“, sagt Merz dazu nur. Selbst wenn man das Bürgergeld auf ein Minimum zurückfährt und Deutschland mit besseren Investitions- und Arbeitsbedingungen auf den Wachstumspfad zurückführen könnte, weiß in Düsseldorf jeder CDU-ler: An einer Reform der Schuldenbremse führt kein Weg vorbei. Merz will das erkennbar aber nicht mal mehr als „technische Frage“ diskutiert wissen. Zu groß ist wohl die Sorge, als Haushaltshasardeur hingestellt zu werden. Finanzierungsfragen sollen Koalitionsverhandlungen vorbehalten bleiben, heißt es.

Mit wem will die CDU nach der Wahl regieren?

Schwarz-Grün hat CSU-Chef Markus Söder am Wochenende noch einmal ausgeschlossen. Der SPD unterstellt die Union einen „Angstwahlkampf“ mit dem Ukraine-Krieg. Sie erwartet persönliche Herabsetzungen gegen den „Blackrock-Millionär“ Merz und verwahrt sich vorsichtshalber schon mal gegen Unterstellungen, man wolle die Rente kürzen. Die Neuauflage von Schwarz-Rot dürfte also auch keine Liebesheirat werden. „Choking“ nennen Sportpsychologen das Phänomen im Tennis, wenn nur noch der Matchball verwandelt werden muss und genau das zur Bürde wird. Merz sieht seit Monaten aus wie der sichere nächste Kanzler, doch die diffuse Angst vor dem Verhetzungspotenzial gerade beim Friedensthema ist greifbar.


Scharfe Kritik an Bundeskanzler Scholz

Die deutsche Regierung ist nach Einschätzung von CDU-Chef Friedrich Merz in der Europapolitik ein „Totalausfall“ und Kanzler Olaf Scholz (kleines Foto) in der EU politisch isoliert. „Man muss es leider so sagen: Die Mehrzahl der europäischen Staats- und Regierungschefs hat einfach keine Lust mehr, den deutschen Bundeskanzler zu treffen, der entweder stundenlang schweigend dasitzt oder belehrend die Welt erklärt“, schrieb Merz rund zwei Monate vor der Bundestagswahl in seinem Newsletter „MerzMail“ über den SPD-Politiker. Als Beispiel nannte er den Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron diese Woche in Polen, wo die beiden Nato-Verbündeten über die Ukraine-Politik berieten. „Wieder nicht dabei: der deutsche Bundeskanzler“, stellte Merz fest.

Umgekehrt gebe es auch „zur Schau gestelltes Desinteresse“ der Bundesregierung an der europäischen Politik. Das schade Deutschland und werde zunehmend zur Belastung der europäischen Politik und des Verhältnisses zu den europäischen Nachbarn. Merz erinnerte an die Wiedereröffnung der Kathedrale Notre-Dame am Samstag vergangener Woche in Paris; am Rande hätten Macron, der designierte US-Präsident Donald Trump und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj über die Lage in der Ukraine gesprochen. „Der deutsche Bundeskanzler war eingeladen, aber er hatte offenbar keine Lust, nach Paris zu reisen“, schrieb Merz.

Der CDU-Chef rügte, es gebe einen „faktischen Ausfall“ der deutschen Mitwirkung an europäischer Gesetzgebung. „German Vote“ nenne man in Brüssel mittlerweile die ständige deutsche Enthaltung in den Räten, zu denen zahlreiche Regierungsmitglieder, wie etwa Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), erst gar nicht hinführen. Von der deutschen Regierung habe es in den vergangenen drei Jahren nicht eine einzige Initiative etwa in der Flüchtlingspolitik oder in der Wirtschaftspolitik gegeben, über die man hätte in Brüssel diskutieren können, so Merz. (dpa)