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Benzin und DieselMacht der CO2-Preis Sprit unbezahlbar?

Lesezeit 5 Minuten
Blick auf eine Tankstelle

Blick auf eine Tankstelle. Die Spritpreise könnten ab 2027 empfindlich steigen.

Ab 2027 wird der europäische Emissionshandel auch für Brennstoffe gelten, was den Preis für Benzin und Diesel in die Höhe treiben könnte.

Derzeit können sich Autofahrer über vergleichsweise niedrige Spritpreise freuen. Unabhängig von den üblichen Preisschwankungen ist aber absehbar, dass sie mittelfristig auf spürbar höherem Niveau liegen werden: Denn ab 2027 werden auch Brennstoffe vom europäischen Emissionshandel erfasst. Die CO2- Bepreisung wird sich dann stärker an der Zapfsäule bemerkbar machen – manche Berechnungen gehen von 80 Cent oder mehr pro Liter aus.

Wie funktioniert der Emissionshandel?

Der von der EU 2005 eingeführte Emissionshandel (ETS) ist ein zentrales Instrument der Klimapolitik und umfasst bislang die Energiewirtschaft, energieintensive Industrien und den innereuropäischen Luftverkehr. Dabei gibt die EU über ihre Mitgliedsstaaten Zertifikate heraus, die jeweils zur Emission einer Tonne CO2-Äquivalente berechtigen und betreffenden Unternehmen teils zugeteilt, teils an sie versteigert werden.

Diese Zertifikate können dann zwischen Unternehmen gehandelt und zum Teil auch nachgekauft werden. Für jede emittierte Tonne CO2-Äquivalent, die am Ende eines Jahres nicht durch Zertifikate abgedeckt ist, wird eine Strafe fällig. Der Grundgedanke ist, dass Unternehmen ein wirtschaftliches Interesse daran haben, ihre Emissionen zu senken und auf diese Weise die Klimaziele erreicht werden. Die durch den CO2- Preis steigenden Benzin- und Dieselpreise sollen zudem die Verbrenner-Nutzung unattraktiver machen.

Was genau ändert sich 2027?

Mit dem ETS II werden auch der Gebäude- und der Verkehrssektor erfasst. Die begrenzte – und jährlich sinkende – Zahl an Emissions-Zertifikaten wird ausschließlich per Versteigerung auf den Markt gebracht. Anschließend soll der Emissionshandel den Regeln des freien Markts unterliegen, sich also, vereinfacht gesagt, nach Angebot und Nachfrage richten. Die Idee dahinter: Sinkende Emissionen führen zu sinkenden Preisen, weil insgesamt weniger Zertifikate benötigt werden. Steigen die Emissionen hingegen, oder sinken sie weniger stark als geplant, verteuert das die Zertifikate.

Um allzu starke Preissprünge abzufedern, werden 600 Millionen Zertifikate in der sogenannten Marktstabilisierungsreserve gehalten und können bei Bedarf in begrenzter Zahl auf den Markt gebracht werden. Außerdem werden zu Beginn zusätzliche Zertifikate herausgegeben, die eigentlich für spätere Jahre vorgesehen sind („Frontloading“). Unternehmen können diese also früh erwerben und dann aufsparen – oder auch darauf spekulieren, sie später teuer zu verkaufen.

Gibt es so etwas nicht schon im Verkehrsbereich?

Deutschland verfügt seit 2021 über ein nationales Instrument, den sogenannten Brennstoffemissionshandel (BEH), das bereits auf Benzin und Diesel angewendet wird. Dabei handelt es sich um Zertifikate, die zu einem jährlich steigenden Festpreis ausgegeben werden – im kommenden Jahr werden es 50 Euro (bislang 40) pro Tonne CO2 sein, 2026 dann 55 bis 65 Euro.

Dieses Instrument halten Kritiker allerdings für klimapolitisch wenig schlagkräftig, da keine Begrenzung der Emissionsmenge – und damit der Zertifikate – vorgesehen ist. Sprich: Unternehmen können bei Bedarf nachkaufen. Außerdem, rechnet Agora vor, schlage sich ein Preissprung von zehn Euro pro Tonne in einem lediglich um 2,9 Cent höheren Benzinpreis nieder. Dieses deutsche Emissionshandelsmodell wird 2027 durch den ETS II abgelöst.

Und wie wirkt sich das nun auf den Spritpreis aus?

Der für 2023 festgelegte CO2- Preis von 30 Euro pro Tonne führte nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums zu einem Preisanstieg bei Benzin von etwa 8,6 Cent pro Liter. Der für 2026 angepeilte Preis von 55 bis 65 Euro würde sich nach ADAC-Berechnung mit insgesamt knapp 17 Cent im Benzinpreis niederschlagen. Mit Inkrafttreten des ETS II erwartet die EU einen CO2-Preis zwischen 48 und 80 Euro pro Tonne – abhängig von den bis dahin erzielten Fortschritten bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen.

In welchem Maße der freie Zertifikate-Handel zu Preisschwankungen führt, lässt sich schwer voraussagen. Im Frühjahr 2023 erreichte der CO2-Preis mit 101,25 Euro einen Höchststand, ein Jahr später war er zwischenzeitlich auf 55 Euro gefallen. Schätzungen halten mittelfristig 200 bis 300 Euro für möglich. Letzterer Wert schlüge laut einer Studie des Beratungsunternehmens r2b an der Zapfsäule mit 80 Cent pro Liter zu Buche.

Ob diese Sphären wirklich erreicht werden, ist ebenfalls schwer absehbar. Für Carl-Friedrich Elmer, Verkehrsökonom bei Agora Verkehrswende, hängt viel vom „Frontloading“ ab: Wenn Akteure die vorab gekauften Zertifikate schon ganz am Anfang „leichtfertig aufbrauchen“, könne es „zum Ende der Handelsphase hin richtig knapp und damit richtig teuer werden“.

Funktioniert das Ganze denn?

Am derzeitigen Emissionshandel wird oft kritisiert, dass die CO2-Bepreisung zu niedrig angesetzt sei, um den gewünschten Effekt auf die Emissionsentwicklung zu haben. Das Umweltbundesamt etwa schrieb im Juli: „Damit der CO2-Preis in Deutschland eine ausreichende Lenkungswirkung entfaltet, sollte er im Jahr 2030 mindestens 250 Euro je Tonne erreichen.“ Der Weltklimarat hält einen Preis von 170 Dollar (156 Euro) für nötig, um die Erderwärmung zumindest bei 1,5 Grad zu halten.

Die „starke Volatilität“, warnt das Beratungsunternehmen EY, „birgt ebenso wie ein sehr geringer Preis das Risiko, die Bemühungen zur Dekarbonisierung zu gefährden, da sie Unsicherheit schafft und Wachstums- und Investitionsentscheidungen behindern kann“.

Inwieweit der deutsche Emissionshandel tatsächlich zu einer Reduktion des Schadstoffausstoßes im Verkehr geführt hat, ist schwer zu sagen. Der sank 2023 zwar um 1,2 Prozent, dies lag nach Angaben der Bundesregierung aber an einem Rückgang im Güterverkehr – und der dürfte eher konjunkturbedingt gewesen sein.

Für Agora-Experte Elmer ist die CO2-Bepreisung „zwar ein wichtiger Teil des Instrumentenmixes“ – nötig seien zusätzlich aber auch „Maßnahmen, die direkt bei der Kaufentscheidung ansetzen beziehungsweise bei der Entscheidung, welche Fahrzeugtechnologien Hersteller in den Markt bringen“. Eine „langfristig effiziente Investitionssteuerungsfähigkeit“ durch den CO2-Preis allein sei unwahrscheinlich.

War nicht mal die Rede von Entlastungen?

Die Ampel-Koalition wollte die zusätzlichen Belastungen, die die CO2-Bepreisung für die Verbraucher mit sich bringt, zumindest teilweise abfedern: Das Geld, das der Staat durch den CO2-Preis einnimmt – 2023 immerhin 18,4 Milliarden Euro – soll als „Klimageld“ wieder an die Bürger fließen. Nur lässt die Umsetzung auf sich warten. Auch die Frage, wer unter welchen Voraussetzungen wie viel Geld bekommt, ist noch nicht abschließend geklärt. Dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge wäre bei einem CO2- Preis von 60 Euro ein Klimageld von 170 Euro pro Kopf möglich. Bis zum Ende der Legislaturperiode wird es aber ohnehin nichts mehr – lediglich ein Mechanismus zur Auszahlung soll bis dahin geschaffen werden. Auf europäischer Ebene soll mit dem Start des ETS II ein 65 Milliarden Euro schwerer Klima-Sozialfonds aufgelegt werden, mit dem finanziell schwächere Haushalte und Kleinstunternehmen unterstützt werden sollen.