Neben Trauer und Bestürzung ist die Wut gegenüber dem mutmaßlichen syrischen Täter groß. Politiker verschiedener Lager instrumentalisieren das Verbrechen für ihre Agenda.
Bad Oeynhausen unter SchockWie die tödliche Attacke politisch instrumentalisiert wird
Wenn die Gewalt über eine Stadt kommt, dann steht für einen Moment alles still. Die Menschen reagieren mit Bestürzung, mit Entsetzen und mit Trauer. So war es auch nach dem 23. Juni – der Nacht, in der der 20-jährige Philippos T. im Bad Oeynhausener Kurpark sein Leben verlor. Die Bürger fanden sich zusammen, sie brachten Kerzen, Blumen und handgeschriebene Zettel an den Tatort, der damit auch ein Ort des gemeinsamen Gedenkens wurde.
Der Kurpark in Bad Oeynhausen ist eigentlich ein Idyll. Ein mondänes Schmuckstück mit Badehäusern, Arkaden, Kurtheater, Springbrunnen, eingebettet in einen englischen Landschaftspark. Im Sommer finden hier Konzerte statt, bald kommt Gitte Hænning. Es gibt das Parklichter-Fest mit Höhenfeuerwerk und Elton-John-Imitator, den Sommernachtstraum und Fish and Chips. Seit die Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg das Hauptquartier der britischen Armee beherbergte und auch später noch Garnison blieb, gibt es hier eine enge Verbundenheit mit allem Britischen.
Bad Oeynhausen ist eine sichere Stadt
Der traditionsreiche Kurort ist nicht als Kriminalitätshotspot bekannt, die Statistiken, sagt Bürgermeister Lars Bökenkröger (CDU), zeigten: „Bad Oeynhausen ist eine absolut sichere Stadt.“ Mehrere Kurkliniken gibt es hier, viel Gastronomie, aber in der Innenstadt auch deutlichen Leerstand. Viele Geschäfte sind in das „Werre-Center“ gezogen, eine moderne Shoppingmall an einer der Ausfallstraßen. Im Stadtzentrum sind einstmals belebte Passagen verlassen.
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Die verbliebenen Geschäfte haben oft eine lange Tradition: 90 Jahre gibt es das Modegeschäft Backs, auf 118 Jahre bringt es das Café Finselbach. Zwei Bettler sitzen an diesem Morgen in der Fußgängerzone. Eine ältere Dame liest aufmerksam das Schild, das einer von ihnen neben seiner Decke platziert hat und auf dem er von seinem Schicksal berichtet. Sie geht weiter, ohne zu spenden. Das geschilderte Schicksal hat sie vielleicht nicht ganz überzeugt. Die Szene sagt viel darüber aus, wie Ostwestfalen funktioniert, mit seinem freundlichen, aber etwas spröden Menschenschlag, der dennoch schaut, was der andere so tut.
Bad Oeynhausen: Syrer sitzt in U-Haft
Dass es Bad Oeynhausen in die bundesweiten Schlagzeilen schafft und sogar in den Bundestag zu einer Aktuellen Stunde, hat viel mit dem gesellschaftlichen Klima zu tun. Und mit eingeübten Reflexen. Denn nach dem ersten Schock über die brutale Tat, nach der Trauer und dem gemeinsamen Gedenken kam: die Wut.
Der mutmaßliche Täter ist ein Syrer. Er sitzt in Untersuchungshaft, nach weiteren Beteiligten wird noch gesucht. Von ihm soll die Prügelattacke ausgegangen sein, in dessen Folge Philippos T., der seine jüngere Schwester zum Abiball begleitet hatte, so gewaltsam zu Tode kam. Den bisherigen Ermittlungen zufolge hatte der 18-jährige Tatverdächtige ihn unvermittelt attackiert und auf den Kopf des Opfers eingetreten und -geschlagen. Philippos T. erlitt dabei schwerste Kopfverletzungen und verstarb wenige Tage später im Krankenhaus.
Ein Syrer also, ein Migrant, polizeibekannt. Das reicht, rechts wie links, für die eingeübten Reflexe. Denn was dann passierte, ist inzwischen wie ein Ritual. Ein rechtes Bündnis aus Querdenkern und AfD kaperte das Gedenken, organisierte eine Mahnwache – gegen den Wunsch der Eltern des toten jungen Mannes. „Die Politik muss endlich handeln!!!!, So kann es nicht mehr weitergehen“, postete etwa das Bündnis „Bad Oyenhausen erhebt sich“ auf Instagram, wo es ansonsten mit durchgestrichenen Ampelsymbolen für Protestmärsche gegen die Regierungskoalition aufruft. „Wenn es um einen polizeibekannten Syrer geht, dann wird das politisch genutzt“, sagt Bürgermeister Bökenkröger und spricht von einer „aufgeheizten, fast aggressiven politischen Stimmung“.
Faeser gießt noch Öl ins Feuer
Aber auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) reagierte reflexhaft und goss damit noch mehr Öl ins Feuer. Sie sprach von einer „Form der nicht gelungenen sozialen Integration“, so, als sei es ganz normal, einen Menschen totzuprügeln, nur weil man vermeintlich nicht integriert ist. Sofort erhob sich scharfe Kritik, vor allem aus der Opposition, aber auch aus der eigenen Partei. Von „Täter-Opfer-Umkehr“ war die Rede, aus der CSU kamen Rücktrittsforderungen. Es ist ein unnötiger Bumerang, den sich Faeser damit eingehandelt hat.
In Bad Oeynhausen ärgert man sich noch über einen anderen Aspekt aus Faesers Äußerung: Sie hatte behauptet, der syrische Tatverdächtige habe seit acht Jahren in einer Flüchtlingsunterkunft gelebt und kenne nichts anderes. So, als sei auch das eine Erklärung für die Gewalttat. Doch offenkundig war die Ministerin hier falsch informiert: Der 18-Jährige war mit seiner Familie vielmehr erst vor einem Jahr nach Bad Oeynhausen gezogen und hat nach Angaben der Stadt dort nicht in einem Flüchtlingsheim gelebt und auch keine städtischen Leistungen bezogen. „Ich habe mich über die Äußerungen der Innenministerin wie viele hier sehr geärgert“, sagt Bürgermeister Bökenkröger. „Wenn Nancy Faeser bei so einer Sache schon schlecht gebrieft ist, frage ich mich, auf welcher Basis sie sich zu Verfassungsfragen äußert.“
Integration: Bund und Länder in der Pflicht
Der Bürgermeister sieht jetzt den Bund und auch die Länder in der Pflicht, die Flüchtlingsthematik anzugehen. Der Zuzug von Flüchtlingen müsse besser geregelt, Straftäter müssten auch ausgewiesen werden, sagt er. Viele Kommunen fühlten sich mit den Problemen alleine gelassen, gerade wenn es um die Integration geht. „Unsere Grundschule in der Altstadt hat einen Migrantenanteil von 80 bis 90 Prozent“, sagt er. „Wir brauchen dringend mehr Schulsozialarbeiter.“ Bund und Länder setzten die Standards und ließen die Kommunen dann damit alleine. So, findet er, geht es nicht weiter. Die politische Stimmung im Land? Empfindet er inzwischen als „besorgniserregend“.
Das Blumenmeer am Tatort im Kurpark ist nach fast zwei Wochen inzwischen vertrocknet. Die Grabkerzen und Zettel, die Kreuze und gehäkelten Sterne sind vom Regen der letzten Tage aufgeweicht. „Warum diese sinnlose Gewalt?“, steht auf einem an den getöteten Philippos T. gerichteten Brief, unterzeichnet von „Eltern aus Bad Oeynhausen“.
Ein älteres Ehepaar schaut sich alles genau an. Sie sind nicht von hier, nur zufällig auf der Durchreise mit ihrem Camper, sie haben in den Nachrichten von dem Vorfall gehört. „Man muss solche Straftäter abschieben“, sagen sie. Und dass es immer nur die Falschen trifft. Neulich haben sie gelesen, dass jemand nach 25 Jahren in Deutschland abgeschoben wurde. Obwohl er hier einen Job hatte, Steuern zahlte, die Sprache beherrschte. „Darüber sollten Sie mal schreiben“, sagen sie.