Mehr Grün in der StadtWelche Pflanzen unseren Fassaden, Dächern und dem Klima guttun
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Leverkusen – Eine Pflanzenschicht am städtischen Haus oder auf dem Dach hat viele Vorteile: Sie kühlt, dämmt und ist zudem gut für das seelische Wohlbefinden. Efeu und Wilder Wein sind auch ein Paradies für Vögel, Bienen und Schmetterlinge. So entsteht Lebensraum, der schon verloren war. Der Biologe und Leiter des Naturgut Ophoven in Leverkusen Hans-Martin Kochanek erklärt, wie man Hausfassaden und Dächer begrünt.
Gerade sind es die Amseln, die Hans-Martin Kochanek eine „fantastische Freude“ bereiten. Sie bevölkern den Efeu an seiner Hausfassade und zupfen begierig die Beeren ab. „Wenn da einmal der Frost drüber gegangen ist, sind die Efeu-Beeren für die Vögel genießbar.“ Nach kalten Nächten, wenn der Boden teils noch gefrorenen ist, finde sich zu dieser Jahreszeit noch nicht genug Nahrung für die Vögel: „Die Würmer sind noch nicht aktiv“.
Efeu und wilder Wein an der Fassade
Eine von Efeu überwucherte Hauswand ist somit ein Segen für die Amseln. Und im Laufe des Jahres auch für viele andere Tiere. Wenn – wie bei den Kochaneks – neben dem Efeu auch Wilder Wein am Haus wächst, hat das zu jeder Jahreszeit für unterschiedliche Tiere Vorteile: „Wir fänden es ja auch nicht so toll, wenn es nur Kartoffeln im Supermarkt gäbe.“ So begründet Kochanek den Mix an seinen Hauswänden und schwärmt von der Schmetterlingsvielfalt vor seinen Fenstern, von Vögeln oder der Efeu-Seidenbiene, einem „hübschen, kleinen Kerlchen“, wie er sagt.
Aber: Wer sein Haus begrünt, muss gar kein so ausgeprägter Tierliebhaber sein, um Vorteile davon zu haben. Grün tut auch dem Menschen gut, in vielerlei Hinsicht und vor allem in urbanen Ballungsgebieten, in Städten, in denen Betongrau überwiegt und frisches Grün ein rares Gut ist. Umweltschützer fordern seit Jahrzehnten, die Pflanzen- und Tierwelt nicht komplett aus unseren Städten zu verdrängen. Nun sind es die Auswirkungen des Klimawandels, die vermehrt dafür sensibilisieren. Denn die zunehmend heißen Sommer machen sich in den Städten besonders unangenehm bemerkbar.
Mehr Grün in städtischen Betonwüsten
Viele Städte und Kommunen haben Förderprogramme aufgelegt, um mehr Grün in ihre Betonwüsten zu bekommen. Die Stadt Köln etwa fördert seit Ende 2018 mit ihrem Projekt „Grün hoch 3“ die Begrünung von Dach- und Fassadenflächen sowie die Wiederbegrünung von versiegelten Flächen. „Anfangs lief es schleppend“, sagt Boris Grob vom Umwelt- und Verbraucherschutzamt der Stadt. Doch die Zahl der Anträge habe beständig zugenommen, und im vergangenen Jahr seien die zur Verfügung stehenden Mittel von 600.000 Euro zum ersten Mal vollständig abgerufen worden. Das Projekt läuft noch bis Mitte 2023, eine Verlängerung ist geplant. „Das Potenzial in Köln ist riesig, und die Begrünung ist eine der wichtigen Maßnahmen, mit denen Städte sich an die Folgen des Klimawandels anpassen können“, betont Grob.
Jedes grüne Blatt zählt beim Schutz vor Hitzesommern und Starkregenereignissen. Bei den Verantwortlichen sei das angekommen, sagt Birgit Königs vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu): „Aber viele Bürger wissen nichts von den Förderprogrammen. Und kaum etwas über die vielen Vorteile, die eine Hausbegrünung hat.“ So eine begrünte Wand oder ein begrüntes Dach sind nicht nur Futterstation und Nistplatz für Vögel. Das Grün in der grauen Stadt kann viel mehr.
Natürliche Klimaanlage
Der Leverkusener Biologe Hans-Martin Kochanek bezeichnet die Schicht aus Efeu und Wildem Wein an seinem Haus als „dritte Haut“. Im Sommer sorgt sie durch die Reflexion des Sonnenlichts für eine Verschattung der Fassade, die Räume im Innern bleiben kühl. Im Winter wirkt das Grün dämmend – und so spart der Hausbesitzer Energiekosten für Klimaanlage und Heizung. Dazu kommt: Der Klimawandel schreitet voran und schon in 25 Jahren könnte es sein, „dass wir Jahre erleben werden, in denen die Hälfte der Tage, also 150 bis 180 Tage Sommertage sind, also Tage mit mehr als 25 Grad“, erklärte kürzlich der Kölner Meteorologe Karsten Schwanke. Heute seien wir im Mittel bei 70 bis 75 Tagen. Im heißen Jahr 2018 waren es schon 100 Tage. „Es ist möglich, dass wir dann im Sommer Temperaturrekorde von 43, 44 Grad erleben werden“, sagte Schwanke weiter.
Zwischen kargen Betonwänden wird das unerträglich werden. Mauern heizen sich an solchen Tagen auf und strahlen die Hitze in er Nacht ab – ein Dauerbackofen. Spätestens in solchen Hitzephasen wird jedes Blättchen Efeu in den Städten gefeiert werden, nicht nur von den Bewohnern des dazugehörigen Hauses. Karsten Schwanke: „Nach einem heißen Tag liegt die Temperatur nachts in einem Park um bis zu zehn Grad tiefer als nebenan in einem dicht bebauten Stadtviertel.“ Pflanzen reichern die stickige Stadtluft mit Sauerstoff an, fangen als natürlicher Staubfilter Schadstoffe und Kohlendioxid ein und sorgen durch Verdunstung für frischere, kühlere Luft.
Grüne Psychotherapie
Hans-Martin Kochanek hebt hervor, dass mehr Grün zwischen all dem Beton unserer Städte nicht nur praktische, sondern auch psychologische Vorteile habe. Wir würden uns das Prinzip des Waldbadens in urbanen Ballungsgebieten zugänglich machen. „Grüne Fassaden sorgen für Frieden und Genuss in der Stadt“, sagt der Biologe. Wir Menschen fühlen uns wohl, wenn wir von Grün und von Wasser umgeben sind. Die Farbe Grün sei in unseren Genen positiv besetzt – ganz einfach deshalb, weil Wasser und Wald in grauer Urzeit Nahrung bedeuteten und somit das Überleben sicherten.
Heute ist der nächste Supermarkt nie weit entfernt. Und doch zeigt sich immer deutlicher, dass wir ohne Grün nicht könnten. Die Folgen des Klimawandels führen uns das vor Augen. Aber auch unsere eigene Psyche. Das Waldbaden mausert sich zunehmend zu einem anerkannten Gesundheitskonzept. Erfunden haben es die Japaner, sie nennen es „Shinrin-Yoku“, das ist japanisch für „Baden im Wald“. Dabei soll mit allen Sinnen in die Stille und Unberührtheit des Waldes eingetaucht werden. Ärzte in Japan verordnen bei Burnout oder Herz-Kreislauf-Problemen eine Waldtherapie, das ist medizinisch anerkannt. Hierzulande steckt die Waldmedizin noch in den Kinderschuhen. Aber dass Natur uns guttut, ist unbestritten. Mehr Grün im Grau kann also nicht falsch sein.
Igitt, Ungeziefer!?
Natürlich gibt es viele Bedenken. Hausbesitzer fürchten um ihre Fassaden, Architekten um den freien Blick auf ihre Kunst und Hausbewohner den Angriff von Krabbeltieren aller Art. Die Städter von heute hätten immer weniger Kontakt zur Natur, das schüre „die Angst vor Spinnen, Insekten, Pieksezeug“, sagt Hans-Martin Kochanek. Seiner Ansicht nach ist das eine Frage der Erziehung. Wenn Kinder mit ihren Eltern keine Natur erleben, nicht angeleitet werden, nie einen Regenwurm ausbuddeln oder eine Kellerassel verfolgen, dann entwickelten sie Angst. Vor den Krabbeltieren im Fassadengrün könne man sich aber ganz einfach durch Fliegengitter an den Fenstern schützen. Zumal sie ohnehin von Vögeln, die sich über zurückerhaltenen Lebensraum in der Stadt freuen, gefuttert werden.
Und ja, vielleicht krabbelt auch mal eine Maus durch die rankenden Pflanzen am Haus hinauf. Aber auch sie lasse sich von Fliegengittern aufhalten. Und habe zudem gar keinen Grund, ins Haus zu kommen. Leckeres Futter findet sie schließlich draußen, im Grün. In Sachen Hausfassade empfiehlt Kochanek den Gang zum Fachmann. „Man kann seine Fassade mit Bewuchs kaputt bekommen,“ sagt er. Aber nur, wenn man Fehler begeht. Wenn die Fassade etwa nicht komplett intakt und glatt ist, wenn die Begrünung startet. Dann kann sich der Efeu in vorhandene Risse drängen. Oder wenn das Material nicht geeignet ist für das Eigengewicht der Pflanzen. Oder wenn zu dicht an der Hauswand gepflanzt wird und das Wurzelwerk unter das Mauerwerk vordringt. Für jede Fassade gebe es eine Idealpflanze, sagt der Biologe. Unterstützung von Fachleuten sei daher sinnvoll. Und man müsse sich darüber im Klaren sein, dass eine grüne Fassade oder ein begrüntes Dach gepflegt werden müssen. Ohne einen gewissen Aufwand, gibt es kein Plus an Lebensqualität.
Jedes grüne Blatt zählt
Allerdings müsse es auch nicht immer gleich die dicke Efeuhecke an allen Hauswänden sein, betont Birgit Königs vom Nabu NRW. „Man kann eine Hausbegrünung auch dezenter vornehmen“, sagt sie. Mit Rosen in Kübeln, mit Spalierobst, mit Blauregen oder Clematis an einer Rankhilfe. Möglichkeiten gibt es viele, der Nabu hat auf seinen Internetseiten vielfältige Informationen zusammengestellt und auch das Naturgut Ophoven informiert regelmäßig zum Thema. Für Hans-Martin Kochanek steht fest: „Die gesellschaftliche Sinnhaftigkeit von mehr Grün in den Städten ist derart hoch, dass wir es uns nicht mehr leisten können, es nicht zu tun.“ Jedes grüne Blatt zählt.