Drei Wochen vor der Bundestagswahl liegen 16 lange Jahre stilistischer Verlässlichkeit nun fast hinter uns. Ob Angela Merkel die große politische Bühne betrat, ob sie Flutopfern Mut zusprach, Bundeswehr-Einsatzkräften in Afghanistan dankte, ihre Weihnachtsansprache hielt – eines war gewiss: Raute plus Merkel-Blazer. Rein optisch war sie eine Bank. Wir werden uns auf neue Anblicke einstellen müssen.
Ob es überhaupt angebracht ist, Personen, die hohe politische Ämter bekleiden, nach ihrer Garderobe zu beurteilen, mag eine Frage sein – wo doch dort eher stilsicheres Handeln und kluge Entscheidungen gefragt sind. Andererseits: Wer kann sich schon frei machen von optischen Reizen und modischen Eigenheiten? Wir gehen schließlich nicht nackt, sondern kleiden uns alle irgendwie – und irgendwie auch mit Bedacht. Je höher das Amt, je größer die mediale Aufmerksamkeit, desto mehr Angriffsfläche bietet das Gewand. Ist es dem Anlass angemessen? Verbindet es sich harmonisch mit dem Auftreten? Oder konterkariert es eher die Rede in Form und Inhalt?
Frauen stehen unter verschärfter Beobachtung – haben aber auch mehr Auswahl
Dass und wie Mode den Gesamteindruck beeinflusst, ist sicher keine bloße Modeerscheinung, befeuert durch die sozialen Medien. Die Auseinandersetzung gab es schon immer. Wie viele Zeilen wurden über Barack Obamas Anzüge oder Joschka Fischers Turnschuhe zur Vereidigung als hessischer Umweltminister geschrieben? Damals, 1985, als etwa zeitgleich die beinharte Politik Margaret Thatchers stets mit der Betonfrisur der britischen Premierministerin assoziiert wurde.
Frauen stehen verschärft unter Beobachtung. Sie können sich aus einer unendlichen Garderobe bedienen. Jedes Teil – vom Halsschmuck bis zum Schuhabsatz – kennt eine riesige Variationsbreite. Männer hingegen, Politiker zumal, sind qua Profession limitiert, seit sich durchgesetzt hat, dass Jeans kein adäquates Kleidungsstück im Staatsauftrag sind. Politiker können gerade mal Feinheiten (Kragenform, Krawattenfarbe, Gürtelleder) justieren. Schon traurig.
Rote Kleidung bei schlechten Nachrichten
Gut, wir hatten auch schon einen Brioni-Kanzler, der im edlen Zwirn des römischen Herrenausstatters Politik machte. Aber seit dem schnieken Auftreten von Heiko Maas in tipptopp sitzenden Anzügen liegt die Messlatte für Politikergarderobe auf neuer Höhe. Nach den bisherigen Wahlkampfauftritten bleibt festzustellen: Olaf Scholz und Armin Laschet konkurrieren mit offenen Hemdkragen. Während der CDU-Mann gern zwischen Blau und Weiß wechselt, ist der SPD-Politiker dem weißen Oberhemd treu geblieben und nähert sich in Sachen Schnittigkeit immer mehr seinem Parteikollegen im Außenministerium an.
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Annalena Baerbock gleicht dagegen einem Überraschungspaket. Mal jugendlich sportlich mit Lederjäckchen und Sneakern oder, ganz die Fesche, im taillierten Kleid samt Pumps. Modische Vorlieben sind durchaus erkennbar, weniger schreiend allerdings als bei Grünen-Parteifreundin Claudia Roth. Wenn es wirklich etwas zu sagen gibt, greift die Kandidatin auf die gleiche Farbe zurück wie die Noch-Kanzlerin: Koralle. Präsentierte Merkel die Ergebnisse nicht enden wollender Koalitionsverhandlungen, wählte sie Rot, genau wie Baerbock für ihre Stellungnahme zu Plagiatsvorwürfen.
Was tun Männer in der Politik bei eher unerfreulichen Terminen? Besser den Hemdkragen schließen, Krawatte umbinden und die Mundwinkel nicht ganz so tief hängen lassen. Nur für den Fall, dass doch noch mal ein Mann Kanzler wird.