Kölner Professorin in Strafrecht„Die Justiz muss klare Kante zeigen“
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Die Kölner Stafrechtsprofessorin Frauke Rostalski ist eine von drei Autoren der neuen KSTA-Kolumne „Recht und Ordnung".
Im Interview spricht sie über Gefahren für den Rechtsstaat durch Rocker und Clans. „Es gibt in Deutschland mittlerweile Gruppierungen, die sich selbst außerhalb des Rechts stellen.”
Außerdem plädiert sie gegen härtere Strafen für Raser. Lesen Sie hier auch Ihre erste Kolumne zu Werbung für Schwangerschafts-Abbrüche.
Köln – Frau Professor Rostalski, Sie sind voriges Jahr mit nur 33 Jahren auf einen juristischen Lehrstuhl an der Kölner Universität berufen worden. Was reizt Sie an gerade diesem Job?
Er erlaubt es mir, morgens nach dem Aufstehen zu entscheiden, womit ich mich an diesem Tag beschäftigen möchte, mich dann an den Schreibtisch zu setzen und – wenn ich Glück habe – einen guten Gedanken zu haben, den ich zu Papier bringen kann. Hinzu kommt die Arbeit mit den Studierenden. Wir Menschen leben von Resonanz – und es gibt für mich keinen besseren Resonanzraum als einen Hörsaal, in den ich etwas hineinspreche, was dann von den Studierenden aufgenommen und mir in Frage und Antwort zurückgegeben wird.
Gibt es keine Wahrnehmungsstörungen, wenn die Professorin jünger ist als die Studenten?
Ganz so ist es ja nicht. Die meisten beginnen ihr Studium direkt nach der Schule oder einem Sozialen Jahr, also mit 18, 19. Da liegen dann doch ein paar Jahre Abstand dazwischen. Natürlich nehmen die Studierenden wahr, dass ich erst Mitte 30 bin. Aber ich muss sagen: Das ist eher zu meinem Vorteil.
Inwiefern?
Ich habe das Gefühl, die Studierenden können von mir manchmal leichter etwas annehmen als von deutlich älteren Kollegen. Wir sind einander im Lebensgefühl und vielleicht auch in der Sprache näher.
Hatten Sie sich schon im Studium vorgenommen: Ich werde Professorin?
Also, eigentlich wollte ich ja Journalistin werden oder Schriftstellerin. Ich schreibe unheimlich gern, habe auch schon während der Schulzeit in der Lokalredaktion meiner Heimatzeitung gejobbt. Ihre Kollegen dort haben mir geraten, ich solle bloß nicht Journalistik studieren, sondern „etwas Richtiges“. Da dachte ich, Jura sei eine gute Sache. Dabei würde ich viel lernen können über Politik und die Gesellschaft, was ich dann später in den entsprechenden Ressorts einer Tageszeitung würde gebrauchen können.
Das Strafrecht hat mich vom ersten Tag an gepackt
Aber dann?
Ganz ehrlich: Vom ersten Tag an hat mich das Strafrecht so gepackt, dass mir klar war, das ist meine Profession.
Was war das denn für ein Offenbarungserlebnis?
Der Professor warf in der Vorlesung einen Cartoon an die Wand – ganz fortschrittlich mit Medien-Einsatz, damals zwar noch mit Overheadprojektor, aber immerhin (lacht). Die Zeichnung zeigte einen kräftigen Höhlenmensch, der dabei war, die Frau eines anderen, schmächtigen Höhlenmenschen hinter sich herzuzerren. „Was Sie hier sehen, ist der Naturzustand“, sagte der Professor. „Den wollen wir nicht, und weil wir ihn nicht wollen, brauchen wir Regeln, die das verhindern.“ Und schon waren wir mitten drin in der Theorie des Strafrechts mit Normen wie dem Tötungsverbot oder dem Diebstahlverbot – und mit Sanktionen, falls jemand sich nicht an diese Verbote hält.
Das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern wird nirgends so deutlich wie im Strafrecht. Hier greift der Staat am stärksten und intensivsten in das Leben des Einzelnen ein. Mir war schlagartig klar, wie wichtig es ist, dass hier keine Fehler passieren. Und ich dachte: Hierfür lohnt es sich, die eigenen Energien einzusetzen.
Was wir an der Uni tun, ist unmittelbar praxisrelevant
Gemacht werden die Gesetze von den Parlamenten, ausgelegt von den Gerichten. Ist die Universität als dritter Schauplatz dann nicht wie ein Schwimmbecken ohne Wasser – und Sie eine Trockenschwimmerin?
Überhaupt nicht. Was wir an der Uni tun, ist unmittelbar praxisrelevant. Wir tragen zum Beispiel durch Gutachten zur Gesetzgebung bei. Mit Aufsätzen und Vorträgen gebe ich Impulse. Wir sind für die Gerichte auch eine kritische Stimme. Manche Praktiker wollen sie nicht hören, weil sie sonst ja womöglich etwas verändern müssten. Aber die sind deutlich in der Minderheit – und am Ende ist denen dann auch nicht zu helfen. Letztlich, arbeiten wir auf verschiedenen Plätzen am selben Ziel: dass die Welt gerechter und besser wird – wenigstens ein bisschen.
Sie sprachen von der Bedeutung, im Strafrecht Fehler zu vermeiden. Über welche Fehler ärgern Sie sich aktuell am meisten?
In das sensible Verhältnis der Strafrechtsdogmatik sollte der Staat nicht leichtfertig eingreifen, auch nicht mit noch so hehren Motiven. Ich sage Ihnen als Beispiel mal das Vorgehen gegen Raser, die mit ihren Rennen in den Städten andere Menschen gefährden, verletzen oder gar töten. Klar ist: Das ist ein unerträgliches Verhalten, das unter keinen Umständen gesellschaftlich akzeptiert werden kann und darf. Aber wie reagieren Teile der Justiz und sogar meiner Kollegen an den Universitäten nun darauf? Es hat den Versuch gegeben, bei Rasern einen Tötungsvorsatz zu unterstellen, um sie dann wegen Totschlags oder gar Mordes zu verurteilen. Ich finde, das geht so nicht. Ein Raser denkt typischerweise ja gerade nicht, dass er einen Unfall bauen, sondern als der „Schumi von den Kölner Ringen“ beweisen wird, was ein heißer Reifen ist. Er vertraut darauf, dass alles gut ausgehen wird und nimmt – sicherlich mit immer denkbaren Ausnahmen im Einzelfall – nicht billigend in Kauf, auf seiner Fahrt einen anderen Menschen zu töten. Das aber gilt in der Rechtsdogmatik klassisch als Fahrlässigkeit. Und wir sollten uns hüten, an der Dogmatik herumzuschrauben, nur weil wir eine bestimmte Strafe herbeiführen wollen. Das ist hoch gefährlich.
Ich würde den Straftatbestand leichtfertige Tötung unter Strafe stellen
Was wäre eine Alternative?
Mein Vorschlag wäre, einen neuen, eigenen Straftatbestand ins Gesetz zu schreiben, der Fälle der leichtfertigen Tötung unter Strafe stellt. Das Problem liegt ja darin, dass der Strafrahmen zwischen der fahrlässigen Tötung und dem Totschlag bzw. Mord so einen großen Unterschied aufweist. Diese Lücke könnte durch die von mir vorgeschlagene Regelung geschlossen werden.
Zur Person
Foto: Csaba Peter Rakoczy
Frauke Rostalski, geboren 1985, ist geschäftsführende Direktorin des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln. Im Januar 2018 wurde sie dort auf den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung berufen.
Rostalski studierte Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und promovierte dort von 2009 bis 2011. Im Anschluss an ihre zweite juristische Staatsprüfung 2013 verbrachte sie Forschungsaufenthalte an der Nanjing Universität (China) und der Seoul Universität (Korea). 2017 promovierte sie auch im Fach Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. (jf)
Im Gespräch mit dem Rechtsanwalt Martin Huff, der mit Ihnen und der Düsseldorfer Staatsanwältin Laura Hollmann die Rechtskolumnen schreiben wird, ging es um die größten Gefährdungen des Rechtsstaates. Er nannte die mangelhafte Ausstattung der Justiz. Wie sehen Sie das?
Ich warne vor der zunehmend mangelnden Akzeptanz richterlicher und staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen. Es gibt in Deutschland inzwischen Gruppierungen, die sich selbst außerhalb des Rechts stellen. Sie tun so, als hätten die Gesetze für sie keine Bedeutung, und machen ein eigenes Recht geltend. Zugleich behaupten sie, die deutsche Justiz mit ihren laschen Strafen mache ohnehin keinen Eindruck auf sie, schon gar keinen abschreckenden. Das sind gefährliche Erosionen, weil der Rechtsstaat ganz wesentlich davon lebt, dass seine Normen respektiert werden.
Viele Gruppen haben sich vom Rechtsstaat entfernt
Ein „eigenes Recht“ – denken Sie da an die Scharia?
Ich denke eher an Rockergruppen oder die Clanstrukturen in der Organisierten Kriminalität, die ihren eigenen Normenkodex haben, gemäß dem sie dann auch Vergehen in den eigenen Reihen ahnden oder „Feinde“ von außen bestrafen. Sie haben sich so weit von unserem Rechtsstaat entfernt, dass sie für dessen Grundidee, den Appell an die Vernunft jeder menschlichen Person, kaum mehr erreichbar sind.
Das zu versuchen, wäre dann die Aufgabe von Sozialarbeitern und Streetworkern?
Nein, nein. Das ist schon auch die originäre Aufgabe der Justiz. Sie muss mit klarer Kante und strikter Ahndung von Verbrechen zeigen, dass Gesetzesverstöße auf lange Sicht keinen Nutzen bringen.
Plädieren Sie also für härtere Strafen?
Wenn ich das Richter frage, ob die Strafrahmen ausgeweitet werden müssten, sagen sie regelmäßig: „Nein, die Strafrahmen reichen aus.“ Vielleicht müssen wir sie dann nur auch in vollem Umfang ausschöpfen. Aber ich halte jedenfalls nichts davon, das Strafmaß immer weiter hochzuschrauben, so dass verurteilte Täter am Ende überhaupt keine Chance mehr haben, in die Gesellschaft zurückzukehren. Haftstrafen wie in den USA, die um ein Vielfaches länger sind, als das Leben des Verurteilten jemals dauern kann, finde ich absurd.
Sie sind auch Rechtsphilosophin. Gibt es Ihrer Meinung nach ein unmittelbares Wissen des Menschen um das, was Gut und Böse ist?
Das hat mit dem uralten, ungelösten Streit über die Frage zu tun: Ist der Mensch selbst von Grund auf gut oder böse? Ich glaube aber, dass es darauf überhaupt nicht ankommt. Allen Menschen ist eine grundlegende Eigenschaft gemein: ihre Vernunftbegabung. Mit Hilfe der Vernunft und der Kunst des besten Arguments lässt sich dann sehr gut herausfinden, was gut und was böse ist.
Die Eine-Million-Euro-Frage
Wie beziehen Sie das dann auf das geschriebene Gesetz?
Das ist in der Juristerei die Eine-Million-Euro-Frage. Ich vertrete – für manche Kollegen völlig verwerflich – einen naturrechtlichen Ansatz: Ein Recht, das nicht mit den Vernunftregeln im Einklang steht, ist kein Recht. Zwar wird man aus pragmatischen Gründen und wegen der Rechtssicherheit nicht jedes einzelne Gesetz immer wieder von A bis Z auf Vernünftigkeit prüfen können. Aber ich halte schon dafür, dass eklatante Verstöße gegen Gerechtigkeitsvorstellungen ein Recht zum Unrecht machen. Nehmen Sie die sogenannten Rassegesetze im Nationalsozialismus, da ist es offensichtlich. Aber auch am DDR-Schießbefehl lässt sich diese These gut diskutieren.
Ihr Lob der Vernunft lässt an den Philosophen Immanuel Kant mit seinem Kategorischen Imperativ denken, besser bekannt als die „Goldene Regel“: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu… Wenn sich nur alle daran hielten, würden wir alle friedlich und glücklich miteinander leben. Aber das ist nun offenkundig nicht der Fall.
Finden Sie? Ich habe den Eindruck, das Zusammenleben funktioniert im Großen und Ganzen doch recht gut. Es gibt Verstöße, Gesetzesübertretungen, Verbrechen, gewiss. Aber sie sind die Ausnahme. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch im Lauf seines Lebens ein Verbrechen begeht, ist ausgesprochen gering.
Was hilft die Statistik, wenn es zu so entsetzlichen Taten kommt wie am Frankfurter Hauptbahnhof, als ein acht Jahre alter Junge und seine Mutter vor einen einfahrenden ICE gestoßen wurden und das Kind tödlich verletzt wurde?
Ich bitte meinen Optimismus im Hinblick auf das grundlegende Funktionieren unseres Staats und seines Rechtssystems nicht falsch zu verstehen. Ich verschließe nicht die Augen davor, dass sich schreckliche Verbrechen ereignen, die sich teilweise auch nicht erklären lassen. Warum töten Menschen andere grundlos? Wir werden diese und andere Fragen nicht immer beantworten können und leider werden wir auch nicht alle Taten verhindern können. Straftaten sind ein sozial abweichendes Verhalten, das nicht zuletzt Entsetzen und Trauer auslösen kann. Sie lassen aber zumindest mich nicht daran zweifeln, dass es trotzdem besser ist, gemeinsam in einem Staat mit Regeln zu leben, an die sich jeder halten muss.
Werden solche Fragen für Sie auch Gegenstand in der Kolumne sein?
Ich hoffe, durch die Kolumne in einen noch intensiveren Austausch mit einem breiteren Teil der Gesellschaft treten zu können, als das in Fachaufsätzen möglich ist. Ich möchte darstellen, was heute die drängenden Fragen im Strafrecht sind und warum es wichtig ist, darüber nachzudenken. Dass vieles im Fluss ist, zeigen zum Beispiel die aktuellen Diskussionen über das Werbeverbot für Abtreibungen oder über das geplante Verbot sogenannter Konversionstherapien für insbesondere homosexuell veranlagte Männer und Frauen. Ich sagte ja schon, dass das Strafrecht den massivsten Eingriff des Staates in das Leben seiner Bürger darstellt. Ich möchte in meinen Kolumnen zeigen, wie notwendig es ist, dass der Staat sich dafür rechtfertigt, was er tut – oder eben auch nicht tut; warum er ein bestimmtes Verhalten als strafwürdig ansieht, ein anderes nicht.