Köln – In der einen Familie glaubt der Onkel, Corona sei von der Pharmaindustrie erfunden. Anderswo ist die verwirrte Oma überzeugt von Gift in den Impfstoffen. Die die Schwester generell ablehnt. Zu Weihnachten wird die Pandemie in vielen Familien wieder das bestimmende Thema sein. Weil man sich treffen möchte, aber Familienangehörige immer noch ohne Impfschutz sind. Zu einer Zeit, in der sich die Lage zuspitzt, die Impfpflicht vehementer gefordert wird und das Thema den gesellschaftlichen Frieden bedroht. Damit der familiäre gewahrt bleibt, gibt eine Expertin Tipps, wie man mit Impfgegnern und Corona-Leugnern in den eigenen Reihen spricht.
Sollte man mit Impfgegnern in eine Debatte einsteigen?
Nicht zu reagieren, sei die schlechteste Alternative, sagt die Politikwissenschaftlerin und Autorin Katharina Nocun. „Wenn man nicht frühzeitig eingreift, kann es passieren, dass man später auch mit den besten Argumenten nicht mehr durchdringen kann.“ Reaktionen wie: „Es gibt gute Argumente, die dagegensprechen“ seien besser als Schweigen, denn das wird meist als Zustimmung gewertet. Auch wichtig: Fragen stellen, Gründe nennen, die für die eigene Impfungen gesprochen haben. Kommunikation ist die beste Impfung gegen Impfskepsis.
Bedenken oder Ablehnung verstehen
Nocun rät dazu, zunächst abzuklopfen, was die Person glaubt, und auf welche Informationen sie sich beruft. Ist sie in ihrer Entscheidung unsicher wegen medizinischer Bedenken, der Angst vor Nebenwirkungen? Skeptisch wegen falscher oder fehlender Informationen, und sieht deshalb das Risiko einer Erkrankung als gering an? Dann hilft es, auf seriöse Quellen einzugehen, auf aktuelle wissenschaftlichen Studien und wichtige Infos zum Stand der Forschung. Nicht selten spielen aber auch Verschwörungstheorien eine Rolle.
Steckt Verschwörungstheoretisches hinter der Entscheidung, sei es, so Nocun, manchmal extrem schwierig, mit Fakten zu argumentieren, da es der Person dann meist nicht ums Wissen, sondern ums Glauben-Wollen geht. „Helfen kann dann, die psychologischen Grundbedürfnisse zu kennen, die mit dem Verschwörungsglauben befriedigt werden“, sagt Nocun.
Argumentationshilfen
„Der Impfstoff ist gesundheitsschädlich"
Viele Menschen fällen die Entscheidung gegen das Impfen nach dem Motto: Wenn ich mich nicht impfen lasse, gehe ich kein Risiko ein. Doch die gesundheitlichen Risiken, die eine Corona-Infektion mit sich bringen kann, sind nachgewiesen schwerwiegend – etwa an einem schweren Verlauf zu sterben oder selbst bei einem leichten Verlauf unter Langzeitfolgen wie Long Covid zu leiden. Bei einer Impfung ist das Risiko möglicher Nebenwirkungen vergleichbar gering. Sich nicht impfen zu lassen bedeutet ein deutlich höheres Gesundheitsrisiko für sich und andere.
„Ich warte, bis der Impfstoff 100 Prozent sicher ist"
Manchen ging die Entwicklung der Corona-Impfstoffe innerhalb nur weniger Monate zu schnell, da es sonst oft zwei Jahrzehnte dauert. Das stimmt, aber der Zulassungsprozess wurde nur dadurch beschleunigt, indem man administrative Prozesse abgekürzt hat. Die vielen Sicherheitstests sind davon nicht betroffen. Das Zulassungsverfahren für einen Impfstoff in der EU ist streng überwacht und sehr sicher. Er wird nur dann zugelassen, wenn er an ausreichend vielen Personen getestet und bestätigt wurde, dass die gewünschte Wirkung gegenüber den Nebenwirkungen deutlich überwiegt. Außerdem haben die Biotechnologiefirmen neue Verfahren genutzt und bei der Forschung auf Erkenntnisse aus anderen, teils 25 Jahre andauernden – auch gentechnischen – Impfstoffprojekten aufgebaut.
„Ich lehne Impfungen generell ab"
Hat man es mit einer Person zu tun, die Impfungen generell ablehnt, rät Nocun dazu, klarzustellen: Impfungen wirken! Und dadurch wurden schwere Krankheiten ausgerottet. Wie die Pocken, die seit mehr als 30 Jahren in Deutschland ausgestorben sind. Durch Impfungen schützt man zudem auch Risikopatienten und Kinder. Es geht also auch um gesellschaftliche Solidarität und nicht nur um den Einzelnen.
„Wir leben in einer Corona-Diktatur"
Ein kurzer Blick in unsere Verfassung zeigt: Wir leben in einer Demokratie, das heißt, die von uns gewählten Politikerinnen und Politiker treffen (Corona-)politische Entscheidungen, die damit auch von uns, also vom Volk abhängen, was in einer Diktatur nicht der Fall ist.
„Die Mainstream-Presse lügt, Telegram nicht"
In unserem Land herrscht Pressefreiheit und -Vielfalt. Das verraten allein die reichlich gefüllten Zeitungsregale der Kioske. Wer deren Inhalte vergleicht, wird schnell merken, dass eine Bild-Zeitung völlig anders berichtet als etwa die Zeit. Und dass in den seriösen Medien seriöse Experten und Wissenschaftler zu Wort kommen, deren Erkenntnisse und Studienergebnisse weltweit als wahr anerkannt werden. All das führt den Begriff Mainstream-Presse schon ad absurdum. Anders bei Telegram, zeigt eine Studie der Uni Passau, ist zur Haupt-Plattform für Verschwörungserzählungen geworden, auch was die Corona-Pandemie betrifft.
Psychologen gehen davon aus, dass der Glaube daran den Wunsch nach Sicherheit befriedigen kann, gerade wenn ein Ereignis nicht kontrollierbar ist; den Wunsch, die wahre Wahrheit hinter den Dingen zu erkennen und dafür reale Fakten auszublenden oder auch soziale Motive, etwa als Mensch und Gruppe positiv oder anders als die anderen wahrgenommen zu werden. „Inhaltliches Argumentieren hilft in diesem Fall oft wenig, da dann beim Gegenüber die psychologische Abwehr hochgefahren wird“, sagt Nocun. Besser sei: Betonen, dass man die Meinung nicht teilt und mit offenen Fragen zu arbeiten („Wie kommst Du darauf, dass die Impfungen nicht wirken?“). So kann man die Quellen der Information herausfinden und in Frage stellen.
Verschwörungsjünger durchschauen
Die Basis der verschwörungstheoretischen Impfgegner ist ein alternatives Weltbild, in dem Pharma-Konzerne und der Staat die Menschheit entweder gezielt vergiften wollen, oder Nebenwirkungen bewusst verschweigen. Nocun: „Schon Anfang des letzten Jahrhunderts kursierten ähnliche Thesen bei der Impfkampagne gegen Pocken. Auch da hieß es: Die Regierung will uns vergiften und die Pharma-Unternehmen wollen Profit machen.“ Schließlich sei die Frage: Wem nützt es? eine gerne verwendete Masche. Nocun: „Nur weil jemand von einem Ereignis profitiert, im Fall der Pandemie etwa Pharmaunternehmen, die Impfstoffe verkaufen, heißt das noch lange nicht, dass sie Corona angezettelt haben. Wenn jemand Geld auf der Straße findet, sagt man ja auch nicht, er sei für den Verlust des anderen verantwortlich.“
Veraltete Studien und Pseudoexperten entlarven
„Viele Impfunwillige berufen sich auf fehlerhafte, veraltete Studien oder Aussagen von Pseudoexperten. Häufig würden auch ältere Falschinformationen mit neuen Erkrankungen wie etwa Corona kombiniert. Bestes Beispiel sei der gerade in Impfgegner-Kreisen häufig zitierte Andrew Wakefield. Der ehemalige Arzt publizierte 1998 eine Studie, in der er anhand einer Versuchsgruppe aus nur zwölf Teilnehmern (!) einen Zusammenhang zwischen Autismus und einer Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) suggerierte. Später entzog man Wakefield die Zulassung, auch weil bekannt wurde, dass er mehr als 400.000 britische Pfund von einer Anwaltskanzlei erhalten hatte, die Eltern autistischer Kinder vertrat. Größer angelegte, spätere Studien lassen aber keinerlei Zusammenhang zwischen Autismus und MMR-Impfungen erkennen. Nocun: „Um vermeintliche Experten der Corona-Leugner und Impf-Skeptiker wirklich einzuordnen, hilft eine kurze Recherche im Netz. In welchem Medium wurde er oder sie zitiert, und wie oft?“
Zudem würden Verschwörungstheoretiker oft gezielt Ängste schüren. Geht es um dramatische Einzelfallbeschreibungen oder Bilder von angeblichen Schädigungen nach einer Corona-Impfung, kann eine Google-Bildsuche schnell zeigen, ob das betreffende Foto viel älter ist und nicht im Zusammenhang mit Impfungen entstand. Hier kann man auch Faktenchecks zu Rate ziehen - zum Beispiel auf der Homepage der „Correktiv“-Redaktion (https://correctiv.org).
Streng bei den Fakten bleiben
Anstatt sich darauf zu konzentrieren, warum eine Behauptung, eine Studie, ein Foto oder ein anderer Blogbeitrag falsch ist, sollte man bei einfachen Tatsachenaussagen bleiben, wie: „Groß angelegte wissenschaftliche Studien finden keinen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und Autoimmun-Symptomen". Fakt ist zudem, dass Falschinformationen durch ständiges Wiederholen im Kopf bleiben. Auch wenn man versucht, jemanden davon zu überzeugen, dass sich nicht genug Menschen impfen lassen, könnte das das Gegenüber in seinem Zögern bestätigen. Besser: Betonen, wie viele Menschen sich für die Impfung entschieden haben und warum das immer wichtiger wird, um die Pandemie weltweit in den Griff zu kriegen.