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Kinderarzt„Viele Impfgegner wissen einfach zu wenig über diese spezielle Krankheit“

Lesezeit 6 Minuten
Impfung Ablehnung

Nicht jeder möchte geimpft werden.

Köln – Thomas Schmitz ist Oberarzt an der Klinik für Neonatologie an der Berliner Charité. 2019 hat er mit dem Diplom-Biologen Sven Siebert ein Buch übers Impfen veröffentlicht, das jetzt ein Corona-Update bekommen hat. Im Interview spricht er darüber, ob und wie man Impf-Unwillige überzeugen kann, welche Motive sie leiten und warum er optimistisch ist, dass wir die Pandemie in den Griff bekommen.

Menschen, die sich nicht impfen lassen möchten, gab es schon vor Corona. Sind das die gleichen, die jetzt eine Impfung ablehnen?

Thomas Schmitz

Thomas Schmitz ist Kinderarzt und Autor.

Thomas Schmitz: Das kann man schwer vergleichen. Corona ist einfach sehr präsent – als Krankheit und natürlich als Gesprächs- und Medienthema. Meine Erfahrung ist, dass viele der Menschen, die sich nicht gegen Corona impfen lassen möchten, in erster Linie nicht mit den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung einverstanden sind. Da geht es nicht nur um die Impfung an sich. Wer sich nicht impfen lässt, setzt sozusagen ein politisches Statement. Da gibt es eine relativ breite Bewegung, viel breiter als bei Standardimpfungen. Generell gibt es zwei Motive, warum Impfungen abgelehnt werden.

Welche sind das?

Es viele, die ich als sehr „naturverbunden“ bezeichnen würde. Das sind Menschen, die eine allzu romantische Vorstellung von der Natur haben. Sie glauben, der Körper wird mit allen Krankheiten am besten alleine fertig. Aber viele wissen einfach viel zu wenig über diese speziellen Krankheiten, und haben nie persönliche Erfahrungen damit gemacht. Menschen aus meinem Umfeld, die sich mit Corona infiziert haben, sind heute die größten Impfbefürworter – einfach, weil sie erlebt haben was es bedeutet, drei Wochen krank im Bett zu liegen. Auch jeder, der mal in Afrika war, wird bestätigen, wie enorm gefährlich es ist, wenn große Teile der Bevölkerung nicht gegen Masern, Mumps oder Keuchhusten geimpft ist.

Und das zweite Motiv?

Das vertreten nicht selten Akademiker, die meinen, dass sie sich besser selbst Gedanken machen als auf Experten zu hören. Es ist ja auch richtig und gut, dass man sich unbedingt selbst informieren möchte und kritische Gedanken dazu hat. Wer das allerdings ernsthaft macht, wird feststellen: Es ist wissenschaftlich gut begründet, dass Impfungen wichtig sind.

Das häufigstes Argument gegen die Corona-Impfung sind wahrscheinlich die Nebenwirkungen. Das stimmt ja auch. Wie kann man das entkräften?

Das muss man zunächst einmal ernst nehmen, weil es ja auch einen wahren Kern gibt. Impfungen können Reaktionen hervorrufen. Dennoch zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass das Risiko sehr klein ist.

Auch ein Argument: Das Immunsystem wird immer schwächer. Je mehr man impft, desto mehr Krankheiten entwickeln sich. Stimmt das?

Diese Überzeugung entbehrt jeder Grundlage. Das ist in keiner Studie belegt. Was aber belegt ist: Wer verschiedene Impfungen erhalten hat, macht viel weniger Krankheiten durch. Impfungen sind eine der großartigsten Erfindungen der Menschheit. Nur durch das Zusammenspiel aus Impfstoffen und Antibiotika haben wir es geschafft, das Sterberisiko durch Infektionskrankheiten massiv zu senken. Ich kann nur wieder auf Afrika verweisen: Dort sterben Kinder häufig durch Infektionen. Jeder, der das weiß, will sein Kind vor schwerwiegenden Infektionskrankheiten schützen, auch mittels Impfungen.

Kann man Impfgegner noch irgendwie überzeugen?

Aus meiner Erfahrung als Kinderarzt kann ich nur sagen: Menschen sind sehr dankbar für sachliche Informationen. Es ist wirklich ein geringer Teil, der nach einem Arztgespräch immer noch felsenfest überzeugt ist, dass Impfen eine schlechte Idee ist. Da zeigt sich auch, dass der Arztkontakt so wichtig ist. Ein Gespräch kann in der Regel nicht durch selbst zusammengesuchte Informationen aus dem Internet ersetzt werden, die oft verunsichern können.

Gefährden Impfgegner die Herdenimmunität? Immerhin müssen ja 70 oder 80 Prozent aller Menschen geimpft sein – je nachdem, welcher Experte sich äußert.

Die Zahl hängt nicht davon ab, welcher Experte gefragt wird. Es kommt darauf an, inwiefern man die Mutanten in die Berechnung einfließen lässt. Denn diese sind unterschiedlich infektiös. Bei einigen der neuen Mutanten muss die Impfquote wahrscheinlich höher als 70 Prozent sein. Ich bin ziemlich optimistisch, dass wir das schaffen. Eine Pandemie ist ja auch ohne Impfung und mit strengen Kontaktbeschränkungen in den Griff zu kriegen, aber da wir alle unsere Freiheiten zurückbekommen möchten, bleibt das Impfen die beste Wahl. Wer sich nicht impfen lassen möchte, wird früher oder später eine Corona-Infektion durchmachen, mit allen Risiken, die das bedeuten kann. Jeder hat die Wahl, auf welche Weise er immun gegen Corona wird: mit Hilfe einer Impfung oder durch eine Infektion.

Buchtipp

Buchcover

Thomas Schmitz, Sven Siebert: Warum Impfen Leben rettet - Alles, was wir jetzt wissen müssen, Harper Collins, 214 Seiten, 12 Euro.

Aktuell ist die Diskussion ja eher: Wer kommt zuerst mit dem Impfen dran? Wer geimpft ist, genießt Privilegien. Beeinflusst das nicht auch viele, die sich nicht impfen lassen möchten?

Ich stelle mir das jedenfalls ziemlich hart vor. Viele diskutieren darüber, wann, wo und mit welchem Impfstoff man geimpft wurde oder wann es endlich soweit ist. Jemand, der das nicht möchte, hat da möglicherweise wirklich das Gefühl, etwas zu verpassen. Wir merken ja auch gerade: Wer geimpft ist, darf mehr. Auch wenn man natürlich die Rückkehr der normalen Freiheiten nicht als „Privilegien“ bezeichnen kann.

Wie sollte man mit Menschen sprechen, die sich nicht impfen lassen wollen?

Das ist zunächst mal das gute Recht von jedem Einzelnen. Man sollte nicht probieren, das Thema auszugrenzen. Es funktioniert nur über vernünftige Gespräche. Zuhören, nachfragen, Argumente nennen, die es für die Impfung gibt. Aber auch Zweifel ernst nehmen, die ja auch nachvollziehbar sind. Besonders zu Beginn der Corona-Impfungen war noch nicht völlig klar, wie sie vertragen werden. Insgesamt muss man sagen, dass die Verträglichkeit sehr gut ist und die mitunter starken Symptome nach der Impfung nur vorübergehend sind. Dagegen sind die Gesundheitsschäden nach Corona-Infektionen sehr gravierend und oft auch tödlich. Jetzt sind in Deutschland Millionen Menschen geimpft, 40 Prozent haben ihre erste Dosis schon erhalten, und dass wir das alles in so kurzer Zeit geschafft haben, ist eine gewaltige Leistung.

Was halten Sie von einer Impfpflicht? In Frankreich und Italien gibt es das ja für einige Impfungen, allerdings nicht für Corona.

Davon halte ich relativ wenig. Letztlich muss man versuchen, genügend Überzeugungsarbeit zu leisten. Menschen sollten sich aus eigener Überzeugung impfen lassen. Wenn man jetzt eine Impfpflicht einführt, verschärft das die Gräben nur weiter. Zu der Impfpflicht in unseren Nachbarländern muss man wissen: Dort war die Quote – beispielsweise der Masern-Impfung – extrem gering. Nach Einführung der Pflicht ist sie nun auf dem Niveau von Deutschland. Wir sind also im Vergleich immer noch ein eher impfwilliges Volk.