Am frühen Sonntagmorgen kam der ukrainische Präsident nach Berlin. Er traf Bundespräsident Steinmeier und Bundeskanzler Scholz.
Erster Besuch seit KriegsbeginnSelenskyj und Scholz in NRW gelandet – Wüst empfängt ukrainischen Präsidenten
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist erstmals seit dem russischen Angriff auf sein Land zu politischen Gesprächen nach Deutschland gereist. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) empfing Selenskyj mit militärischen Ehren im Kanzleramt. Scholz sicherte der Ukraine die weitere Unterstützung Deutschlands zu. „Wir unterstützen Euch so lange, wie es nötig sein wird“, sagte der SPD-Politiker.
Bisher sei Hilfe im Wert von 17 Milliarden Euro geleistet worden. Seit 444 Tagen laufe der erbarmungslose russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, sagte Scholz. Der schreckliche Krieg habe erhebliche geopolitische Konsequenzen, betreffe aber vor allem die Menschen in der Ukraine. Deutschland stehe auch in voller Solidarität zu den geflüchteten Menschen. Scholz: „Diese Solidarität, sie ist anhaltend und sie ist stark.“
Wolodymyr Selenskyj in Berlin: „Knnnen Niederlage des Aggressors unumkehrbar machen“
Selenskyj rechnet vor dem Hintergrund der geplanten Frühjahrsoffensive seiner Truppen mit erheblichen Fortschritten im Abwehrkampf gegen Russland. „Wir wollen alle, dass dieser Krieg bald endet, aber er muss mit einem gerechten Frieden enden“, betonte Selenskyj. Er ergänzte: „Bereits in diesem Jahr können wir die Niederlage des Aggressors unumkehrbar machen.“ Zwar gebe es das Risiko, dass die Unterstützung nachlasse, wenn die ukrainische Offensive nicht sehr erfolgreich sei, räumte Selenskyj ein. Dennoch glaube man an den Erfolg der Offensive. „Die Unterstützung ist auf unserer Seite. Wir sind motiviert. Und mir scheint, dass wir beinahe bereit sind für diesen Erfolg.“
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Grundlage für einen möglichen Frieden müsse die ukrainische Friedensformel sein, da der Krieg ausschließlich auf ihrem Territorium stattfinde. Kiew sei aber „daran interessiert, dass so viel wie möglich Staaten am ersten Gipfel dieser Friedensformel teilnehmen“, sagte Selenskyj. Man arbeite derzeit an dessen Organisation. „Wir sind bereit zur Diskussion jeglicher Vorschläge, jedoch nur auf unserem Platz.“
Scholz betonte, die Ukraine verlange zu Recht, dass eine Friedenslösung nicht bedeuten könne, „einfach den Krieg einzufrieren und dass ein Diktatfrieden von russischer Seite formuliert wird“. Es handele sich um einen imperialistischen Angriff auf ukrainischem Territorium. Zugleich betonte der Kanzler, es sei klar: „Russland muss Truppen zurückziehen. Ohne das wird es nicht gehen.“
Wolodymyr Selenskyj frühstückt mit Frank-Walter Steinmeier
Am Morgen hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Selenskyj in seinem Amtssitz Schloss Bellevue in Berlin empfangen. Der ukrainische Präsident dankte für die breite Unterstützung: „In der schwierigsten Zeit in der modernen Geschichte der Ukraine hat sich Deutschland als unser wahrer Freund und verlässlicher Verbündeter erwiesen, der im Kampf für die Verteidigung von Freiheit und demokratischen Werten entschieden an der Seite des ukrainischen Volkes steht“, schrieb Selenskyj auf Englisch ins Gästebuch. Er ergänzte: „Gemeinsam werden wir gewinnen und den Frieden nach Europa zurückbringen.“
Am Sonntagnachmittag ist der ukrainische Präsident in Nordrhein-Westfalen eingetroffen. Nach dpa-Informationen wurde er von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) begleitet und nach der Landung gegen 15.30 Uhr von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) empfangen.
Selenskyj wird zur Verleihung des Karlspreises in Aachen erwartet.
Wolodymyr Selenskyj verkündete Deutschland-Besuch bei Twitter
„Bereits in Berlin“, hatte Selenskyj am frühen Sonntagmorgen getwittert. „Waffen. Starkes Paket. Luftverteidigung, Wiederaufbau. EU. Nato. Sicherheit.“, fügte er hinzu - Stichworte für die möglichen Gesprächsthemen in Berlin.
In Berlin wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Durch eine sogenannten Allgemeinverfügung gelten bis 18 Uhr umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen und Verkehrssperrungen. Besonders betroffen sind die Bereiche rund um das Regierungsviertel in Mitte.
Auch das Befahren der Spree war damit unter anderem in Höhe des Bundeskanzleramtes nicht mehr möglich. Anwohner der betroffenen zwei Bereiche um Kanzleramt und Bundespräsidialamt sollen zur Legitimation etwa einen Ausweis dabei haben. Über diesen Gebieten waren am Morgen mehrere Hubschrauber zu sehen.
Bundesregierung bringt Rüstungspaket für Ukraine auf den Weg
Die Bundesregierung hatte am Samstag ein umfangreiches Rüstungspaket für Kiew verkündet. Laut Verteidigungsministerium bekommt die Ukraine unter anderem 30 Panzer vom Typ Leopard 1 A5 und 20 vom Typ Marder. Das Paket umfasst außerdem vier weitere Iris-T-Flugabwehrsysteme, 18 Radhaubitzen, mehr als 100 gepanzerte Gefechtsfahrzeuge und mehr als 200 Aufklärungsdrohnen.
Das genaue Programm Selenskyjs wurde aus Sicherheitsgründen zunächst nicht bekannt gegeben.
Deutsche Luftwaffe holte Wolodymyr Selenskyj in Rom ab
Ein Flugzeug der Flugbereitschaft der Bundeswehr hatte Selenskyj nach Angaben der Luftwaffe am Samstagabend in Rom abgeholt, wo der ukrainische Präsident Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella, Regierungschefin Giorgia Meloni und Papst Franziskus getroffen hatte.
Die Luftwaffe schrieb am frühen Morgen auf Twitter: „Herzlich willkommen in Deutschland! Es ist uns eine große Ehre, den Präsidenten der Ukraine im deutschen Luftraum zu begrüßen!“ Demnach wurde Selenskyj mit einem Airbus A319 der Flugbereitschaft in Rom abholt. Zwei Eurofighter vom Fliegerhorst Lechfeld südlich von Augsburg hätten den Präsidenten „sicher nach Berlin“ eskortiert, hieß es.
Wolodymyr Selenskyj erhält den Karlspreis
Am Sonntagnachmittag findet in Aachen die Verleihung des Karlspreises für europäische Verdienste statt, der Selenskyj und dem ukrainischen Volk im Dezember zugesprochen worden war. In der Begründung wurde die Rolle Selenskyjs bei der Abwehr des russischen Angriffskriegs hervorgehoben: Er sei nicht nur der Präsident seines Volkes und der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee. Er sei „auch der Motivator, Kommunikator, der Motor und die Klammer zwischen der Ukraine und der großen Phalanx der Unterstützer“.
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte der Deutschen Presse-Agentur, Europa wolle mit der Auszeichnung ein Zeichen setzen: „Wir stehen an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer.“ Man werde in der Unterstützung der Ukraine nicht nachlassen - „humanitär, wirtschaftlich und mit Waffen“.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach von einem „starken Signal in Zeiten des Krieges“. „Mit Präsident Wolodymyr Selenskyj wird in Aachen ein entschlossener Kämpfer für die Werte des freien Europas gewürdigt.“
Voriges Jahr hatten die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja und zwei Mitstreiterinnen den Karlspreis bekommen, 2021 der rumänische Präsident Klaus Iohannis. Auch Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Papst Franziskus sind Preisträger. Der Karlspreis ist nicht dotiert. (dpa, afp, red)