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Woelki und der Fall O.Kirchenrechtler sieht eindeutigen Rechtsverstoß des Kardinals

Lesezeit 5 Minuten
Woelki dpa

Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln

Köln – Das mutmaßliche Verbrechen ist mehr als 40 Jahre her. Ende der 1970er Jahre soll der Düsseldorfer Pfarrer Johannes O. einem Kindergartenkind sexuelle Gewalt angetan haben. Der Fall war dem Erzbistum seit 2010 bekannt. Gegen Pfarrer O. aber gab es keine Maßnahmen – weder damals unter Erzbischof Joachim Kardinal Meisner noch 2015, als sich Meisners Nachfolger Rainer Maria Kardinal Woelki die Akten vorlegen ließ.

Woelki war dem 2017 verstorbenen Pfarrer O. eng verbunden. Es ist der einzige Fall, in dem ihm Vertuschung vorgeworfen wird, während er in anderen Fällen durchgriff.

Wie stellt das Erzbistum den Fall O. dar?

Unstrittig ist: Der Betroffene hatte sich 2010 an die zuständige Ansprechpartnerin des Erzbistums gewandt, die den Personalchef (später Generalvikar, heute Erzbischof von Hamburg) Stefan Heße informierte. Heße musste Kardinal Meisner und dessen Generalvikar Dominikus Schwaderlapp unterrichten. Der Betroffene erhielt eine damals hohe Anerkennungszahlung von 15 000 Euro. Konsequenzen für den Pfarrer sind nicht bekannt.

Der Betroffene war 2011 grundsätzlich zu weiteren Auskünften bereit – aber „nach aktuellem Kenntnisstand gab es keinen weiteren Informationsaustausch bzw. keine weiteren Kontakte zu dem Betroffenen“, wie das Erzbistum der Rundschau mitteilt. Warum nicht? „Die Ansprechpersonen haben bereits damals weitgehend selbstständig agiert.“ Näheres werde in der laufenden unabhängigen Untersuchung durch den Kölner Strafrechtler Björn Gercke geklärt.

Kardinäle in Köln

Woelki verließ sich jedenfalls 2015 auf die Angabe, das Opfer wolle nicht weiter reden. Diese Darstellung verbreitete das Erzbistum auch 2020, bis sich der Betroffene selbst meldete. Inzwischen hat Woelki mit ihm gesprochen. Dazu das Erzbistum: „Nach aktuellen Erkenntnissen … durch das persönliche Gespräch zwischen dem Betroffenen und dem Kardinal ist nun klar: Der Betroffene hatte sich damals einen weiteren Informationsaustausch gewünscht, jedoch wurde dies nicht umgesetzt.“ 2015 hatte Woelki entschieden, den Fall nicht weiter zu untersuchen. Wegen fortgeschrittener Demenz von O. sei keine Konfrontation mehr möglich gewesen.

War der Verzicht auf eine Untersuchung rechtens?

Das kirchenrechtliche Vorgehen in Missbrauchsfällen ist in den „Normen über schwerwiegende Delikte“, Stand 2010, geregelt. In Artikel 16 heißt es: „Wann immer der Ordinarius oder Hierarch eine mindestens wahrscheinliche Nachricht über eine schwerwiegendere Straftat erhält, muss er nach Durchführung einer Voruntersuchung die Kongregation für die Glaubenslehre darüber informieren.“

Was bedeutet „nach Durchführung einer Voruntersuchung“? Durfte Woelki entscheiden, eine Voruntersuchung sei nicht möglich – und damit auch keine Meldung erforderlich?

Das haben namentlich nicht genannte römische Kirchenrechtler der Katholischen Nachrichtenagentur erklärt. Der Tübinger Kirchenrechtler Bernhard Sven Anuth widerspricht. „Der Artikel 16 ist doch glasklar. Bei einer, so wörtlich, mindestens wahrscheinlichen Nachricht über eine solche Straftat ist eine Voruntersuchung zu führen und das Ergebnis nach Rom zu melden. Es gab ja Material, es lag ja die Interventionsakte vor, das Erzbistum hatte dem Opfer bereits 15.000 Euro gezahlt – das zeigt schon, dass man die Vorwürfe für plausibel hielt.“ Woelki hatte die Meldung, so Anuth, mit der Empfehlung versehen können, wegen der Demenz des Beschuldigen kein Verfahren zu führen.

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Von der Meldung selbst durfte er aber demnach nicht absehen. 2019 hat die Kirche dann klargestellt, wann alleine eine solche Nachricht als nicht wahrscheinlich gilt – so, wenn der Beschuldigte zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Tat bekanntermaßen außer Landes war. Woelki hätte sich sicher viel erspart, wenn er einfach einen Fehler eingeräumt hätte. Seine Pressestelle verweist zur juristischen Bewertung aber nur auf das ausstehende Gutachten.

Wie wird Woelkis Handeln jetzt überprüft?

Dem Bischof von Münster, Felix Genn, fällt als dienstältestem Bischof der Kirchenprovinz Köln die Aufgabe zu, eine Voruntersuchung zu führen. Aber auch Woelki selbst hat sich an den Vatikan gewandt. Dazu meint Anuth:  „Woelki hat ja vor Pfarrgemeinderäten darauf hingewiesen, dass für ihn als Kardinal nur der Papst zuständig sei. Das gilt aber nur für ein etwaiges Strafverfahren: Bischof Genn führt lediglich die Voruntersuchung durch, wenn der Heilige Stuhl ihn damit beauftragt, und ist dafür nach geltendem Recht ausdrücklich auch bei einem Kardinal zuständig.“

Gibt es im Kirchenrecht so etwas wie Befangenheit?

Woelki hat Pfarrer O. schon als Praktikant 1983 kennengelernt. Heße unterrichte ihn 2011 von dem Missbrauchsvorwurf. Trotzdem durfte O. mit zu Woelkis Kardinalserhebung 2012 nach Rom reisen. „Unterschiedliche Stellen“ hätten mehrere hundert Begleiter für Woelki ausgewählt, so das Erzbistum. O. steht allerdings auf einem Foto mit wenigen anderen Düsseldorfer Weggefährten gleich neben Woelki, und wie der Düsseldorfer „Express“ jetzt erfuhr, hielt Woelki 2017 noch die Totenmesse für O.Wie geht das Kirchenrecht mit Situationen um, in denen ein Bischof – zugleich oberster Richter seiner Diözese – dem beschuldigten Kleriker so nahe steht? Anuth: „Das Problem der Befangenheit von Bischöfen bei Verfahren gegen eigene Priester gab es durchaus, und genau deshalb hat Papst Johannes Paul II. ja 2001 die Meldepflicht eingeführt: Bei schwerwiegenden Delikten ist dem Bischof das Richteramt entzogen. Er muss den Fall nach Rom melden, und die Glaubenskongregation kann ihn entweder selbst behandeln oder ans Bistum zurückverweisen – oder auch an eine Nachbardiözese.“ Was dem Bischof weiter obliegt, ist die Voruntersuchung. „Aber nach Artikel 16 der Normen von 2010 ist klar, dass der Bischof dabei keine Ermessensspielräume hat – wenn er sich ans Kirchenrecht hält.“

Welchen Zusammenhang gibt es zur Missbrauchstudie?

Einen indirekten – und überraschenden. Woelki hatte zunächst die Münchner Anwaltskanzlei Westphal Spilcker Wastl beauftragt, den Umgang mit Missbrauchdelikten zu untersuchen. Die Anwälte haben den Fall O. aber gar nicht aufgegriffen.

Nach bisher publik gewordenen Auszügen erhoben die Anwälte in anderen Fällen schwere Vorwürfe gegen hohe Geistliche, darunter Meisner, dessen langjährigen Generalvikar Norbert Feldhoff und Heße, der sogar mit juristischen Schritten drohte. Das Erzbistum Köln trennte sich schließlich wegen juristischer Bedenken von den Münchner Gutachtern. Neu beauftragt wurde Anwalt Gercke.

Gehrcke betont, auch seine Studie werde für das Erzbistum nicht angenehm – und in der Tat: Er war es erst, der den für Woelki so belastenden Fall O. aufgriff. Am 18. März 2021 wird er seine Ergebnisse vorlegen.