Köln – Kirchentage oder Jugendtreffen ohne das Lied „Laudato si”? Undenkbar - ganze Generationen von Katholiken sind mit dem Song großgeworden. Ein Priester mit Promifaktor hat den deutschen Text verfasst.
Als Präsident der Sternsinger war Winfried Pilz im Bundeskanzleramt und beim Bundespräsidenten, stand Seite an Seite mit Kanzlerin Angela Merkel. Doch am Mittwoch veröffentlichte das Erzbistum Köln eine Pressemitteilung, die das Wirken des 2019 verstorbenen Mannes in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Der Priester soll in den 1970er-Jahren einen schutzbedürftigen Erwachsenen sexuell missbraucht haben. Das Opfer hatte sich 2012 an das Erzbistum gewandt. Das leitete ein Verfahren ein und übermittelte das Ergebnis an die Glaubenskongregation in Rom. Nicht mehr zu klären war, ob das Opfer zum Tatzeitpunkt jünger oder älter als 18 Jahre alt war.
Erzbistum Köln bittet um Unterstützung bei Aufklärung
die Lebensstationen seines Wirkens über Jahrzehnte auf. Darunter auch die zehn Jahre, in denen Pilz Präsident des Kindermissionswerkes „Die Sternsinger” in Aachen war (2000 bis 2010).
Zwar sei eine abschließende Klärung bei bereits verstorbenen Beschuldigten nur in seltenen Fällen möglich, heißt es aus Köln. Das Erzbistum sehe sich aber den Betroffenen von sexualisierter Gewalt gegenüber in der Pflicht, allen Hinweisen nachzugehen.
Weil die Untersuchung die Vorwürfe in Teilen bestätigte, erteilte Kardinal Joachim Meisner dem Pfarrer im Ruhestand im Februar 2014 einen Verweis, sprach eine Geldstrafe aus und verbot Pilz, sich Minderjährigen ohne die Anwesenheit von Erwachsenen zu nähern. Meisners Nachfolger Kardinal Rainer Maria Woelki war zu diesem Zeitpunkt noch in Berlin im Amt.
Überschwänglicher Nachruf
Das Vorwissen um den Priester hinderte das Erzbistum 2019 aber nicht an einem überschwänglichen Nachruf. Personalchef und Pfarrer Mike Kolb beschrieb den Verstorbenen als tiefgläubigen Charismatiker und begnadeten Prediger, der nach dem II. Vatikanischen Konzil viele Menschen im Glauben inspiriert und begleitet habe.
Der aus Köln stammende Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller bezeichnet das Verhalten des Erzbistums „als beschämend”. „Im Wissen um die Taten hat die Bistumsleitung noch 2019 einen Nachruf veröffentlicht, während die Opfer keine Resonanz bekommen haben”, sagte der Professor der Uni Münster der Deutschen Presse-Agentur.
Schüllers Deutung ist, dass aufgrund des Promifaktors des Beschuldigten die Sache möglichst lange unter der Decke gehalten werden sollte. „Nun haben sich aber offenbar so viele Opfer gemeldet, dass diese Welle nicht mehr aufzuhalten war. Deshalb offenbar jetzt diese Pressemitteilung.”
Aufruf aus Köln kam mit monatelanger Verzögerung
Schockiert hatte sich kurz nach der Mitteilung des Erzbistums am Mittwochabend das Kindermissionswerk „Die Sternsinger” in Aachen zu Wort gemeldet - offenbar zeitlich abgestimmt mit Köln. Zwischen den Zeilen lies sich Kritik am Erzbistum herauslesen. Zwar sei das Werk bereits im September 2021 über den Fall des Pfarrers informiert worden, aber der Wunsch nach einem zeitnahen Aufruf nach weiteren Opfern und größtmöglicher Transparenz sei das Erzbistum erst im Sommer 2022 nachgekommen - neun Monate nach dem Kontakt.
Dennoch rief das Kindermissionswerk die eigenen Mitarbeiter auf, sich aktiv an der Aufklärung und Aufarbeitung zu beteiligen.
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