Das Erzbistum Köln muss 300.000 Euro Schadenersatz an ein Missbrauchsopfer zahlen. Ein ähnlicher Prozess läuft gegen das Erzbistum München. Was ändert sich dadurch? Fragen an den Kölner Verfassungsrechtler Prof. Stephan Rixen.
Interview mit VerfassungsrechtlerWas sich durch das Urteil gegen das Erzbistum Köln ändert

Haben ein folgenreiches Urteil gegen das Erzbistum Köln erwirkt: Kläger Georg Menne (r.) und sein Anwalt Eberhard Luetjohann vor dem Landgericht Köln.
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Das Landgericht Köln hat einem Missbrauchsopfer 300 000 Euro zugesprochen, in Traunstein läuft ein Schmerzensgeldprozess gegen das Erzbistum München und Freising. Wird da gerade Rechtsgeschichte geschrieben – oder wird der Verzicht der Bistümer auf die Verjährung eine Einzelfallentscheidung bleiben?
Ganz klar, da wird Rechtsgeschichte geschrieben. Es ist etwas Neues, dass sich die katholische Kirche vor einem staatlichen Gericht wegen eklatanten Versagens verantworten muss. Ob die Bistümer auch künftig auf die Einrede der Verjährung verzichten, also sich nicht auf die Verjährung berufen, das halte ich für offen. Sollten sie es tun, müssen sie damit rechnen, dass die Gerichte das als rechtsmissbräuchlich brandmarken, also – vom Juristischen ins Deutsche übersetzt – sagen: „Erst habt ihr alles vertuscht, auf Zeit gespielt und Betroffenen das Leben schwer gemacht, und jetzt fällt euch ein, dass ihr mit all dem nichts zu tun habt. Geht’s noch?!“ Dann wäre die Verjährung als Argument hinfällig.
Es gibt viel Kritik an Kardinal Woelki in Köln. Wie bewerten Sie sein Verhalten in diesem Fall?
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Er hat auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Das hat keine Kritik verdient.
In Traunstein wird das Verfahren gegen den Nachlass von Benedikt XVI. abgetrennt, weil bisher niemand bereit war, dessen Erbe anzunehmen. Wie lässt sich das Problem lösen?
In erster Linie geht es um die Verantwortung des Erzbistums München und Freising, dieses Verfahren läuft unverändert weiter.
Nun bleibt dem Opfer in Traunstein eine Beweisaufnahme nicht erspart. Ist das der richtige Weg?
Das ist der Weg, den der Rechtsstaat vorsieht. Normalerweise muss der Kläger beweisen, dass die Vorwürfe zutreffen, es geht zu seinen Lasten, wenn er relevante Tatsachen nicht belegen kann. Aber die Beweislast kann auch erleichtert werden, sie kann sich sogar ganz umkehren, wenn es um Tatsachen geht, die in der internen Sphäre des Beklagten liegen und die der Kläger beim besten Willen nicht nachweisen kann. Das Landgericht Traunstein hat das Problem schon angesprochen. Wenn die Beweislast erleichtert würde, dann wäre das ein sensationelles Signal im Sinne der Betroffenen.
Das Kölner Urteil ist ein wichtiger Impuls, was die Höhe der Anerkennungsleistungen angeht.
Die katholische Kirche hat eine Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UAK) eingerichtet, die auch ein vereinfachtes Verfahren für den Nachweis von Taten vorsieht. Sehen Sie Chancen, dass die Anerkennungsleistungen jetzt steigen, so dass nicht alle Betroffenen vor Gericht ziehen müssen?
Auch nach dem Kölner Urteil bleibt dieses Verfahren wichtig, einfach, weil eine Klage für viele Betroffene keine realistische Option ist. Eine Klage kostet Kraft, Zeit und Geld. Das Kölner Urteil ist ein wichtiger Impuls, was die Höhe der Anerkennungsleistungen angeht. Die UAK sieht das selbst so. Sie hat wenige Tage nach dem Kölner Urteil erklärt, dass dieses Urteil auf den bisherigen Zahlungsrahmen Einfluss haben soll. Das soll wohl heißen: Der bisherige Zahlungsrahmen verschiebt sich nach oben, die Entschädigungssummen steigen.
… und gilt das auch für Entschädigungsleistungen durch andere Institutionen, Schulträger etwa, Sportvereine, die Evangelische Kirche? Wo stehen wir da überhaupt?
Bislang ist es so, dass die katholische Kirche die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Hinter ihr verstecken sich ganz viele: die evangelische Kirche, der Sport, der Staat … Es wird aber nicht mehr lange dauern, bis auch in diesen Bereichen Klagen zunehmend für Unruhe sorgen. Die sind nötig, damit sich effektiv etwas verändert.
Das Erzbistum Köln muss für Missbrauchshandlungen im Ferienhaus des Täters haften. Ist also ein Geistlicher immer im Dienst, sein Dienstherr immer haftbar? Und gilt das dann auch zum Beispiel für Lehrer?
Entscheidend ist der Bezug zur amtlichen Tätigkeit. Es geht ja im Kölner Urteil um die sogenannte Amtshaftung, also um Tätigkeiten, die in einem erkennbaren Zusammenhang zum priesterlichen Amt stehen. Für die katholische Kirche führt die Priesterweihe zu einer Wesensveränderung. Der Priester hat nicht nur einen Beruf, sondern lebt mit seiner ganzen Person eine Berufung. Dieses religiöse Selbstverständnis muss das staatliche Recht ernstnehmen. Daher können die Haftungsmaßstäbe bei Priestern noch strenger sein als bei anderen Personen.

Stephan Rixen auf einem Ökumenischen Kirchentag 2023 in Osnabrück.
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Zur Person: Prof. Dr. Stephan Rixen, Verfassungsrechtler/Direktor des Instituts für Staatsrecht der Universität zu Köln, er gehört der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs auf Bundesebene an.