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Ukraine-KriegWen die Sanktionen gegen Russland vor allem treffen

Lesezeit 5 Minuten
Sberbank in Russland

Die Sberbank, größtes Geldinstitut des  Landes, ist bislang noch nicht mit Sanktionen belegt. 

Im Supermarkt in Moskau ist es nur noch schwer möglich, mit Karte zu zahlen – „die Karten europäischer Banken funktionieren hier nicht mehr“, meint eine Kassiererin in einem Laden am Rande des Stadtzentrums. Die Einkaufswagen hier sind voll, Buchweizen und Nudeln oft ausverkauft: Die Sanktionen vieler westlicher Länder und Unternehmen machen sich zunehmend im Alltag der Menschen in Russland bemerkbar.

Immer mehr berühmte Marken der westlichen Konsumwelt stellen als Reaktion auf den Krieg ihre Arbeit in Russland ein. „Vorübergehend“, heißt es in den meisten Fällen. Aber in der russischen Hauptstadt, international beliebt als Shopping-Paradies, sind die Spuren der Sanktionen inzwischen unübersehbar.

Das Geld ist bei vielen Russen knapp geworden

Neue Sanktionen

Die EU-Staaten haben sich auf eine erneute Ausweitung der Sanktionen gegen Russland und dessen Partnerland Belarus verständigt. Wie die EU-Kommission mitteilte, werden 14 weitere Oligarchen und Geschäftsleute auf die Liste der Personen kommen, deren Vermögenswerte in der EU eingefroren werden und die nicht mehr einreisen dürfen. Zudem sind ein Verbot für die Ausfuhr von Schifffahrtsausrüstung sowie der Ausschluss dreier belarussischer Banken aus dem Kommunikationsnetzwerk Swift geplant.

Die Hoffnung der Ukraine auf einen schnellen EU-Beitritt wird aber voraussichtlich enttäuscht. Ein Entwurf der Abschlusserklärung für den bevorstehenden EU-Gipfel weist lediglich darauf hin, dass die EU-Kommission um eine Einschätzung zum Antrag der Ukraine auf Mitgliedschaft gebeten wurde. Von einem beschleunigten Verfahren oder einer grundsätzlichen Zustimmung ist nicht die Rede. Am Donnerstag und Freitag beraten die Regierungschefs in Versailles über die Folgen des Kriegs und der Sanktionen gegen Russland für die EU. Dabei geht es um Wirtschaft, Verteidigung und Energieversorgung. (dpa)

Geschäfte bekannter Modemarken wie Zara und Massimo Dutti sind geschlossen. Im Luxuskaufhaus GUM gibt es ganze Abteilungen mit leeren Regalen, etwa Prada, Gucci und Louis Vuitton haben ihre Waren weggepackt. Von „technischen Gründen“ ist die Rede, schon bald sollten Kunden wieder bedient werden. Offiziell darf in Russland nicht davon geredet werden, dass Putins Krieg westliche Unternehmen en masse die Flucht ergreifen lässt. Aber wann und ob es weitergeht, ist unklar – auch für das Personal, das um Job und Einkommen fürchtet.

Schon jetzt kommen viele Russen mit ihrem Einkommen kaum über die Runden. In Supermärkten in Moskau etwa werden Verkäufer für 45.000 Rubel Monatsgehalt gesucht – das sind nach Umrechnungskurs vom Mittwoch rund 300 Euro. Vieles wird derweil teurer, auch Benzin.

Die meisten Modemarken sind in dem Nobelkaufhaus allerdings noch zu haben – doch kaum jemand kauft etwas. Noch in den ersten Tagen des Krieges hatten sich Kundinnen und Kunden mit Kleidung und Technik eingedeckt: Viele nahmen die alten Preise zum Anlass, ihr Geld vor der Entwertung zu retten und lieber in Einkäufe zu investieren. Inzwischen hat das Personal die Ware nach dem massiven Wertverlust des Rubel gegenüber Euro und Dollar neu ausgepreist.

Im Supermarkt sind viele Regale leer

Die Folgen des Krieges für die Russinnen und Russen sind jedoch nicht nur in Modehäusern zu erkennen, sondern vor allem in Supermärkten. Haltbar gemachte Lebensmittel in Gläsern und Büchsen stapeln sich in den Wagen und Körben, in einem großen Markt des französischen Unternehmens Auchan nahe dem Moskauer Zentrum sind einige Regale bereits leer gekauft.

Ähnlich wie zu Beginn der Corona-Pandemie sind vor allem der bei den Russen beliebte Buchweizen und sämtliche Nudelsorten ausverkauft. In anderen Supermärkten hängen Schilder mit der Aufforderung, etwa von Reis und Linsen nicht mehr als zehn Packungen zu kaufen. Das soll Hamsterkäufe verhindern. Gezahlt werden muss oft in bar.

Im Trend liegt auch, sich in der absehbaren Krise mit Wodka und anderem Alkohol einzudecken, solange die Preise bei den russischen Spirituosen noch die alten sind. Champagner und andere westliche Marken haben sich schon deutlich verteuert – teils um einige Tausend Rubel.

Die Lage an Bankautomaten hat sich indes entspannt. Viele Kunden merken, dass sich die Beteuerungen der Zentralbank, es werde keine Engpässe geben, augenscheinlich bewahrheiten. Auch Kremlsprecher Dmitri Peskow betont am Mittwoch einmal mehr, dass Russland mit Sanktionen des Westens im Konflikt um die Ukraine gerechnet habe. Die russische Regierung sei darauf vorbereitet, meint er auch mit Blick auf den befürchteten Anstieg der Arbeitslosigkeit.„Wir wollen trotzdem hoffen, dass nicht Millionen Menschen ohne Arbeit bleiben, sondern weniger“, sagt Peskow. Tatsächlich würden viele Unternehmen das Land derzeit verlassen. Daher hätten nun die „Maßnahmen gegen die Krise auf dem Arbeitsmarkt“ klar Vorrang.

In Moskau wirkt die Lage sehr alltäglich

Auf der Straße in Moskau scheint derweil alles wie immer zu sein. Die Menschen sitzen in Cafés und Restaurants – auch die US-Fastfood-Kette McDonald’s arbeitet noch, obwohl die vorübergehende Schließung angekündigt ist. Eine Verkäuferin in einem Adidas-Sportgeschäft erzählt, dass noch bis 13. März geöffnet sei.

Ein Friseur in einem Schönheitssalon auf dem Moskauer Kutusowski-Prospekt befürchtet, dass er wegen der Sanktionen künftig keine ordentlichen Scheren und andere Geräte mehr bekommt. „Wir sind gewöhnt an Krisen und Probleme. Aber diesmal wird es sicher ganz besonders schlimm.“ In einem Coffee-Shop hört ein junger Mann das erste Mal, dass auch der US-Streamingdienst Netflix sein Angebot in Russland einstellt. Er hat selbst ein Abonnement, wie er auf seinem Mobiltelefon zeigt. Filme und Serien kann er da künftig nicht mehr anschauen. Er gehört jedoch offenbar zu der vergleichsweise geringen Zahl der eine Million Netflix-Kunden in Russland, die ordentlich bezahlen.

Die meisten Menschen schauen traditionell die neuesten Hollywood-Filme und Serien kostenlos auf Piratenseiten im Internet. Zwar hat die russische Medienaufsicht solche Gratis-Angebote auch im Sinne der US-Unternehmen lange Zeit immer wieder gesperrt. Aber es kommen immer neue Anbieter. In der russischen Internetgemeinde wird nach Kriegsbeginn nun vor allem groß bejubelt, dass die Behörden die Piratenseite Rutracker wieder freigeschaltet haben, von der sich Filme herunterladen lassen. (dpa)