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Rundschau-Debatte des TagesKann die Ukraine den Krieg gewinnen?

Lesezeit 4 Minuten
ukrainischer Soldat

Ein ukrainischer Soldat steht an einem Kontrollpunkt am Stadtrand von Kiew

  1. Der russische Vormarsch scheint angesichts des heftigen Widerstands ins Stocken geraten zu sein.
  2. Manche Beobachter sehen Putins Pläne bereits gescheitert, andere erwarten lange verbissene Kämpfe.

Berlin – Zwischen Partisanenkampf und Volksaufstand: Mit schnellen und flexiblen Schlägen hatten ukrainische Soldaten die russische Offensive in den vergangenen Tagen verlangsamt und stellenweise gar in den Rückwärtsgang gezwungen. Das hatten viele westliche Militärexperten kaum erwartet und überschlagen sich nun vor Bewunderung. Offenbar hat sich der russische Präsident Wladimir Putin bei seinem Angriffskrieg gründlich verrechnet.

Nehme man die Versorgung der russischen Soldaten mit Treibstoff und Lebensmitteln zum Maßstab, müsse Putin an einen Sieg binnen vier Tagen geglaubt haben, sagte ein westlicher Regierungsvertreter in Berlin. Stattdessen habe sich die Kolonne der Angreifer – wegen Spritmangels, mechanischer Ausfälle und ukrainischer Angriffe – auf bis zu 70 Kilometer gestaut. Dazu sei ein Vertrauensverlust russischer Soldaten gekommen, von denen einige erst beim Überqueren der Grenze verstanden hätten, dass dies keine Übung mehr sei.

Westliche Nachrichtendienste werten die Vielzahl von Fotos und Videos mit zerstörten russischen Panzern genau aus. Als wahrscheinlich gilt auch, dass mindestens vier ranghohe russische Kommandeure getötet wurden, als sie versuchten, den stockenden Vormarsch wieder voranzubringen.

„Die ergeben sich nicht“

Putin lässt es nun verstärkt mit der Brechstange versuchen. Wo er keinen militärischen Erfolg habe, lasse er umso brutaler dazwischenschlagen, sagte der ehemalige Nato-General Hans-Lothar Domröse. „Die erhofften Bilder, winkende Frauen mit Blumensträußen und strahlende Kinder, die waren ja nicht da.“ Putin habe wahrscheinlich nicht mit diesem Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gerechnet. Die Ukrainer kämpften schon jetzt partisanenartig und bereiteten damit der russischen Militärmacht Probleme. „Das ist ein Afghanistan 2.0, was er erlebt. Die ergeben sich nicht, ganz offensichtlich“, so Domröse. „Das ist ein Fass ohne Boden. Das ist kein ,easy win‘ für ihn. Das wird fürchterlich.“ Die Ukraine könne den Krieg moralisch gewinnen, sagte Domröse. Putin könne ihn aber technisch-taktisch gewinnen. Er werde die Ukraine im schlimmsten Fall zerschlagen und die Bevölkerung als Geisel nehmen.

Das humanitäre Völkerrecht

Um menschliches Leid im Krieg zu verringern, hat die internationale Gemeinschaft das humanitäre Völkerrecht ins Leben gerufen. Es legt die Regeln in Zeiten von bewaffneten Konflikten fest und will vor allem Menschen schützen, die nicht direkt an den Kämpfen beteiligt sind – wie Zivilisten oder Gefangene. Zu seinen Kernstücken gehören neben der Haager Landkriegsordnung von 1907 die vier Genfer Konventionen von 1949 mit ihren Zusatzprotokollen von 1977 und 2005. Sie regeln unter anderem den Umgang mit verwundeten und gefallenen Soldaten, die Behandlung Kriegsgefangener oder den Schutz der Zivilbevölkerung unter Fremdherrschaft und in besetzten Gebieten. Die Genfer Konventionen sind heute fast weltweit bindend. Als Folge des Holocaust hatte die Vollversammlung der Vereinten Nationen 1948 das „Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ verabschiedet, das 1951 in Kraft trat – ein weiteres Schlüsselelement des humanitären Völkerrechts. (dpa)

Domröse riet dazu, in der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine die Vereinten Nationen einzubinden, wo möglich, und nicht nur in Kategorien der Nato zu denken. „Man muss die Völkergemeinschaft aufrufen und aufrütteln.“ Aber: „Erste Priorität muss nun humanitäre Hilfe haben. Bis hin zum Butterbrot. Alles, was den Menschen hilft“, sagte der Generalleutnant a. D. „Jedem Menschen, den Babys, den Müttern, den Vätern.“ Was die Möglichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine angeht, war Domröse aber überaus skeptisch.

„Preis für Krieg wird untragbar“

Ein anderer, noch aktiver ranghoher deutscher Offizier meinte, eine Niederlage der Russen käme einer Art Wunder gleich. Allerdings könne die Ukraine den Vormarsch erheblich verzögern, während um die Welt die Bilder von Toten und Verletzen gingen, auch unter den russischen Soldaten.

Dagegen sagte der frühere Nato-General Egon Ramms am Sonntagabend im ZDF, er halte einen Sieg der Ukraine durchaus für möglich. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian geht sogar davon aus, dass sich die Ukraine am Ende durchsetzen wird. „Ich denke, die Ukraine wird gewinnen“, sagte Le Drian im TV-Sender France 5. Er verwies unter anderem auf die Folgen der Sanktionen, die mit der Zeit noch stärker spürbar würden: „Der Preis für den Krieg wird untragbar werden.“

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Putins Entscheidung, schon nach wenigen Tagen die „Karte nuklearer Bedrohung“ zu ziehen, zeige dessen „wachsende Verzweiflung“, schrieb Efraim Halevy, früherer Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, in der Tagezeitung „Haaretz“. Er machte Mangel an Erfahrung und Motivation bei den einfachen russischen Soldaten aus. Russland sei international isoliert, Putins Prestige schwer beschädigt – international und auch in der Heimat. Die USA stünden vor der Herausforderung, wie der Ukraine geholfen werden, gleichzeitig aber Putin ein ehrenhafter Ausweg aus der Lage geboten werden könne.

„ Noch schmutzigere Angriffe“

Israel hat sich in die Verhandlungsbemühungen eingeschaltet. Aber die Zeichen im Kriegsgebiet scheinen nicht auf Frieden zu stehen. Putin habe sich einen schnelleren militärischen Vorstoß vorgestellt, sagte auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann. „Ich gehe davon aus, dass daher die Kämpfe noch lange anhalten werden und Putin vermutlich noch schmutzigere Angriffe starten wird. Er hält nicht mal sein Wort, angeblich nur Angriffe auf militärische Infrastruktur zu führen“, sagte sie. „Er tritt damit die Regeln des humanitären Völkerrechts mit Füßen.“ (dpa)