Streit über SondervermögenKriegt die Bundeswehr ihre Finanzspritze?
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Die regierende Ampel und die oppositionelle Union müssen im Streit über das Sondervermögen für die Truppe eine Lösung finden.
Das scheint nicht unmöglich, doch noch gibt es ein paar Knackpunkte.
Berlin – Nach zwei ergebnislosen Verhandlungsterminen berieten Vertreter von CDU/CSU und der Ampel-Koalition gestern Abend erneut über die gesetzlichen Grundlagen für das Bundeswehr-Sondervermögen. Jahr für Jahr sollen in Zukunft mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investiert werden – insgesamt 100 Milliarden Euro. Weil dies im Grundgesetz verankert werden soll, ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Die Koalition ist auf Stimmen der Opposition angewiesen.
Signale der Annäherung
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) setzt auf eine Einigung, wie er der „Welt am Sonntag“ sagte. Diese solle umfassen, „dass die Bundeswehr möglichst viele neue Waffen und eine funktionsfähige Ausrüstung erhält und die Finanzierung notwendiger sicherheitsrelevanter Systeme nicht ausgeschlossen ist“. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), zeigte sich in der „Rheinischen Post“ optimistisch, „dass wir am Sonntag eine Einigung hinbekommen“.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt pochte allerdings auf die Einhaltung des Versprechens von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): „100 Milliarden Euro für die Streitkräfte und dauerhaft das Zwei-Prozent-Ziel erreichen – wir erwarten, dass die Ampel dieses Doppelversprechen einlöst und es konkret mit Leben füllt.“ Das bedeute, das Sondervermögen im Grundgesetz zu verankern und das Zwei-Prozent-Ziel per einfachem Gesetz festzuschreiben.
Auch aus den Regierungsfraktionen hieß es am Wochenende, die Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels solle wohl nicht im Grundgesetz verankert werden. Hauptgrund sei, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei der Haushaltsfestsetzung noch nicht bekannt sei und eine Verletzung des Grundgesetzes vermieden werden solle. Das Statistische Bundesamt teilt das Ergebnis von Berechnungen zum BIP rund 15 Tage nach Ablauf eines Jahres mit.
„Schnell aufrüsten“
Der Militärhistoriker Sönke Neitzel hat bei der Aufrüstung der Bundeswehr Tempo angemahnt. Die Pläne der Bundesregierung gingen „in die richtige Richtung“, müssten nun aber auch „rasch in Angriff genommen werden“, sagte Neitzel im Gespräch mit unserer Redaktion.
Ausdrücklich sprach sich der Professor für Militärgeschichte an der Uni Potsdam für die Beschaffung von F35-Tarnkappenbombern aus. „Entscheidend ist doch, dass ihre schiere Präsenz und Einsatzfähigkeit abschrecken werden“, betonte Neitzel. „Abschreckung ist eine Verhinderungsstrategie. Das funktioniert aber nur mit einer Armee, die kämpfen kann und angemessen ausgestattet ist.“
Angesichts des Ukraine-Krieges könnte derzeit niemand voraussagen, ob oder wie womöglich auch in 20 oder 30 Jahren Krieg geführt werde und für welche Angriffsszenarien Deutschland dann gewappnet sein müsse, sagte Neitzel. Deswegen werde auch eine neue Raketenabwehr benötigt. Der jetzige Nato-Abwehrschild habe enorme Lücken. „Um uns besser zu schützen, muss massiv investiert werden.“ (tob)
Gleichwohl kündigte SPD-Chefin Saskia Esken in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ an: „Wir werden das Zwei-Prozent-Ziel nicht in jedem Jahr gleichermaßen erreichen.“ Wenn man heute Großgerät bestelle, bekomme man das erst in drei oder vier Jahren. „Möglicherweise sind die Summen in den ersten zwei Jahren nicht so hoch, und dann kommt ein Jahr, in dem sehr viel notwendig wird.“
Verwendung des Geldes
Die Union wollte klargestellt wissen, dass das Sondervermögen ausschließlich für die Bundeswehr verwendet wird. Eine bisher geplante Formulierung – „zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit“ – war ihr zu unspezifisch. Habeck sagte: „In meinen Augen ist diese Debatte um das Geld leicht zu lösen.“ Unstrittig sei, dass die Bundeswehr jetzt einsatzfähig gemacht werde. „Nur definiert sich die Verteidigungsfähigkeit des Landes nicht allein durch die Zahl der Waffen, sondern auch durch einen Schutz vor digitalen Angriffen auf kritische Infrastruktur.“
Geht es nach den Grünen, wird mit dem frischen Geld also auch Cyberabwehr sowie Unterstützung für Partnerstaaten finanziert. Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) sagte der „Rheinischen Post“, dass die Kompromisssuche hier schwierig sei. „Es muss schon klar sein, dass das Sondervermögen für die Bundeswehr eingesetzt wird, nicht für andere Zwecke.“
Verhandlungen unter Zeitdruck
Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Alexander Müller, sagte: „Das Sondervermögen muss vor der Sommerpause ins Grundgesetz, weil wir sonst viel Zeit verlieren.“ Bevor die Industrie Personal einstelle und Material und Vorprodukte bestelle, wolle sie die Sicherheit haben, dass die Gelder gesetzlich abgesichert seien. „Die nötigen Schiffe, Fahrzeuge und Schutzwesten liegen ja nicht im Schaufenster, sondern müssen neu produziert werden.“ Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sagte der „Rheinischen Post“, der Erwartungsdruck der Verbündeten sei in vielen Bereichen groß.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich verwies auf die Frage, bis wann eine Einigung stehen müsse, auf die in dieser Woche geplante Verabschiedung des Bundeshaushalts. „Da bietet es sich an, auch das Sondervermögen zu beschließen“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“. Ob die Gespräche am Sonntagabend einen Durchbruch bringen würden oder danach noch einmal weiterverhandelt wird, war bis Redaktionsschluss offen. (dpa)