Zu Hunderttausenden junger Menschen hat der Papst in den vergangenen Tagen gesprochen. In eingänglichen Worten vermittelte er Kernbotschaften des Christentums. Aussagen zu kontroversen Themen gab es aber nur zwischen den Zeilen.
Kein Wort zum Thema MissbrauchSo lief der Weltjugendtag in Lissabon
Missbrauch, Austritte, Skandale – die katholische Kirche steckt in etlichen Ländern in einer tiefen Krise. Wie kann sie da junge Menschen für den Glauben begeistern? Papst Franziskus versucht es auf dem Weltjugendtag in Lissabon mit einfachen Botschaften – und weicht immer wieder deutlich von den vorbereiteten Reden ab.
„Die Kirche hat Platz für alle. Alle, alle, alle“, ist einer dieser Sätze, die er während des mehrtägigen Riesenereignisses mehrere Male wiederholt. Ein anderer: „Gott liebt uns, wie wir sind“. „Hinfallen ist nicht schlimm – man darf bloß nicht liegenbleiben“, sagt das Oberhaupt der katholischen Kirche am Samstagabend. Und am Sonntagvormittag, als er am Rande der portugiesischen Hauptstadt unter freiem, blauem Himmel den Abschlussgottesdienst zelebriert, wiederholt Franziskus immer wieder: „Habt keine Angst!“
Rund eineinhalb Millionen Gläubige aus aller Welt sind in den Tejo-Park geströmt, unter ihnen auch 10000 Priester, 700 Bischöfe und 30 Kardinäle. Viele Besucher schwenken Nationalflaggen und jubeln dem Papst bei seiner Ankunft begeistert zu. Der 86-Jährige, der bereits seit Mittwoch im Land unterwegs ist, sitzt zwar wie bei den meisten seiner Auftritte im Rollstuhl. Doch er wirkt gelöst und energiegeladen, seine Predigt hält er in weiten Teilen frei.
Zu einem furchtloseren Einsatz für eine bessere Welt will Franziskus die Teilnehmenden ermutigen. Sie sollten die Freude der Tage von Lissabon mit nach Hause nehmen und dort Gutes tun, fordert er die Menge auf. „Wenn wir als Egoisten nach Hause zurückkehren, erlöscht das Licht, das wir von hier mitnehmen.“ Es seien die jungen Leute, die die Welt verändern und die für Gerechtigkeit und Frieden kämpfen: „Die Kirche und die Welt brauchen euch junge Menschen, so wie die Erde den Regen.“
Im Schlafsack an der Flussmündung
Die Messe bildet den emotionalen Abschluss des knapp einwöchigen Weltjugendtages. Laut portugiesischen Medien waren in dem südwesteuropäischen Land noch nie so viele Leute auf einmal bei einer Veranstaltung versammelt. Viele übernachten von Samstag auf Sonntag in Schlafsäcken und auf Isomatten in dem Park an der Mündung des Flusses Tejo. Da es dort kaum Schatten gibt, schützen sich die Menschen mit Regenschirmen oder improvisierten Zelten vor der prallen Sonne.
Am Samstagabend ist Franziskus bereits bei einer langen, stimmungsvollen Andacht im Tejo-Park dabei, zu der ebenfalls gut eineinhalb Millionen Menschen gekommen sind; sie beten, singen und tanzen. Der Papst fordert sie auf, „Wurzeln der Freude“ zu sein und einander zu unterstützen – vor allem, wenn jemand am Boden liege. „Wir dürfen nur dann auf Menschen herabschauen, wenn wir ihnen helfen, wieder aufzustehen“, sagt er.
Beim Weltjugendtag zeigt sich das wichtigste Anliegen des Papstes aus Lateinamerika: die Frohe Botschaft so zu verkünden, dass jeder sie versteht und niemand ausgegrenzt wird. Im Vatikan agiert Franziskus entsprechend. Seit der Neuordnung der Kurie im Juni 2022 leitet er persönlich die „Evangelisierungsbehörde“. Und sein neuer Chef-Dogmatiker Victor Fernandez soll nicht mehr Irrlehren abstrafen, sondern die Verkündigung in den Blick nehmen.
Franziskus Botschaft von der Kirche für „alle, alle, alle“ weist auch auf die Weltsynode im Oktober im Vatikan hin. Erstmals in der Geschichte der katholischen Kirche werden dann Frauen bei einer Bischofssynode mit abstimmen. Zwar ist nur rund jede siebte Stimme weiblich; trotzdem ist der Schritt bemerkenswert. Laut dem offiziellen Arbeitspapier sollen die Synodalen auch über heiße Eisen sprechen, etwa den Umgang der Kirche mit nicht-heterosexuellen Menschen und die Ehelosigkeit von Priestern.
Öffentlich kein Wort zum Missbrauch
In Lissabon benennt der Papst solche Konfliktthemen allerdings nur indirekt – etwa mit seiner Vision einer Kirche, die für ausnahmslos alle Menschen offenstehen müsse. Zum weltweiten Skandal um sexuellen Missbrauch durch Priester und andere Kirchenangehörige äußert er sich zur Enttäuschung vieler nicht – obwohl zu Jahresbeginn auch in Portugal ein Untersuchungsbericht die Öffentlichkeit schockiert hatte. Statt eines Statements empfängt der Papst 13 Missbrauchsbetroffene in der Vatikan-Botschaft. Das Treffen sei von einem „Klima intensiven Zuhörens“ geprägt gewesen, heißt es im Anschluss nur. Inhalte werden nicht bekannt.
Ebenso überraschend ist, dass Franziskus auch den Krieg in der Ukraine nicht öffentlich anspricht. Eigentlich war erwartet worden, dass er bei seinem Besuch im Marienwallfahrtsort Fatima nördlich von Lissabon einen Friedensappell an die Konfliktparteien richtet. Doch auch hier weicht der Papst vom vorgesehenen Programm ab. Franziskus habe stattdessen in Stille und „mit Schmerz“ vor der Madonnenfigur in Fatima für den Frieden gebetet, erklärt Vatikan-Sprecher Matteo Bruni.
Ganz zum Ende des Weltjugendtags, bei der Abschlussmesse im Tejo-Park, findet Franziskus dann doch noch Worte zum Krieg. Während sein Bild überlebensgroß auf riesige Leinwände projiziert wird, sagt das Kirchenoberhaupt mit Blick auf Europa: „Wenn ich an diesen Kontinent denke, empfinde ich großen Schmerz für die geliebte Ukraine, die weiter sehr leidet. Liebe Freunde, erlaubt mir als altem Mann, mit euch jungen Menschen einen Traum zu teilen, den ich in mir trage: Es ist der Traum vom Frieden, der Traum von jungen Menschen, die für den Frieden beten, in Frieden leben und eine Zukunft des Friedens aufbauen.“ (kna/mit dpa, afp)