Schutzschild für Deutschland?Wie Raketenabwehr funktioniert – und wo Grenzen liegen
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Es ist technisch anspruchsvoll und teuer, könnte aber viele Leben retten: Raketen können andere Raketen schon in größer Höhe abfangen und zerstören.
Das hat Vorteile – stößt aber auch schnell an Grenzen.
Berlin/Tel Aviv – Die Bundesregierung denkt nach Angaben von Kanzler Olaf Scholz über einen deutlich besseren Schutz gegen Raketenangriffe („Schutzschild“) für Deutschland nach. „Das gehört ganz sicher zu den Dingen, die wir beraten aus gutem Grund“, sagte der SPD-Politiker in der ARD-Sendung „Anne Will“. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und Wladimir Putins Drohungen gegen Nato-Staaten sprach Scholz von einem derzeit gewalttätigen Nachbarn, der nur mit Stärke abzuschrecken sei. Eine Möglichkeit: das israelische System „Arrow 3“.
Wie funktioniert ein Raketenschutzschild?
Die Abwehr anfliegender Raketen erfolgt in unterschiedlichen Zielhöhen und wird vom Verteidigungsbündnis Nato gemeinsam organisiert. Die gegnerischen Waffensysteme werden mit Radaranlagen erkannt. Von Land oder See aus wird eine Abwehrrakete auf einen Kollisionskurs geschickt. Sie kann das Angriffssystem durch die Wucht ihrer eigenen kinetischen Energie zerstören oder der Rakete eine zerstörerische Splitterwolke in den Weg sprengen.
Welchen Schutz vor Angriffen hat Deutschland bereits?
Deutschland hat für den näheren Bereich und die Bekämpfung von Flugzeugen und Hubschraubern die Luftabwehrrakete Stinger im Einsatz, die für einen Abschuss von der Schulter aus auch in die Ukraine abgegeben wurde. Auf die mittlere Distanz wirkt das größere Patriot-System bis in Höhen von 30 Kilometern. Deutschland verfügt noch über 12 Abschussanlagen, was aber bei Weitem nicht für einen Schutz des gesamten Landes reicht.
Eine ganze „Fähigkeitslücke“ wird der Bundeswehr bei der Abwehr von ballistischen Raketen bescheinigt, die auf ihrer Bahn große Höhen erreichen und deswegen nur noch recht nah vor dem Einschlag bekämpft werden können. Eine mögliche Antwort, die die Bundesregierung prüft, ist der Kauf der israelischen „Arrow 3“-Rakete.
Welche Fähigkeiten bietet ein solches System?
Die „Arrow 3“ bildet die höchste Stufe von Israels mehrstufiger Raketenabwehr und kann angreifende Waffensysteme bis über 100 Kilometer Höhe außerhalb der Atmosphäre im beginnenden Weltraum zerstören. Damit vergrößert sich auch die am Boden geschützte Fläche, und Sprengköpfe werden weit vom Ziel zerstört.
Wie gut kann es vor Angriffen schützen?
Militärexperten bremsen Erwartungen, man könne alle Raketen einer Angriffswelle abschießen. Immerhin: Ein System zur Abwehr von Kurzstreckenraketen wie der israelische Iron Dome (Eiserne Kuppe) soll inzwischen ungefähr 90 Prozent Trefferquote haben. Davon getrennt zu sehen ist eine Abwehr von Mittel- und Langstreckenraketen. Ein Branchenvertreter meint, es sei möglich, „die größere Zahl“ dieser Raketen abzufangen. Einen hermetischen Schutz gegen Raketenangriffe gibt es nach Einschätzung von Militärexperten aber nicht. Es gehe darum, dem möglichen Angreifer einen Schritt voraus zu sein, und mögliche Gegenangriffe sind Teil der Abschreckung. Für die Hyperschallraketen, wie sie die russischen Streitkräfte bereits demonstrativ in der Ukraine eingesetzt haben, gibt es noch keine Abwehr.
Worin liegt die Stärke der Hyperschallraketen?
Diese Waffensysteme fliegen mehr als 5000 Kilometer in der Stunde schnell, was die Vorwarnzeiten verkürzt. Und während ballistische Waffen eine berechenbare Kurve beschreiben, bleiben die Hyperschallraketen bis kurz vor dem Ziel steuerbar. Eine Abwehrrakete müsste also nochmals agiler sein. Oder man setzt auf die Entwicklung eines vergleichbaren Systems, um den Gegner abzuschrecken. Davon hielten deutsche Regierungen bislang nichts. Nachdem Russland sein Waffensystem getestet hatte, forderte im März 2019 der damalige Außenminister Heiko Maas (SPD) eine Ächtung und ein Regelwerk. Er kündigte einen „internationalen Raketendialog“ auf einem Treffen an, das unter dem Motto „Rüstungskontrolle neu denken“ stand.
Was kostet das Arrow-System und bis wann ist es einsatzbereit?
Die Bundesregierung hat erklärt, künftig mehr bereits auf dem Markt verfügbare Systeme beschaffen zu wollen und mit der Ausrüstung voranzukommen. Das System „Arrow 3“ ist nach Angaben von Experten bereits darauf eingerichtet, in Strukturen der gemeinsamen Nato-Luftverteidigung integriert zu werden. Die Kosten werden grob auf zwei Milliarden Euro geschätzt. Frühestens könnte es in Deutschland wohl zum Ende der Legislaturperiode einsatzfähig sein.
Wie groß ist die Gefahr, dass Deutschland angegriffen wird?
Die Gefahr wurde seit dem Ende des Kalten Kriegs als gering eingeschätzt. Der russische Angriffskrieg hat zu einer Neubewertung geführt, aber konkrete Warnungen gibt es nicht. (dpa)