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Rundschau-Debatte des TagesErhöht ein Tempolimit wirklich die Sicherheit?

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Ein Verkehrszeichen zur Geschwindigkeitsbegrenzung für die nächsten 57,0 Kilometer auf der Autobahn A13.

  1. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat hat sich festgelegt: Das Beratungsgremium fordert ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.
  2. Die SPD ist in der Koalition bisher vergeblich dafür eingetreten.
  3. Würde eine solche Maßnahme die Verkehrssicherheit tatsächlich erhöhen?

Berlin – Rund ein Jahr lang debattierten die Mitgliedsverbände im Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) über die Vor- und Nachteile eines generellen Tempolimits auf Autobahnen. Am Montagabend schließlich kam dann der Beschluss, der jetzt für Aufsehen sorgt: Der Dachverband, in dem auch prominente Lobbygruppen wie der Verband der Automobilindustrie oder der ADAC organisiert sind, spricht sich für ein generelles Tempolimit von 130 Stundenkilometern aus. Dadurch könnte die Zahl der Verkehrsopfer sinken, heißt es im Beschlusspapier.

Besteht zum Thema Einigkeit im Verkehrssicherheitsrat?

Nein. Zehn Mitglieder votierten für das Tempolimit, vier dagegen, allerdings gab es elf Enthaltungen – entsprechend schlecht ist jetzt die Stimmung im Vorstand. Auf den knappen Ausgang verweist auch der ADAC, der selbst derzeit kein stimmberechtigtes Vorstandsmitglied stellt.

Im Vorstand vertreten ist der Verband der Automobilindustrie. Er lehnt ein Tempolimit ab. Der ADAC verhält sich zu der Frage eines generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen neutral. Er bezieht sich dabei laut einer Sprecherin der Münchner Zentrale, auf Umfragen unter seiner Mitgliedschaft: Jeweils rund die Hälfte ist für und gegen ein Limit.

Welche Erkenntnisse gibt es zur Sicherheit auf Autobahnen?

Der Vorstand des Gremiums weist selbst darauf hin, dass Autobahnen der sicherste Teil des deutschen Straßennetzes sind. Von 3275 Verkehrstoten des Jahres 2018 (eine jüngere Bilanz gibt es nicht) entfielen 424 auf die Autobahnen, also ein gutes Achtel, obwohl auf den Autobahnen rund ein Drittel der gesamten Auto-Fahrleistung erbracht wird (rund 250 von 736 Milliarden Kilometern im Jahr). Daran erinnerte gestern auch das Bundesverkehrsministerium von Andreas Schauer (CSU).

Bereits heute gilt auf 23 Prozent des deutschen Autobahnnetzes ein dauerhaftes Tempolimit für Pkw, bei weiteren sechs Prozent gibt es von der Verkehrslage abhängige Regeln. Während der ADAC mit Blick aufs Ausland einen Zusammenhang zwischen Tempobegrenzung und Unfallhäufigkeit bestreitet, sieht die Mehrheit im DVR-Vorstand um Präsident Walter Eichendorf hier schon eine Verbindung. Ein Grund: „Auf Strecken ohne Tempolimit sind die Differenzgeschwindigkeiten zwischen schnell fahrenden Kfz und Lkw oder Bussen besonders hoch.“ Das führe zu Unfällen. Je schneller gefahren werde, desto schwerer seien zudem die Unfallfolgen.

Studien zu den Folgen eines Tempolimits sind rar, da Autobahnabschnitte mit und ohne Begrenzung schwer vergleichbar sind. Interessant ist der Vergleich ein und derselben Strecke mit und ohne Limit. Das hatte das Land Brandenburg 2007 rückblickend untersuchen lassen: Auf einem 62 Kilometer langen Abschnitts der A24 (Hamburg–Berlin) gab es bis Dezember 2002 kein Tempolimit, dann galt Tempo 130. Die Zahl der schweren Unfälle habe sich in der Zeit danach halbiert. Zwar seien die Autobahnen in Brandenburg insgesamt sicherer geworden – dort habe der Rückgang aber nur Werte um die 30 Prozent erreicht.

Was sagen Politiker zu der Empfehlung?

Bisher hat sich die SPD mit dem Ruf nach einem Tempolomit in der Koalition nicht durchsetzen können und stimmte im Bundestag koalitionstreu gegen Tempo 130 auf Autobahnen. Nun erneuert SPD-Chefin Saskia Esken ihre Forderung an die Union, einer solchen Regelung in der Koalition zuzustimmen. „Der Chor der Befürworter eines generellen Tempolimits von 130 Stundenkilometern auf den Autobahnen wird immer größer“, sagte sie unserer Redaktion. Verkehrsminister Scheuer (CSU) und die Union sollten nun den Weg zu einem Tempolimit freimachen, findet sie. Scheuers Ministerium bleibt aber bei seiner Ablehnung.

Verkehrsaufkommen

Die Corona-Krise hat trotz der jüngsten Lockerungen massive Auswirkungen auf das Verkehrsaufkommen. Auch in der 19. Kalenderwoche (4. bis 10. Mai) war die Menge an Pkw-Verkehr im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW noch um knapp 46 Prozent geringer als im gleichen Zeitraum 2018. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft hervor. In der betreffenden Woche gab es auch knapp 26 Prozent weniger Lkw-Verkehr als in der gleichen Woche 2018 (das sind die letzten verfügbaren Vergleichsdaten), obwohl die meisten Geschäfte wieder geöffnet waren. Im Durchschnitt der vergangenen Wochen, seit dem Beginn der Corona-Schutzmaßnahmen am 23. März, war das Pkw-Verkehrsaufkommen sogar um 55 Prozent geringer als 2018. Bei Lkw betrug der Rückgang auch im Gesamtzeitraum 26 Prozent. (EB)

Der Rat

Seit 1969 gibt es den Deutschen Vekrehrssicherheitsrat (DVR) als unabängiges Gremium in der Rechtsform eines Vereins. Der Rat fördert Maßnahmen zur besseren Sicherheit aller Teilnehmer am Straßenverkehr. Mitglieder sind rund 200 Verbände und Behörden, darunter auch die Verkehrsministerien von Bund und Ländern, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, der ADAC, aber auch Autohersteller. Präsident des Gremiums ist der Unfallforscher Walter Eichendorf (FH Bonn/Rhein-Sieg). (EB)

Umfrage

53 Prozent von 1062 Umfrageteilnehmern haben sich beim ARD-Deutschlandtrend (Oktober 2019) für Tempo 130 ausgesprochen. Die Anhänger von Grünen, Linken und SPD waren dafür, bei Unions- und FDP-Anhängern stand es 50:50. Klar gegen ein Limit waren AfD-Anhänger. (EB)