Herr Ogorek, anders als früher treten am 13. September 13 Kandidaten bei der Kölner Oberbürgermeisterwahl an. Was bedeutet das?Markus Ogorek: Die Zahl der Bewerber zeigt, wie groß das Interesse an kommunalen Belangen ist. Ich finde es toll, wenn sich Menschen für ihre Stadt engagieren – das ist nicht selbstverständlich. Kommunalpolitik ist wichtig, gerade in einer so großen Stadt wie Köln, da werden gigantische Summen bewegt. Außerdem sind die Kommunen das Rückgrat der Demokratie! Wenn jetzt viele Kandidaten antreten, dann beweist das: Die Bürger haben verstanden, wie wichtig es ist, dass sie selbst über die örtlichen Angelegenheiten entscheiden.
Was bedeutet die Rekordzahl an Kandidaten noch?
Das breite Bewerberfeld ist auch aus einem weiteren Grund begrüßenswert. Wenn ich als Wähler ein breites Angebot an Kandidaten habe, ist es doch sehr wahrscheinlich, dass ich mich zumindest mit einem von ihnen identifizieren kann. Früher musste sich der Wähler mitunter für das aus seiner Sicht „kleinere Übel“ entscheiden.
Was ist noch ein Vorteil?
Die Debatte wird lebendiger. Es gibt neben den Kandidaten der Volksparteien weniger bekannte Kandidaten, die für einzelne Themen stehen, etwa den Umweltschutz. Davon können Impulse für die Kandidaten der Volksparteien ausgehen, weil diese den Themen nicht ausweichen können. Das macht die Diskussion bunter!
Was bedeuten die vielen Bewerber für einen Amtsinhaber?
Für die Amtsinhaberin wird es nicht einfacher. Im Vergleich zu den Kandidaten mit einem starken thematischen Fokus hat es die Amtsinhaberin schwerer, sich zu profilieren, weil sie generalistischer auftreten muss.
Aber diese Nischen-Kandidaten haben nur begrenztes Wachstumspotenzial.
Ja, im Zweifel schon. Viele von diesen Kandidaten dürften nur eine geringe Wahlchance haben.
Einigen sagt man nach, nur anzutreten, um ihre Gruppe über die Podiumsdiskussionen der OB-Kandidaten bekannter zu machen.
Das kann durchaus sein. Es wäre aber ein Fehlschluss zu denken, dass Kandidaten ohne Erfolgsaussichten nicht antreten sollten. Der Weg ist ein Stück weit auch das Ziel, in der inhaltlichen Auseinandersetzung eines Wahlkampfes liegt ein Wert an sich. Deshalb ist es wichtig, dass Kandidaten ohne große Chance ihre Themen einbringen und ihren Hut in den Ring werfen.
Wird der Wähler möglicherweise überfordert bei so vielen Kandidaten?
Nein, das denke ich nicht. Wir sollten ein solches patriarchales Denken ablegen. Ich traue den Wählern zu, die Übersicht nicht zu verlieren.
Was bedeuten die vielen Kandidaten für die Volksparteien?
Früher lag ein großer Vorteil im riesigen Parteiapparat. Ich glaube, eine etablierte Partei hinter sich zu haben, ist immer noch eine große Hilfe, aber Parteien sind auch schwerfällig und kosten Flexibilität.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Markus Ogorek, 45, leitet seit Frühjahr das Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Kölner Universität.
Vor seinem Wechsel war Ogorek Präsident der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden. (mhe)
Ein agiles Team mit zehn technikaffinen jungen Leuten kann heutzutage sehr viel bewirken. Das politische System war in vielen Kommunen lange Zeit geradezu festgefahren. Es ist gut, dass sich das nun endlich zu ändern scheint.
Was heißen viele Kandidaten für die Wahlbeteiligung, die zuletzt bei 40 Prozent lag?
Ich glaube, dass die Beteiligung steigen wird, weil bestimmt für jeden Wähler etwas dabei ist.
Erhöht das auch die Legitimation des Siegers?
Ja, aber Vorsicht: Im ersten Wahlgang könnten die Zustimmungswerte für einzelne Bewerber sinken, weil es viele Wettbewerber gibt. Das ist ein Unterschied zu Zeiten, als nur wenige Kandidaten angetreten sind.
Die Stichwahl wird also wieder wahrscheinlicher?
Ich denke schon, ja. Und es ist auch gut, dass der NRW-Verfassungsgerichtshof im Dezember die Abschaffung der Stichwahl rückgängig gemacht hat.
Warum?
Angenommen, der Kandidat mit den meisten Stimmen liegt bei 30 Prozent, und der Zweitplatzierte liegt bei 25 Prozent: Ohne Stichwahl würde in diesem Fall jemand Oberbürgermeister, für den sich 70 Prozent der Wähler nicht ausgesprochen haben. Mit Blick auf die demokratische Legitimation ist das nicht unproblematisch. Es gibt aber auch Argumente gegen eine Stichwahl.
Welche?
Die Wahlbeteiligung an der Stichwahl ist häufig recht gering. Oft erhält ihr Sieger – in absoluten Zahlen – weniger Stimmen als im ersten Wahldurchgang, weil viele Bürger zu Hause bleiben. Einigen ist offenbar nicht klar, wieso sie noch einmal ins Wahllokal gehen sollen.
Die Doppelspitze
1994 änderte NRW die Kommunalverfassung, die Doppelspitze der Städte war vorbei. Die Bürger wählten danach den Oberbürgermeister, nicht der Stadtrat. Die OB waren nicht mehr nur Repräsentant, sondern auch Chef der Verwaltung. Vorher war der Stadtdirektor mächtiger. In Köln wurde die neue Regel 1999 erstmals angewendet.
Mancher mag davon ausgehen, dass der Kandidat, der im ersten Durchgang die meisten Stimmen vereinte, auch in der Stichwahl obsiegen wird. Das kann so sein, ist aber kein Naturgesetz. Umso wichtiger finde ich, die Bürger über die Bedeutung der Stichwahl zu informieren und dafür zu werben, dass sie sie genauso ernst nehmen.