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Schicksalstage in NahostWaffenruhe könnte einen regionalen Flächenbrand noch verhindern

Lesezeit 5 Minuten
Starker Rauch steigt über der israelischen Siedlung Beit Hillel im Norden von Israel auf, nachdem diese von pro-iranischen Hisbollah-Kämpfern aus dem Südlibanon mit Raketen angegriffen wurde.

Starker Rauch steigt über der israelischen Siedlung Beit Hillel im Norden von Israel auf, nachdem diese von pro-iranischen Hisbollah-Kämpfern aus dem Südlibanon mit Raketen angegriffen wurde.

Hinter den Kulissen laufen diplomatische Bemühungen, die explosive Lage in der Region zu entschärfen. Eine geplante Gesprächsrunde am Donnerstag in Kairo oder in Doha könnte dabei entscheidend werden.

Nach dem israelischen Luftangriff auf ein Schulgebäude in Gaza mit Dutzenden Toten gehen die Kämpfe in dem Küstenstreifen mit unverminderter Härte weiter. Einwohner der Stadt Chan Junis berichteten am Sonntag von erneuten israelischen Angriffen, nachdem die Armee Zivilisten dazu aufgerufen hatte, ein nördliches Stadtviertel unverzüglich zu verlassen. Israel wirft der islamistischen Terrororganisation Hamas vor, sie habe die humanitäre Zone in dem Gebiet für Raketenangriffe auf israelische Ortschaften missbraucht.

Chan Junis liegt im Süden des Gazastreifens. Nach Angaben des Generalkommissars des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA, Philippe Lazzarini, mussten in den vergangenen Tagen mehr als 75000 Palästinenser im Südwesten des Küstengebiets vor Kämpfen flüchten.

Derweil laufen nach Medienberichten hinter den Kulissen Bemühungen, die explosive Lage in der ganzen Region durch diplomatische Anstrengungen zu entschärfen. Eine geplante Gesprächsrunde am Donnerstag in Kairo oder in Doha könnte dabei entscheidend werden. Im Mittelpunkt stehen die seit Monaten feststeckenden indirekten Gespräche zwischen Israel und der Hamas, um ein Ende des seit zehn Monaten dauernden Gaza-Kriegs einzuleiten und die Freilassung von mehr als 100 Geiseln in der Gewalt der Hamas zu erreichen. Dabei vermitteln die USA, Ägypten und Katar.

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Diplomatische Bemühungen laufen im Hintergrund

Zehn Tage nach der Tötung zweier hochrangiger Feinde Israels in Teheran und Beirut ist weiterhin unklar, ob und wann der Iran und die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah die angedrohten massiven Vergeltungsschläge gegen Israel ausführen werden. Israels Streitkräfte sind seit Tagen in höchster Alarmbereitschaft. Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, brachten zusätzliche Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in die Region. Es herrscht aber eine gewisse Hoffnung, dass eine Waffenruhe im Gaza-Krieg eine allgemeine Beruhigung der Lage herbeiführen könnte.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte in einem Telefonat mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu große Sorge über die Gefahr eines regionalen Flächenbrandes im Nahen Osten. Mit dem Ziel einer regionalen Deeskalation sei nun der Zeitpunkt gekommen, das Abkommen zur Freilassung der Geiseln und eines Waffenstillstands mit der Hamas zu finalisieren, sagte Scholz nach Angaben eines Regierungssprechers in Berlin.

Bundeskanzler Scholz sorgt sich vor regionalen Flächenbrand

Die Gefahr einer Ausweitung der Kämpfe droht, seitdem Ende Juli zwei führende Köpfe der Hamas und der Hisbollah bei Angriffen getötet wurden. Der Auslandschef der Hamas, Ismail Hanija, kam bei einer Explosion in einem Gästehaus der iranischen Regierung in Teheran ums Leben. Fuad Schukr, Militärchef der Hisbollah, war wenige Stunden zuvor durch einen Luftangriff in Beirut getötet worden. Seine gezielte Tötung reklamierte Israel für sich. Zum Mordanschlag auf Hanija äußerte es sich nicht.

Israel und seine Verbündeten gehen davon aus, bei einem Vergeltungsschlag eine große Zahl von Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen mit modernen Abwehrsystemen weitgehend abfangen zu können. Sollten dennoch viele Menschen getötet werden, könnte Israel seinerseits mit massiver Vergeltung reagieren. Dies wiederum könnte eine unkontrollierbare Eskalation und einen großen Nahost-Krieg auslösen, auch wenn dies keine der Seiten beabsichtigt.

Erfahrener Diplomat soll neuer Außenminister im Iran werden

Neben einer Waffenruhe in Gaza könnte möglicherweise auch eine Personalie aus Teheran zu einer Entspannung der Lage beitragen. Mit einem der früheren Hauptverhandler des Wiener Atomabkommens soll ein erfahrener Diplomat neuer Außenminister des Irans werden. Präsident Massud Peseschkian habe Abbas Araghchi für das Amt nominiert, berichtete die Nachrichtenagentur Isna. Der 61-Jährige gilt als Befürworter besserer Beziehungen mit dem Westen und eines direkten, wenn auch kritischen Dialogs mit dem politischen Erzfeind USA. Beobachter vermuten, dass er gegen eine militärische Auseinandersetzung mit dem regionalen Hauptgegner Israel ist.

Weiter angeheizt wurde die Lage allerdings durch einen israelischen Luftangriff auf ein Schulgebäude in Gaza-Stadt am Samstag, bei dem nach Angaben des von der Hamas kontrollierten palästinensischen Zivilschutzes mindestens 93 Menschen getötet wurden. Das Gebäude wurde demnach als Flüchtlingsunterkunft genutzt. Der Angriff sei in den frühen Morgenstunden erfolgte, als viele ihr Morgengebet verrichteten, berichteten Augenzeugen.

93 Tote nach israelischem Luftangriff auf Schulgebäude in Gaza-Stadt

Israels Militär sprach dagegen von einer Kommandozentrale der Hamas, die sich in dem Haus befunden habe. Bei dem Angriff seien mindestens 19 Kommandeure und Kämpfer von Hamas und Islamischem Dschihad getötet worden. Zugleich zweifelte Israel die von palästinensischer Seite genannte Zahl der Toten an. Die Luftwaffe habe kleinkalibrige Raketen verwendet, weshalb die Zahl nicht so hoch sein könne. Die Angaben keiner der Seiten ließen sich unabhängig bestätigen.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich entsetzt über den Angriff. „Mindestens zehn Schulen wurden in den vergangenen Wochen ins Visier genommen. Es gibt keine Rechtfertigung für diese Massaker“, schrieb er auf der Plattform X. Die US-Regierung zeigte sich „zutiefst besorgt“ über die Berichte zu zivilen Opfern. Das Auswärtige Amt nannte die Berichte aus Gaza „schrecklich“ und wandte sich mit einem dramatischen Appell an Israel und die islamistische Hamas.

Demonstrationen in Tel Aviv und anderen israelischen Städten

„Dass Zivilisten getötet werden, die Schutz suchen, ist nicht hinnehmbar. Die wiederholten Angriffe der israelischen Armee auf Schulen müssen aufhören und rasch aufgeklärt werden“, schrieb das Ressort von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf der Plattform X. Zugleich dürften Frauen, Männer und Kinder, die seit Monaten immer wieder vor den Kämpfen in Gaza flüchteten, nicht von der Hamas als Schutzschilde missbraucht werden.

In Tel Aviv und anderen israelischen Städten demonstrierten unterdessen Tausende Menschen für ein Abkommen, das zur Freilassung der verbliebenen 115 Geiseln führen soll. „Das ist unsere letzte Chance, um einen Deal zu erreichen, der Leben rettet“, sagte die Mutter eines Entführten auf der Kundgebung in Tel Aviv. „Netanjahu setzt weiter das Leben der Geiseln aufs Spiel, um seinen Thron behalten zu können.“

Die Hamas und andere Gruppen aus dem Gazastreifen hatten am 7. Oktober vorigen Jahres den Süden Israels überfallen, mehr als 1200 Menschen getötet und weitere 250 als Geiseln verschleppt. Während einer kurzen Waffenruhe kamen mehr als 100 Geiseln frei, vor allem Frauen und ältere Menschen. Die Freigelassenen berichteten von unmenschlichen Bedingungen, Gewalttätigkeiten und psychologischem Terror. Die Hamas hat nun noch 115 Geiseln in ihrer Gewalt, von denen Israel aber 41 für tot erklärt hat. (dpa)