Köln – Dass es jemals einen Gottesdienst gab, der im Vorfeld so „heftig umstritten“ war, daran kann sich zumindest Weihbischof Rolf Steinhäuser nicht erinnern. Der Bußgottesdienst anlässlich der Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln brauchte deshalb eine Vorrede, fand Steinhäuser, der den Gottesdienst als Apostolischer Administrator und Vertreter des in Auszeit befindlichen Rainer Maria Kardinal Woelki leitete.
Das Erzbistum hatte den Bußgottesdienst „als Zeichen der Anerkennung von Schuld und Versagen der Kirche von Köln in Bezug auf sexualisierte Gewalt“ angekündigt. Doch die Pläne sorgten bei eingeladenen Betroffenen für Empörung. Manch einen ekelte die Vorstellung an, Teil einer kirchlichen Zeremonie in einem Raum voller Kreuze sein, unter dem ihnen einst Schlimmes angetan wurde. Täter hatte das Erzbistum übrigens nicht eingeladen. Die Begründung: Es gehe um Buße und nicht um Konfrontation. Für viele Betroffene stellte sich die Frage: Was bringt ein Bußgottesdienst ohne die Menschen, die für ihre Taten büßen müssten?
„Mein Versagen“
„Obwohl ich diesen Gottesdienst geerbt habe, habe ich mich nicht entscheiden können, ihn abzusetzen oder auf die Fastenzeit, und damit auf das Ende meiner Zeit als Bistumsleiter zu verschieben“, sagte Steinhäuser also in seiner Vorrede. Auch er habe es lange Zeit nicht wahrhaben wollen, „was in meiner geliebten Kirche von Mitbrüdern getan wurde“. Er habe versucht, diese Kirche, die in seinem Leben so zentral sei, zu schützen. „Ich habe die Betroffenen nicht im Blick gehabt. Das ist mein Versagen und meine Sünde.“ Der Bußgottesdienst solle nicht mit Vergebung enden. „Wir bitten auch nicht die Opfer um Vergebung, damit es uns besser geht.“ Der Gottesdienst sei vielmehr „Schuldbekenntnis, Gedächtnis der Betroffenen und Fürbitte“.
Das Thema des sexuellen Missbrauchs sei weiter aktuell, weil sich die Verhältnisse nicht wirklich geändert hätten. „Wenige Wochen in der neuen Aufgabe als Leiter des Erzbistums Köln haben mir die erschreckende Wahrheit vor Augen geführt, dass wir keineswegs nur über längst vergangene Zeiten reden. Sexuelle Gewalt gibt es auch heute“, sagte Steinhäuser.Bereits eine halbe Stunde vor dem Gottesdienst demonstrierte die Reforminitiative Maria 2.0 auf der Domplatte.
Die Gruppe kritisiert, dass es bis heute keine Konsequenzen aus den Erkenntnissen der unterschiedlichen Gutachten zum sexuellen Missbrauch im Kölner Erzbistum gegeben habe. „Kleriker weiter im Nebel“, „Macht macht gewissenlos“ oder „Keine Ämter für Vertuscher“, war auf den Schildern der gut 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu lesen.Auch der frühere Sprecher des Kölner Betroffenenbeirats, Karl Haucke, sprach bei der Protestaktion auf der Domplatte und kritisierte den Bußgottesdienst. „Es war sehr gedankenlos, mich zu diesem Gottesdienst einzuladen“, sagte Haucke. „Ich bin ohne Schuld an den Vergewaltigungen, auch wenn es mir der Vergewaltiger einreden wollte.“Viele Betroffene sehen das genauso. Einige von ihnen haben sich dem Protest von Maria 2.0 vor dem Dom angeschlossen. Keiner von denen, die dort standen, kennen Betroffene, die die Einladung angenommen haben. Ausnahme sind die Mitglieder des Betroffenenbeirats des Kölner Erzbistums, die den Gottesdienst mitgestaltet haben.
Namen von Betroffenen wurden verlesen
So erklingt im Dom etwa ein Lied über das Erleben von sexualisierter Gewalt in der Kindheit. Der Text stammt von Peter Bringmann-Henselder, Sprecher des Betroffenbeirats. Zwei Mitarbeiter des Erzbistums verlesen Vornamen von Betroffenen, für jeden steht vor dem Kreuz eine Kerze. „Es war uns wichtig, dass die Folgen des sexuellen Missbrauchs für Betroffene sichtbar werden“, teilte Bringmann-Henselder nach dem Gottesdienst mit. „Die auf sich geladene Schuld von Verantwortlichen und Tätern musste deutlich zur Sprache kommen.“
Auch Marianne Arndt, Kölner Gemeindereferentin und Vertreterin von Maria 2.0 hat Ihre Einladung abgesagt. Sie findet, Weihbischof Rolf Steinhäuser zeige mit dem Bußgottesdienst zwar einen guten Willen, doch die Aktion sei unglaubwürdig. „Ein vom Missbrauch betroffener Kollege von mir wurde auch eingeladen und hat gleich wieder körperliche Zeichen der psychischen Belastung gezeigt, was zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt hat“, sagte Arndt.In einem Brief an Steinhäuser schrieb sie, eine Entschuldigung allein reiche nicht. Gott und die Menschen würden verzeihen, wenn wir unser Handeln ändern. Genau diese ersten Schritte vermisst Arndt: „Wir müssen Handeln, Haltung und System verändern.“ Erst dann könne Buße angenommen werden. Auch Karl Haucke vermisst klare Aussagen der Vertreter des Erzbistums, denen Vertuschung vorgeworfen wird. „Haben die jemals ihre Schuld bekannt?“, fragt er. „Gab es neben der Verständnisheuchelei eine nachvollziehbare Reue?“
Genau wie Karl Haucke war auch Patrick Bauer Teil des Betroffenenbeirats des Erzbistums. Beide legten ihre Ämter vor gut einem Jahr nieder – aus Enttäuschung über die Aufarbeitung der Missbrauchsvorwürfe. Auch Bauer hat eine Einladung zum Bußgottesdienst bekommen. Auch er hat abgesagt. „Ich habe da drinnen nichts zu suchen“, sagt er. Er habe keine Schuld an dem, was ihm passiert sei. „Es sind die Täter, die Buße leisten müssen. Und die sind nicht da.“