Kölner Strafrechtler im InterviewWann sich Bischöfe strafbar machen können
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Können sich Bischöfe strafbar machen, wenn sie nicht entschieden genug gegen Missbrauchstäter vorgehen?
Raimund Neuß hat den Kölner Strafrechtler Prof. Martin Waßmer geben, den Hintergrund dieser kontroversen Diskussion zu erklären.
Zwei Monate nach der Vorstellung des Gercke-Gutachtens zum Umgang sexualierter Gewalt im Erzbistum Köln ist ein Streit entbrannt. Kritiker werfen Björn Gercke ein „Gefälligkeitsgutachten“ vor, weil er sagt: Erzbischöfe und Generalvikare haben sich nicht strafbar gemacht, obwohl sie zweifellos nicht ausreichend gegen Missbrauchstäter im Raum der Kirche vorgingen. Wird Gercke zu Recht angegriffen?
Ein Gefälligkeitsgutachten ist das ganz sicher nicht. Gercke hat schwere Vorwürfe gegen kirchliche Amtsträger erhoben. Die Frage, ob sich diese Amtsträger auch strafrechtlich der Beihilfe zu Sexualdelikten gegen Minderjährige schuldig gemacht haben, ist allerdings nicht so einfach zu beantworten. Gercke sagt Nein. Das ist vertretbar, man kann aber auch anderer Auffassung sein.
Die Debatte entzündet sich am Fall des Pfarrers F. In den 1980er Jahren hatte das Erzbistum Hinweise auf übergriffiges Verhalten gegenüber Messdienern. Erzbischof Höffner entschied sich fürs Abwarten, F. beging weitere Delikte. Gerckes Kritiker sagen: Dafür ist der Erzbischof so verantwortlich wie das Management eines Unternehmens für betriebsbezogene Straftaten von Mitarbeitern. Gercke sagt: Nein, da fehlt es schon an der Durchgriffsmöglichkeit des Erzbischofs, er hat keine unmittelbare Weisungsbefugnis für das Verhalten des Pfarrers vor Ort.
In diesem Punkt würde ich Gercke widersprechen. Die katholische Kirche ist hierarchisch strukturiert. Natürlich kann der Erzbischof entscheiden, welcher Priester eingesetzt wird. Er hat eine Verkehrssicherungspflicht, und dazu gehört es auch, typischen personellen Gefahren im Wirkungsbereich der Kirche entgegenzutreten. Eine strafbare Beihilfe kann das Abwarten aber nur dann darstellen, wenn die Missbrauchsdelikte „betriebsbezogen“ sind. Der Bischof ist nicht für die insgesamt straffreie Lebensführung seiner Mitarbeiter verantwortlich.
Muss der Bischof denn bei einem auffällig gewordenen Geistlichen von Wiederholungsgefahr ausgehen?
Wenn die Vorwürfe stichhaltig sind, ja. Für die Betriebsbezogenheit genügt allerdings der Umstand, dass wiederholte Vorfälle die Gefahr weiterer Straftaten nahelegen, nicht. Gercke zitiert mit Recht den vierten Strafsenat, der im Jahr 2011 ausführte, allein dieses iterative Moment reiche nicht aus, um die Geschäftsherrenhaftung von Managern für ihre Mitarbeiter, hier von Bischöfen und Generalvikaren für ihre Priester, zu begründen.
Nun sagt Gercke, viele Delikte hätten die beschuldigten Kleriker ja bei Freizeitveranstaltungen oder privaten Treffen begangen. Kritiker wie der Kölner Anwalt Friedrich Graf von Westphalen finden diese Unterscheidung skandalös. Wer hat Recht?
Die Differenzierung ist legitim. Die Kölner Bistumsleitung kann nichts dafür, wenn ein Pfarrer zum Beispiel auf einer privaten Urlaubsreise Straftaten begeht. Jugendfreizeiten gehören aber zu seinem Aufgabengebiet. Der vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs sieht eine Geschäftsherrenhaftung als gegeben an, wenn ein innerer Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit besteht, ein Mitarbeiter die ihm eingeräumten arbeitstechnischen Machtbefugnisse zur Tatbegehung ausnutzt. Daher könnte man die Meinung vertreten, dass ein Pfarrer seine Autorität und Macht über ihm anvertraute Minderjährige, die besonders schutzbedürftig sind, ausnutzt. Letzten Endes müssen dies aber die Gerichte entscheiden.
Zur Person
Prof. Martin Waßmer, Jahrgang 1966, ist Lehrstuhlinhaber für Straf- und Strafprozessrecht an der Universität Köln. Der gebürtige Heidelberger hat sich 2006 an der Universität Freiburg (Breisgau) mit einer Arbeit über die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung habilitiert. (rn)
Und wenn ein Seelsorger wie F. die Kinder einer Familie durch seine Tätigkeit kennenlernt, sie privat einlädt und die Gelegenheit für Übergriffe nutzt?
Das ist ein Grenzfall, da das private Treffen nur mittelbar im Zusammenhang mit der seelsorgerischen Tätigkeit steht. Bisher hat es noch keine strafrechtliche Klärung eines derartigen Falles gegeben. Das Urteil von 2011 betraf während der Arbeitszeit begangene Straftaten. Bei dem Urteil von 1990, das in der Diskussion ebenfalls herangezogen wird, ging es um die Haftung des Managements für ein gesundheitsgefährliches Produkt, ein Lederspray.
Spätestens seit 2003 gibt es nach den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz eine explizite Pflicht der Diözesanverantwortlichen zum Handeln. Ist ein Verstoß dagegen für einen weltlichen Strafrichter relevant?
Nicht direkt, da es sich um kircheninterne Vorschriften handelt. Das weltliche Strafrecht, das auch für katholische Kleriker gilt, kann aber an die hieraus resultierenden Pflichten anknüpfen. Das sieht Gercke ja auch so, er geht hierbei den Weg über die sogenannte Ingerenz, also ein pflichtwidriges Vorverhalten. Meines Erachtens könnte man die Garantenpflicht aber auch direkt erschließen.
Sie sagten, eine gerichtliche Klärung fehlt. Ist sie überhaupt noch möglich?
Gegen Tote wird in Deutschland nicht ermittelt. Aber bei sexuellem Kindesmissbrauch ruht heute die Verjährung bis zur Vollendung des 30. Lebensjahrs des Opfers, das heißt, solche Delikte verjähren frühestens am 40., bei schweren Fällen frühestens am 50. Geburtstag des Opfers.
Und was gilt dann für einen Bischof, der seine Pflichten verletzt hat?
Die Verjährungsfrist der Beihilfe richtet sich nach der Verjährung für das Hauptdelikt, also für den Missbrauch. So lange wie den mutmaßlichen Täter könnte man also auch den Bischof belangen.